Das Gefängnis vom Leib geschrieben
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Schläge und Folter, davon berichtet Deniz Yücel in "Agentterrorist". Das Hörbuch zeichnet tagebuchartig die Haft des Journalisten in der Türkei nach – und erzählt neben aller Dunkelheit inspirierend von der Kraft der Solidarität.
"Sachverhalt: Seit dem Ausnahmezustand werden in der Türkei Festnahmen oft als Bestrafungsinstrument benutzt. Immer wieder sitzen Leute bis zu 14 Tage, bis vor Kurzem bis zu 30 Tage, und werden danach laufen gelassen."
Deniz Yücel am neunten Tag seiner Haft – aus der schließlich ein Jahr wurde. Er schmuggelte dieses frühe Haftprotokoll auf den freien Flächen eines Kinderbuches, dem "kleinen Prinzen", aus dem Gefängnis. "Schluss: Alle, die ich hier kennen gelernt habe, haben zu mir gesagt: Du musst das aufschreiben, Deniz Abi. Ich habe gesagt: Logisch, mach ich. Ist schließlich mein Job. Wir sind ja nicht zum Spaß hier."
Hier ist Deniz Yücel selbst zu hören, eine der wenigen Stellen, der Großteil der rund 400 Seiten, die "Agentterrorist" umfasst, wird von dem in Istanbul geborenen Schauspieler und Übersetzer Recai Hallac gesprochen. Wenn man Deniz Yücels Stimme im Ohr hat, muss man sich daran erst einmal gewöhnen. Doch im Verlauf der 14 Stunden vergisst man, dass er nicht selbst spricht. Recai Hallac macht sich diesen eindrücklichen Text auf seine etwas ruhigere Art sehr souverän zu eigen.
Haft trug teilweise kafkaeske Züge
"Nach einer Viertelstunde werden wir wieder in den Gerichtssaal gerufen. Cakar verliest das Urteil. Wegen Propaganda für eine Terrororganisation und Volksverhetzung ergeht Untersuchungshaft. An das, was folgt, erinnere ich mich nur noch bruchstückhaft. Der Richter, der fluchtartig aus dem Saal stürzt, die entsetzten Blicke der Anwälte, die Polizisten, die aufspringen, um mich davon abzuhalten, etwas Falsches zu tun."
Grundlage dieses Urteils sind Artikel, die Deniz Yücel für die "Welt" geschrieben hat. In "Agentterrorist" schildert der Journalist tagebuchartig seine Zeit im Gefängnis, die teilweise kafkaeske Züge trug. Und er erinnert an die beispiellose Solidarisierung mit ihm, besonders in Deutschland, die ihm Kraft gab – "Free Deniz". Auch rekonstruiert er die diplomatischen Bemühungen im Hintergrund, zur Beendigung seiner "Geiselnahme", wie er es nennt. Yücel zeichnet dabei auch nach, wie die Türkei nicht erst seit dem Putschversuch vom Juli 2016 immer mehr in den Würgegriff des Erdogan-Regimes gerät. Besonders die Schilderungen aus der Innenperspektive der Gefängniswelt machen dieses Hörbuch so interessant, auch weil Deniz Yücel zurück blickt in die türkische Vergangenheit, in die Zeit nach dem Militärputsch 1980, als Folter und Gewalt alltäglich waren.
Folter und Drohungen
"Ins kollektive Gedächtnis brannte sich Gefängniskommandant Esat Oktay Yildiran ein, der seinen deutschen Schäferhund abgerichtet hatte, jedem Gefangenen in die Genitalien zu beißen, der dem Hund nicht salutierte. Yildiran wurde 1988 von der PKK erschossen. Doch ohne die Folterhölle Diyarbakir Nr. 5 hätte es deren bewaffneten Kampf womöglich nie gegeben."
Viele Intellektuelle, Schriftsteller und Journalisten landeten damals im Gefängnis – so wie heute, auch wenn die Haftbedingungen nun humaner erscheinen. Doch auch er habe Folter erfahren, berichtet Deniz Yücel, Gewalt und Drohungen durch Wachpersonal – nachdem Erdogan vorher öffentlich über ihn hergezogen, ihn beschimpft hatte, als: Agentterrorist.
Nicht beugen vor der Macht
"Yada verpasst mir mit der Rückseite seiner Hand einen harten Schlag ins Gesicht, während Kodal stichelt: "Was zahlen dir die Deutschen dafür, dass du dein Vaterland verrätst? Sprich oder ich reiß dir die Zunge raus."
Doch Deniz Yücel will sich nicht brechen lassen, nicht beugen vor der Macht. Und will deshalb auch nicht Teil eines politischen Deals sein, um frei zu kommen. Er hat sich diese Zeit im Gefängnis vom Leib geschrieben, er hat viel hineingepackt in diese lange Erzählung, die auch von der Kraft der Solidarität und der Liebe handelt – er heiratet seine Freundin Dilek Mayatürk im Gefängnis. "Agentterrorist" ist aber auch ein Lehrstück darüber, wie schnell ein Einzelner zwischen die Mühlsteine der Politik geraten kann. Und wie man es schaffen kann, dabei doch Haltung zu bewahren.