Arno Schmidt / Barthold Heinrich Brockes: Irdisches Vergnügen
2 CD(s). Laufzeit: 141 Minuten
Mit Bernd Rauschenbach, Jan Philipp Reemtsma, Joachim Kersten
Erschienen bei: Hoffmann und Campe
Verbeugung vor einem Schwärmer
Der Schriftsteller Arno Schmidt begeisterte sich in seinen legendären Radio-Dialogen für den Naturlyriker Barthold Heinrich Brockes. Diese Verbeugung eines Atheisten vor der predigerhaften Frömmigkeit eines Hamburger Kaufmanns aus dem 18. Jahrhundert ist verblüffend.
Musik: "Irdisches Vergnügen"
Die zweite CD des Hörbuchs "Irdisches Vergnügen", die darf man anstrengungslos genießen. Musik von Bach, Grieg, Ravel oder Piazolla mit Querflöte und Gitarre. Rhythmus der Töne, und dann gelesen von Jan Philipp Reemtsma, Gedichte von Barthold Heinrich Brockes, Hamburger Kaufmann, Lyriker, geboren 1680, gestorben 1747. Beispielsweise "Die Nachtigall":
"Im Frühling rührte mir das Innerste der Seele / der Büsche Königin / der holden Nachtigall. / Die aus so enger Brust / und aus so kleiner Kehlen / die größten Wälder füllt durch ihren Wunderschall. / Derselben Fertigkeit, / der Kunst, / der Fleiß, / der Stärke, / Veränderungen und Ton / sind lauter Wunderwerke der wirkenden Natur"
An eben diesen Naturlyriker oder auch -schwärmer erinnerte Arno Schmidt im ersten seiner später legendären Radio-Dialoge - wie Reemtsma in der Einführung auf der ersten CD dieses Hörbuches sagt. Was einigermaßen verblüffend ist, diese Verbeugung, meint Schmidt-Aficionado Jan Phillip Reemtsma, das sich der literarische Avantgardist und Atheist Schmidt 1955 so begeistert zeigte von einem Lyriker, dessen predigerhafte Frömmigkeit sprichwörtlich war, wenn er über den Nachtigallen-Gesang, Rosen, Apfelblüten oder eine kleine Fliege lyrisch schwärmte. Doch dieser Blick auf Brockes war nur der gängige, Schmidt hatte einen anderen:
"Es ist wahrlich nicht zufällig, dass es ein Avantgardist wie Arno Schmidt war, durch die Schule des Expressionismus gegangen, der so früh auf einen nicht mehr Gelesenen deutete, der sich ganz dem Fluss und Flackern der Bilder und der Virtuosität der Vokalgebung überließ."
Und dann - zur rhythmisch-sinnlich-akustischen Versinnbildlichung - gibt Reemtsma noch einen Brockes hinterher. Stichwort "Virtuosität der Vokalgebung":
Das Hörbuch als komprimierte reine Lust an der Literatur
"... wo ein Heer / Von bunten Blumen stand, und ward von ungefähr / Verschiedener gewahr, / Die alle röthlich blühten, / Und doch in wunderbar / verschiedlich schöner Röthe glühten."
Was dann folgt, nach weiteren Ausführungen über die Verbindung von Brockes und Schmidt, ist eine Neuaufnahme von Schmidt Brockes-Radio-Dialog von 1955, gelesen von Reemtsma und seine beiden Co-Schmidt-Fans Joachim Kersten und Bernd Rauschenbach. Kurzum, hier auf CD 1 also bekommen wir ein literaturwissenschaftlich-intellektuelles Feuerwerk um die Ohren gezogen, wenn man´s mal so sagen darf, das es in sich hat. Danach haben wir uns die kontemplative Belohnung mit Musik und der Brockes-Lesung auf CD 2 wirklich verdient.
Musik: "Irdisches Vergnügen"
Das Hörbuch "Irdisches Vergnügen" ist ein wunderbares Vergnügen, weil es so ganz aus den Zeitläuften gefallen zu sein scheint. Man stelle sich einen lustvoll besessenen Vortrag über einen Dichter, noch einen Dichter und ihre lyrischen Texte vor. Hier herrscht akustisch keine Hektik. Aber es gibt auch keine Verschämtheit, Gefahr zu laufen, den Hörer angeblich zu überfordern.
Es zählt das gesagte, argumentierte Wort. "Irdisches Vergnügen" stellt die im Hörbuch komprimierte reine Lust an der Literatur dar, ihrer Sprache, ihrem Rhythmus, ihrer Musikalität, die sich in den Gedichten von Barthold Heinrich Brockes, der analytische Verbeugung Arno Schmidts vor ihnen und der nun wiederum ihrerseitigen Verbeugung vor beiden durch Joachim Kersten, Bernd Rauschenbauch und Jan Philipp Reemtsma vollzieht. Da lieben welche "ihren" Dichtetttr Arno Schmidt auf einem intellektuellen Niveau, das einen hörend die Birne rauschen lässt. Lustvoll wie gesagt. Und mitunter liebevoll komisch, wenn´s um die Brockesche Herde Kühe geht:
"Auf bunt be grünt / und dick begraster Erde, / erblickt ich jüngst / in der gehörnten Herde / ein Bild des Friedens und der Ruh. / Ich sah dem sanften Wiederkäuen, / ich höret ihm zugleich mit Anmut zu / und musste mich recht herzlich drüber freuen."
Natur-, Land-Lust im 17. Jahrhundert.