Paul Plamper: Release
Hörspielpark, Berlin 2015
1 CD, 54 Minuten
12 Euro
Den Gefängnisalltag in Musik gepackt
Für "Release" haben der Autor Paul Plamper und der Musiker Schneider TM mit jungen Häftlingen in Berlin über das Leben hinter Gittern gesprochen. Dabei herausgekommen ist ein beeindruckendes dokumentarisches Hörstück.
"Du warst Maler und hast mir meine Zelle renoviert / Als Dankeschön habe ich dir Chicko auf den Arm tätowiert / Haben zusammen unsere Namen in Standardfarben gegen die Knastmauer geschmiert..."
Jede Textzeile geht tiefer: Gefängniszelle, Tätowierung, Knastmauern. Das Leben im Strafvollzug als Hip-Hop-Track, der tatsächlich hinter vergitterten Fenstern entstanden ist – geklöppelter Beat und versöhnlicher Gangster-Rap. Die Lyrics beschreiben den Gefängnis-Alltag.
"Chicko war 14 Monate hier. Wo er rein kam, war ich schon ein Jahr hier, habe mit ihm komplett seine 14 Monate abgesessen. Er ist jetzt gerade mal drei Monate entlassen. Er war nicht so wie die anderen hier. Er hat so viel Herz gehabt..."
Voller Zweifel an Recht und Unrecht
Es sind beiläufige, ja fast schon anrührenden Anekdoten, die der Hörspielautor Paul Plamper mit seinem einstündigen dokumentarischen Hörspiel "Release" eingefangen hat. Der Berliner Experimental-Musiker Dirk Dresselhaus alias Schneider TM hat sie zusammen mit Häftlingen in Musik gepackt.
"Ich habe diesen Beat da ein wenig weiter gemacht. Das kann ich dir gerade mal vorspielen. Würdest du mit dem Text darauf klar kommen?"
Für "Release" besuchte Schneider TM mit einem mobilen Studio vier Gefängnisinsassen: Mogli und Sabrina in der JVA für Frauen in Berlin-Lichtenberg und Ingo und Rados in der JSA in Berlin-Plötzensee. Drei Tracks haben sie gemeinsam gebastelt, die sich hören lassen können: Bombastische Beats, Clicks'n Cuts und Texte voller Sehnsucht nach Freundschaft und Freiheit, voller Zweifeln an Recht und Unrecht, dem Zaudern zwischen Lüge und Wahrheit.
"Ich lüge gerne, bekomme davon in meinen Augen große Sterne. Lüge viel zu oft, das ist meine Sucht, wie für andere Drogen. So steht auf meinem T-Shirt geschrieben: Habe viele Frauen betrogen, von morgens bis abends belogen, hab den Frauen das Herz verschoben. Habe mir nie Gedanken darüber aus dem Kopf gezogen..."
Im Leben wie in der Musik aus dem Takt geraten
Es ist auch oder gerade für Nicht-Musiker spannend, wie Paul Plamper den Entstehungsprozess der Tracks akustisch nachzeichnet. Auf der CD finden sich neben der hörspielartigen Doku auch drei fertig produzierte Stücke und 15 Minuten nicht verwendetes O-Ton-Material. An einer Stelle geht es dabei um Fehler in der Musik, die dann irgendwie auch sinnbildlich für die Fehler im Leben der Gefängnisinsassen stehen.
"Ich komme manchmal aus dem Takt raus. Ich weiß nicht. – Ja, aber manchmal ist das ja auch geil, wenn das nicht ganz so gerade ist. Wenn man dann nämlich einen Teil nimmt und den loopt und immer wiederholt und der ist halt immer so und nicht richtig auf dem Takt ist, dann entsteht manchmal ein sehr interessanter Rhythmus. Dann hört sich das so an als sollte das so sein. Wie bei Jazz: das ist ja auch Fehler wiederholen."
Ungewöhnliches therapeutisch-pädagogisches Hörspiel
In der Jazz-Musik mag aus der Wiederholung des Fehlers eine Ästhetik entstehen, im Alltag von Häftlingen wird aus einem Fehler ein möglicher Lernprozess. So ist "Release" auch ein ungewöhnliches therapeutisch-pädagogisches Hörspiel. Denn "Release" meint dabei eben nicht nur die Veröffentlichung von Musik, sondern auch Erlösung oder einfach die Befreiung im Sinne von Entlassung.
"Kwitschie, seine Philosophie, war zum Schluss immer eine Therapie. Wagner, unser Verplaner, aber immer angesagter, wer weiß, vielleicht wird aus ihm ein Drogenfahnder. Peske, trägt eine schussichere Weste, das war auch der Grund, warum er uns immer stresste. Für Dich, Chicko, nur das Beste."