Höhen und Tiefen an der Salzach

Von Jörn Florian Fuchs |
Zum Abschluss der Festspiele steht nun die Bilanz aus. Diese muss durchwachsen ausfallen, ganz einfach weil die erste Saison unter der Leitung von Alexander Pereira von deutlichen Anlaufschwierigkeiten geprägt war.
Was wäre die (Kultur-)Welt ohne Verschwörungstheorien? Bereits zu Beginn der Festspiele schimpften Teile der österreichischen Boulevardmedien über die deutschen Kritiken, die nur deshalb so schlecht ausfielen, weil man dem Österreicher Alexander Pereira seinen Erfolg nicht gönne.

Das ist natürlich reiner Blödsinn. Korrekt ist jedoch, dass manche deutsche oder auch Schweizer Zeitung bereits sehr früh von einem schwachen Jahrgang sprach. Falsch waren die Unkenrufe leider nicht, wie sich nach rund fünf Festspiel-Wochen herausstellt. Die erste Saison unter neuer Leitung laborierte an erheblichen Anlaufschwierigkeiten.

Zum Auftakt gab es eine auf halbem Weg stecken gebliebene "Zauberflöte". Regisseur Jens-Daniel Herzog konnte sich nicht so recht zwischen einer hausbackenen Komödie und einer psychologischen Analyse der Figuren entscheiden, Nikolaus Harnoncourt deutete das vermeintlich leichte Stück als abgründiges Drama.

Dem neuen, auch im Opernfach Regie führenden Schauspielchef Sven-Eric Bechtolf gelang wenige Tage später dann der erste echte Festspielknüller. Mit "Ariadne auf Naxos" als gelungener Mischung aus Oper, Schauspiel und Tanz beschwor Bechtolf den Geist längst vergessener Zeiten herauf: Feiner Goldstaub lag über dieser bewusst mit Musealität spielenden Arbeit. Weniger überzeugend war Puccinis "Bohème", wofür man zwar ein sensationelles Sängerensemble rund um Anna Netrebko und Piotr Beczala versammelte, dafür war szenisch Wirrwarr geboten. Damiano Michilietto verlegte die Schluchzstory in ein kaltes Heute - mit Schnee verwehter Würstelbude, schiefen Räumen und einer Großprojektion von Google Maps, damit auch der letzte Eumel merkt, wo das Ganze gerade spielen soll.
Richtig packendes Musiktheater gab es gegen Ende der Saison, mit Bernd Alois Zimmermanns "Soldaten", in der musikalischen Interpretation von Ingo Metzmacher und den Wiener Philharmonikern. Letztere hatten wahrlich viel zu tun, um die unterschiedlichen Zeitstrukturen der komplexen Partitur zu bewältigen. Alvis Hermanis inszenierte das Drama um Gewalt und Erlösung Detail verliebt, mit sicherer Hand in der Felsenreitschule.

Über eine andere Premiere breiten wir dagegen lieber rasch den Mantel des Schweigens. Peter von Winters Zauberflöten-Fortsetzung "Das Labyrinth" war in jeder Hinsicht eine Frechheit, zu allem Überfluss lief diese Produktion auch noch im akustisch katastrophalen Residenzhof.

Akustische Probleme gab es öfter in diesem Sommer. Die einst von Markus Hinterhäuser als idealer Aufführungsort für neue Musik entdeckte Kollegienkirche wurde eifrig genutzt - leider auch für Stücke, die da so überhaupt nicht hin gehören.

Heinz Holliger war heuer eine Art Composer in residence, sein wunderbarer Scardanelli-Zyklus schwebte eindrucksvoll durch die Kollegienkirche. Aber musste man dort unbedingt Hanns Eislers Filmmusik "Kuhle Wampe" oder Strawinskys "Dumbarton Oaks" programmieren? Werke, die keinen langen Nachhall vertragen?
Und es gab noch weitere, seltsame Dinge. Bernd Alois Zimmermann wurde in mehreren Konzerten vorgestellt. Man hörte viel schöne Kammermusik aber auch seine ausufernde, letzte Komposition "Ich wandte mich und sah an alles Unrecht, das geschah unter der Sonne" - eine "Ekklesiastische Aktion für zwei Sprecher, Bass-Solo und Orchester". Verhandelt werden existentielle Fragen, Matthias Goerne überzeugte als Gesangssolist, Christoph Eschenbach leitete hingebungsvoll das NDR Sinfonieorchester. Auf zwei Tribünen standen Ulrich Matthes und kein Geringerer als Peter Stein. Während Matthes den Prediger Salomo angemessen pathetisch verkörperte, rezitierte Stein mit erstickter Stimme Dostojewski und sprang zum ekstatischen Höhepunkt wie Rumpelstilzchen auf und ab. Statt metaphysischem Ernst war dadurch eher unfreiwillige Komik angesagt.

Auch Plácido Domingos Auftritt als Bajazet in der konzertanten Aufführung von Händels "Tamerlano" war nicht ganz frei von Komik. Aber wie der Weltstar seine Partie gänzlich unbarock und dennoch über die Maßen charismatisch sang, gehörte zum Interessantesten dieses langen, heißen Festspielsommers an der Salzach.

Links auf dradio:

- Mehr als nur ein Sommerurlaub - Die 59. Internationale Sommerakademie für Bildende Kunst in Salzburg
- Vom Elend des Krieges - Ingo Metzmacher und Alvis Hermanis deuten "Die Soldaten" bei den Salzburger Festspielen
- Stoff zum Ärgern in Salzburg - Zwei Vienne-Produktionen beim Young Directors Project in Salzburg
- Ein Lenz'sches Grausen - "Jakob Michael Reinhold Lenz im Steintal" auf den Salzburger Festspielen uraufgeführt
- Das Leiden der Künstler - Giacomo Puccinis "La Bohème"bei den Salzburger Festspielen
- Eine gefährlich naive Selbstverständigungsübung - "Trapped" - südafrikanische Theatergruppe eröffnete Young Directors Project in Salzburg
- 80er-Jahre Glitzer- und Perücken-Kostümfest
Irina Brook inszeniert Henrik Ibsens "Peer Gynt" bei den Salzburger Festspielen
- Molière aus der Mottenkiste - Sven-Eric Bechtolf inszeniert eine neue alte "Ariadne auf Naxos"bei den Salzburger Festspielen
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