Mit der Sprache spielen wie der Dichter
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Nach zweieinhalb Jahren Restaurierung und rechtzeitig zum Jubiläumsjahr wurde der Hölderlinturm in Tübingen wiedereröffnet. Das Museum zeigt einen anderen Blick auf den Dichter - und gibt die Möglichkeit, dessen Sprache neu zu erleben.
Hell und freundlich mit vielen Durchblicken, wo bisher enge Mauern waren – das ist mein erster Eindruck des neuen Hölderlinmuseums. Dessen junge Leiterin Sandra Potsch erwartet mich im Eingangsbereich, wo Besucherinnen und Besucher aus aller Welt gleich mit einem Gedichttext empfangen werden:
Die Linien des Lebens sind verschieden / Wie Wege sind, und wie der Berge Grenzen. / Was hier wir sind, kann dort ein Gott ergänzen/ Mit Harmonien und ewigem Lohn und Frieden.
"'Die Linien des Lebens' ist eines der kürzesten und bekanntesten der Turmgedichte von Hölderlin, das wir in ganz verschiedene Sprachen haben übersetzen lassen. Nicht nur ins Englische und Französische, sondern auch ins Russische, Griechische, Persische, Spanische und Katalanische, Chinesische und Japanische." An anderen Stellen finden sich auch Übersetzungen in Gebärdensprache und in Hörfilme.
Potsch zeigt mir als nächstes einen ganz besonderen Raum: das Sprachlabor. Dort stehen an einer Wand weiße Tische, in sie sind Bildschirme eingelassen. Ich solle einfach mal auf ein paar Berührungspunkte auf dem Bildschirm tippen, sagt Potsch.
"'Komm / Sprachlos und kalt / in dürftiger Zeit / und wozu dichter / ins offene, freund / klirren die Fahnen / sind verschieden.'"
Hölderlins Poesie selbst zusammensetzen
Jeder der 36 Punkte ruft bei Berührung ein Wort oder eine Gedichtzeile Hölderlins ab. Wer damit spielt, kann versuchen, ein original Hölderlingedicht wieder richtig zusammen zu setzen.
"Man kann die auch ganz zufällig zusammen puzzeln und rhythmisch damit spielen, indem ich manche Tasten zum Beispiel mehrmals durchlaufen lasse: "'Komm‘, komm‘, komm‘, … ins Offene, Freund.'" Man kann damit spielen wie ein DJ, sagt Potsch. Ob ich es nochmal probieren wolle, den Hölderlinduktus zu rekonstruieren?
"'Komm / sprachlos und kalt / in dürftiger Zeit / deutungslos / und wozu Dichter / ins offene, freund / sind verschieden / sprachlos und kalt.'"
Wie mit dem Soundboard gibt es in jedem Raum des Museums die Möglichkeit, etwas auszuprobieren, Erfahrungen mit Hölderlins Leben und Werk zu machen, sagt Potsch, während wir den Hölderlinturm durchstreifen.
"Man kann zum Beispiel an verschiedenen Stellen Hölderlins Gedichte nicht nur hören, sondern auch das Versmaß dieser Gedichte, die Betonungen, per Vibration übertragen bekommen, also wirklich selbst ein Gespür dafür bekommen, sinnlich erfahren, wie Hölderlin seine Gedichte gebaut hat, wie er an der Sprache gearbeitet hat, wie die gemacht sind. Also auch ganz klanglich, rhythmisch, sinnlich."
Im Garten die Dichtung reflektieren
Dabei kann man durch die großen Fenster den vor dem Turm vorbeifließenden Neckar betrachten und sich in den Garten locken lassen. Auch er ist neu gestaltet. Dafür hat die Stiftung Wüstenrot 400.000 Euro gestiftet. Aus dem bis vor kurzem unansehnlichen Stück Grün ist ein kleiner Park geworden, der dazu einlädt, das im Turm erfahrene zu resümieren.
Auch Kulturstaatsministerin Monika Grütters ist am Eröffnungswochenende aus Berlin nach Tübingen gekommen - auch sie zieht es in den Garten: "Ich glaube, er war im Elfenbeinturm geborgen, aber selber natürlich ein Kosmopolit. Er hat sich mit der ganzen Welt beschäftigt, nicht nur ganz konkret mit der Antike, mit Griechenland, mit Asien, sondern er zeigt uns, wie man aus einer kleinen, selber erlebten Wirklichkeit hinaus sich der Welt öffnen kann. Das ist eine Botschaft, die heute, glaube ich, mehr denn je wichtig ist, über den eigenen Horizont sich hinausdenken, sich öffnen, neugierig sein und die Einflüsse aus anderen, ferneren Welten auch als Bereicherung zu empfinden."
Von Goethe und Schiller kaum beachtet
Hölderlin selbst hatte sich von den Idealen der Französischen Revolution beeinflussen lassen, was ihn in Schwierigkeiten brachte. Eine unglückliche Liebe zermürbte ihn. Vor dem dringlichen Wunsch seiner Mutter, er solle Pfarrer werden, floh er in Hauslehrerstellen. Von den Zeitgenossen Goethe und Schiller wurde er kaum beachtet. Er galt als zunehmend auffällig, wurde lange in Tübingen, in der ersten Psychiatrie Deutschlands behandelt und kam 1807 in die Obhut des Schreiners Ernst Zimmer.
Bis zu seinem Tod 1843 lebte Hölderlin im Turm, dem Wohnhaus der Zimmers. Als der Turm am Neckar 1875 niederbrannte, wurde er nach kurzer Zeit von Anhängern wiederaufgebaut und bekam seinen Namen: Hölderlinturm.
Heute erscheinen diese Räume als die echten, die historischen. Und die Authentizität? Hölderlin-Ausstellungsmacher Thomas Schmidt vom Deutschen Literaturarchiv Marbach sagt dazu:
"Authentisch ist das, was von Hölderlin geblieben ist. Das ist zuallererst, was ihn groß machte und das sind seine Texte. Wir haben hier versucht, das, was Hölderlin umgetrieben hat, was Sprache zu einer wirkungsmächtigen Form macht, zu einer Kunst macht, dem hier auch wirklich eine sinnlich erfahrbare Möglichkeit zu geben. Was authentisch ist, das soll hier die Literatur sein. Wir beziehen uns natürlich trotzdem auf Hölderlins Lebensgeschichte."
Ein neuer Blick auf den Dichter
Auch sie wird im neuen Hölderlinturm erzählt – die Jahre im evangelischen Stift, die Hauslehrerstellen und deren rastlose Wechsel. Die langen Jahre im Turm, als er mit "Scardanelli" unterschrieb, Gäste mit "Majestät" begrüßte und die 48 erhaltenen Turmgedichte schrieb, wurden lange als Wahnsinn gedeutet. Die neue Ausstellung zeigt ein deutlich differenzierteres Bild des Dichters Friedrich Hölderlin in der zweiten Hälfte seines Lebens.