Marlen Pelny: Wir müssen nur noch die Tiere erschlagen
Voland & Quist, Dresden 2013
80 Seiten mit CD, 13,90 Euro
Unendliche Song-Gedichte
Mit der Literaturgruppe "augenpost" plakatierte Marlen Pelny die Straßen deutscher Großstädte mit ihren Gedichten. Und sie vertont ihre Texte auch. In ihrem neuen Gedichtband zum Hören geht es um das Grauen hinter den Fassaden des Alltags.
"was wir sehen, ist"
"was wir sehen, ist weiß
wie neunzig Prozent der deutschen Wände
oder das, was nicht Boden und Decke ist
der äußere Kreis lässt den inneren kreiseln
sodass, wenn wir die Augen schließen
wir hinter den Sternen sind"
Weiße Wände und kreiselnde Kreise: Bilder der Unendlichkeit. Marlen Pelny skizziert in ihren Gedichten Empfindsamkeiten, beschreibt Eindrücke und beschäftigt sich mit den Augenblicken vor der Momentaufnahme - eher mit der Möglichkeit der Wahrnehmung, als mit der Wahrnehmung selbst.
"Paris und du"
"du schreibst Karten, wenn der Regen fällt
"du schreibst Karten, wenn der Regen fällt
ich seh dich an, als könnte Licht dich verändern
mit dem Wetter hinter dir versinkst du in Geschichten
über eine Stadt, die jetzt nicht existiert
Paris wie Prag wie Köln, wie du
ein rohes Herz, das, eben noch greifbar
im Regen verschwimmt"
Beklemmend und traurig
Alltägliches wird durch die Augen der Lyrikerin zu leisen Bildern voll lauter Leidenschaft. Beklemmend, die Gefühle. Weitläufig, die Architekturen, traurig, melancholisch. 55 Gedichte veröffentlicht Marlen Pelny unter dem Titel "Wir müssen nur noch die Tiere erschlagen". Schon der Titel deutet auf das gemeinsame Unvorstellbare hin, das Grauen hinter den Fassaden des Alltags:
"O-Ton"
"wir stehen am Fenster und sehen nicht raus
seit Tagen schon diese Geräusche
wie sichtfester Regen, wie Kartenspiel
jemand mischt auf den Wegen
werden wir die Räume verlassen
mit unserem Gewicht
die plastischen Kugeln bewegen
ein Fanal, das sich hinter dem Vorhang regt
ein Feuer wird zu Sirenen"
Marlen Pelny ist 1981 in Nordhausen in Thüringen geboren und arbeitet als Musikerin und Lyrikerin in Berlin und Leipzig. 2007 veröffentlicht sie ihren ersten Gedichtband mit dem programmatischen Titel "Auftakt". In ihren Arbeiten vermischt sie Popmusik und Poesie zu einer Art Song-Gedicht.
"was ich dir gerne sagen würde"
"ich würde dir gerne sagen, wie es um mich steht
die Sterne, all die Leute, das Getier
welche Farbe die See in meinen Augen hat
was ihr gemeinsam habt, du und meine Gier
welches Kabel mein Herz mit meinem Kopf verbindet
was mein innerer Schweinehund
mit äußeren Katastrophen zu tun hat
was die anderen Hunde von mir halten
ich habe über alles nachgedacht
wieso ich ausgerechnet an dich denke
und an das Kabel zwischen unseren Häuten
ich würde es dir gerne sagen“
Endlose Spiralen
18 der 55 Gedichte hat Marlen Pelny auf einer dem DIN A5-Büchlein beigelegten CD eingesprochen, sieben davon selbst vertont. Bass, Schlagzeug und Gitarre, hin und wieder auch die weichen Töne eines Fender Rhodes Piano, untermalen ihre Lyrik. Manchmal genügt ihr sogar schon ein tiefes Summen aus dem Kehlkopf als endloser Loop, um ihren Texten Leben einzuhauchen.
"Das Bild in dem Bild in dem Bild in dem Bild"
"wir entwirren unser Gedächtnis
nach brauchbaren Spuren seiner Funktion
wir atmen sehr deutlich
unserem Gegenüber ins Ohr
wir fahren mit geöffneten Hände
in unsere Kindheitserinnerungen
schließen das Fenster, kochen das Wasser
summen immer denselben Ton
und da ist es auch schon: das Bild
in dem Bild in dem Bild in dem Bild
wir packen es ein und gleich wieder aus
es ist verblichen, wir erscheinen noch blasser
alles in allem, wir in diesem Haus
sind Negative und schwimmen im Wasser
bis zur nächsten Station"
Die Musik harmoniert in den vertonten Gedichten am besten an den Stellen, wo sie für die ohnehin stark assoziativen Gedichte noch mal neue Räume öffnet. Oder eben wie es bei Marlen Pelny heißt: "das Bild in dem Bild in dem Bild". Gläserne Gitarre, galoppierendes Schlagzeug und Schwermut in der Stimme ziehen in dieser vertonten Lyrik endlose Spiralen - ein Wechselspiel zwischen sich annähern und sich entfernen.
"wegen dir"
"wir sind
wie alle anderen auch
wir rollen die Zungen in uns hinein
und warten, bis irgendetwas brennt"