Höhere Zinsen nur bei höherem Risiko

"Nur wenn man höheres Risiko eingeht, kann man mehr erwarten", sagt der Verbraucherschützer Niels Nauhauser zur aktuellen Lage an den Finanzmärkten, die von extrem niedrigen Zinsen geprägt ist. Anleger sollten daher nicht zu viel erwarten und ihr Geld breit streuen, um Risiken zu vermeiden.
Ute Welty: Aufs Sparbuch oder doch lieber in den Sparstrumpf? Angesichts der historisch niedrigen Zinsen fehlt nicht mehr viel und man sollte vielleicht noch Geld mitbringen, wenn man das Ersparte irgendwo anlegen und wenigstens die Inflationsrate ausgleichen will. Die Europäische Zentralbank hat noch mal bekräftigt, dass sich daran auf absehbare Zeit nichts ändern wird. Im Gegenteil, der EZB-Präsident Mario Draghi deutete an, dass die Zinsen, womöglich noch weiter sinken. Ob das überhaupt vorstellbar ist, weiß Nils Nauhauser, er ist Finanzexperte bei der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg und Dozent an der Frankfurt School of Finance and Management. Guten Morgen!

Nils Nauhauser: Guten Morgen, Frau Welty!

Welty: Nehmen Sie den EZB-Präsidenten beim Wort oder sind wir inzwischen am untersten Ende der Fahnenstange Zinsniveau angekommen?

Nauhauser: Die EZB muss natürlich reagieren auf die aktuellen Preisentwicklungen. Und wenn die Preise steigen, wird sie auch irgendwann den Zins wieder anhaben, und wenn die Preise niedrig bleiben, dann kann es auch möglich sein, dass sie den Zins noch mal senkt. Ich sag dazu noch Folgendes: Zinsprognosen sind sehr, sehr schwierig, wenn nicht gar unmöglich, und Anleger sollten jetzt davon ihre Entscheidung nicht abhängig machen, zumal die letzten Jahre gezeigt haben, dass sehr, sehr viele Experten immer wieder betont haben, die Zinsen können ja gar nicht weiter fallen, also soll man sich nicht lange binden, sondern eher kurzfristig anlegen. Das war die ganzen Jahre über kein besonders guter Rat.

Welty: Wovon sollten die Anleger denn ihre Entscheidung abhängig machen?

Nauhauser: Wenn jetzt Geld anzulegen ist, dann haben die letztendlich die Qual der Wahl. Auf der einen Seite ein sehr, sehr niedriges Zinsniveau, und das heißt, real wird das Geld weniger wert, man kann sich dafür weniger kaufen in einem Jahr, weil die Zinsen in den meisten Fällen die Inflationsrate nicht ausgleichen. Und auf der anderen Seite Anlageprodukte wie beispielsweise breit streuende Aktienindexfonds, bei denen man natürlich die Chance hat, deutlich mehr zu bekommen als die Inflationsrate, aber eben auch das Risiko trägt, dass zum Kaufkraftverlust auch noch ein Kursverlust hinzukommt.

Welty: Das heißt, ich habe die Wahl zwischen Pest und Cholera?

Nauhauser: Na ja, so schlimm ist es jetzt auch nicht.

Welty: Ja, das klang aber so.

Nauhauser: Im Moment sieht das so aus, ja, für viele Verbraucher. Aber das ist eigentlich das Spektrum an Anlagemöglichkeiten, was Verbraucher seit vielen Jahren eigentlich schon haben. Nur ist das Zinsniveau im Moment einfach so niedrig, dass das sichere Anlagespektrum für viele einfach unattraktiv wird. Und da kann man natürlich jetzt sagen, ich leg mein Geld überhaupt nicht mehr an, ich geb einfach alles aus. Das werden viele vielleicht auch machen, aber auf der anderen Seite möchte man ja vielleicht auch in fünf Jahren etwas ausgeben und nicht heute schon oder man möchte noch Altersvorsorge machen, damit man eben in 20 oder in 30 Jahren noch Geld übrig hat, was man dann ausgeben kann, und dann bleibt einem gar nichts anderes übrig, als das Geld anzulegen. Und das heißt unterm Strich auch, es bleibt einem nichts anderes übrig, als die niedrigen Zinsen zu akzeptieren oder aber mehr Risiken zu tragen und dann eben auch die Chance zu haben, noch zu seinem Geld Wertsteigerung hinzuzubekommen.

Welty: Wie wirkt sich das alles auf die Sparmoral der Deutschen aus? Die jüngsten Zahlen belegen ja einmal mehr das, was Sie auch schon angesprochen haben, dass der eine oder andere sein Geld nämlich lieber ausgibt für ein neues Sofa zum Beispiel.

Nauhauser: Also, ich kann jetzt nur aus unserer Beratungspraxis sprechen, und wir haben weiterhin eine sehr, sehr hohe Nachfrage nach diesen Beratungen zur Altersvorsorge und Geldanlage. Zwei Monate müssen die Leute hier warten. Ich kann jetzt nicht sagen, dass jetzt in diesen Gesprächen die Verbraucher keine Lust mehr haben, Geld anzulegen. Da sieht man schon die Erfordernis, dass etwas getan werden muss. Und wir klären dann eben über die Chance auf, wo man noch hier und da was verbessern kann, und da sehe ich in erster Linie bei der Auswahl der Produkte und der Anbieter noch sehr großen Verbesserungsspielraum, denn viele Verträge, die die Menschen besitzen, sind sehr, sehr teuer, und deshalb nicht lukrativ. Und da kann man durch Kostenoptimierungen noch eine ganze Menge herausholen. Es muss ja nicht sein, dass das niedrige Zinsniveau aufgefressen werden von den Kosten, die die Anbieter in den Verträgen einkalkulieren.

Welty: Was heißt Kostenoptimierung?

Nauhauser: Das heißt zum Beispiel, bei einer Versicherung, die sehr, sehr teuer ist, bei der unterm Strich vielleicht gerade mal eine Nullrendite herauskommt, kann man das Geld vielleicht anderweitig besser anlegen, indem man wenigstens noch ein, zwei oder drei Prozentpunkte herausholt, oder, wenn die Risikoneigung passt, auch offensiver das Geld in Aktien anlegt oder Aktienfonds. Auf der anderen Seite könnte es auch heißen, dass Verbraucher, die ein Sparbuch haben, wo 0,05 Prozent Zinsen winken, dass man denen rät, bessere Produkte abzuschließen, wo man bei Direktbanken beispielsweise noch ein oder eineinhalb Prozent kriegen kann.

Welty: Die niedrigen Zinsen sind ja nicht nur ein Problem für Privatleute, sondern auch für Lebensversicherungen und Versorgungswerke. Die können ja auch nur noch schwer Gewinne erwirtschaften und an ihre Kunden oder Mitglieder weitergeben. Sehen Sie da Alternativen?

Nauhauser: Die Kapitalanlage, so wie sie heute ist, trifft letztendlich alle, auch Versicherer, auch Bausparkassen, alle, unterm Strich, auch betriebliche Altersvorsorgeeinrichtungen. Die spielen letztendlich alle auf demselben Rasen, der heißt Kapitalmarkt, und hier zeigt die Zahl des Kapitalmarktes: Im Moment kann man sehr wenig verdienen, sehr wenig erwarten. Und nur, wenn man höhere Risiken eingeht, kann man mehr erwarten für die Zukunft. Und davon sind die Anbieter genauso betroffen. Und es gibt sogar einige Sparkassen, Bausparkassen und auch Versicherungen, denen diese hohen Zinsversprechen aus der Vergangenheit, wo man noch vier Prozent versprochen, garantiert hat, das jetzt auf die Füße fällt, weil sie das jetzt nicht erwirtschaften können. Und das führt dann dazu, dass der eine oder andere über kurz oder lang in Schwierigkeiten geraten kann, oder aber, dass man jetzt mit juristischen Spitzfindigkeiten versucht, die für Verbraucher guten Verträge loszuwerden.

Welty: Mit anderen Worten?

Nauhauser: Verbraucher, die jetzt Geld anlegen wollen, sollten zwei Dinge beachten: Das eine ist, die Kosten minimieren, also wirklich teure Produkte meiden. Dazu gehören vor allem auch Lebens- und Rentenversicherung, aber auch teure Investmentfonds und undurchsichtige Zertifikate. Und das zweite ist, die Risiken breit streuen, eben nicht alles auf eine Karte setzen, vielleicht nicht nur das Sparbuch, das Tagesgeld, das Festgeld, sondern auch andere Anlageklassen, die Immobilien, Immobilienfonds und weltweit streuende Aktienfonds mit reinnehmen. Da ist guter Rat teuer, aber da kann ich den Leuten einfach nur ernüchternd sagen, bleiben Sie ein bisschen skeptisch bei dem, was Ihr Finanzberater, Ihr Vermittler Ihnen empfiehlt, denn da ist oftmals das Provisionsinteresse im Vordergrund.

Welty: Die Zinsen sind ja deswegen so niedrig, weil auch die Kredite billig sein sollen. Davon scheint mein Dispo aber ausgenommen, oder habe ich da was verpasst?

Nauhauser: Ja, das ist in der Tat so. Die Dispo-Zinsen sind kaum gesunken. Erst, nachdem es massive Kritik auch gab durch Verbraucherschützer und durch die Öffentlichkeit in den Medien. Unterm Strich zahlen dennoch viele sieben, acht Prozent, und man fragt sich, warum ist das eigentlich so hoch. Das hängt damit auch zusammen, dass Verbraucher den Kredit nicht so einfach wechseln können. Wenn sie im Minus sind, ist die Bank einfach in der stärkeren Position und das nutzt sie natürlich aus. Verbraucher können da einfach nur reagieren, indem sie die Bank wechseln.

Welty: Von den Tücken der Niedrigzinsphase – der Finanzexperte Nils Nauhauser im Gespräch mit der Ortszeit. Ich danke dafür!

Nauhauser: Gerne!

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