Bruno Latour: Kosmokoloss. Eine Tragikomödie über das Klima und den Erdball
Regie: Ulrich Lampen, Komposition: Saam Schlamminger
Intermedium Records, München 2015
1 CD, 64 Minuten, 15 Euro
Eine Art inszenierter Amoklauf
Der französische Soziologe Bruno Latour forscht zur Kontroverse um den Klimawandel - und hat mit "Kosmokoloss" sein erstes Theaterstück geschrieben. Die Hörbuch-Umsetzung der Tragikomödie über sein Forschungsthema ist ein Alptraum-Szenario, das unter die Haut geht.
Mahnruf für den Kampf um eine bessere Welt.
"Sind wir diese Spezies?
Die vom Aussterben bedroht ist.
Natürlich. Was braucht ihr denn noch für Beweise? Gott sprach zu mir und sagte:
Sie verweigern sich der Wahrheit des Klimawandels? Ein klassischer Fall kognitiver Dissonanz angesichts der Nachrichten, die ihren Hoffnungen widersprechen. Na, was machen sie da? Nimmt ihnen das die Hoffnung? Keineswegs. Sie negieren die Realität bis zum Schluss. Und es ist die Hoffnung, die die Menschheit in den Abgrund führt. Nicht wahr, Noah?
Nein, es ist vor allem die Hoffnung, die uns aus dem Abgrund erretten kann. Wir müssen Vertrauen haben in den göttlichen Wunsch."
(Rauschende Wellen)
Das Rauschen der Meereswellen als Geräusch der Hoffnungslosigkeit, als Soundscape für eines der größten Desaster der Menschheit - den Klimawandel. Eine globale Katastrophe zwischen Evolution und Emotion, Glaube und Gewissen - inszeniert in der Rhetorik der göttlichen Komödie.
"Ihr, die ihr klagt über das Ende des Humanismus und die Dekadenz der Geisteswissenschaften, euch wird es beruhigen zu erfahren, dass ein Geologiekongress, der 35. seiner Art, in Cape Town Südafrika, sich vorbereitet, der Ära in der wir uns befinden, den schönen Namen Anthropozän zu geben..."
Diskurs aus Religion, Wissenschaft und Kulturgeschichte
Hier der Mensch, da die Geologie - im Zeitalter des Anthropozän sind sie eins. Der niederländische Chemiker Paul Crutzen führte diesen Begriff im Jahr 2000 ein und gab damit dem Einfluss des Menschen auf die Umwelt einen Namen. Bruno Latour, ein französischer Soziologe, schrieb 2011 dazu sein erstes Theaterstück: "Kosmokoloss - eine Tragikomödie über das Klima und den Erdball" heißt es und wurde jetzt vom Hörspielregisseur Ulrich Lampen akustisch in Szene gesetzt.
"All das gibt uns aber immer noch keine Antwort, wie morgen das Wetter wird. Das ist unser Problem. Wenn es wieder regnet, werden wir nie rechtzeitig fertig. Hat jemand den Wetterbericht gehört?
Der ist eh immer falsch.
Wie die Horoskope.
Wie die Gebete, die nie erhört werden.
Wir brauchen Prognosen, keine Prophezeiungen. Es ist doch schon alles da: Tornados, Wirbelstürme, schmelzende Gletscher. Hitze, Kälte, Regen, Schnee."
Das Hörspiel "Kosmokoloss" ist ein interdisziplinärer Diskurs aus Religion, Wissenschaft und Kulturgeschichte: Noah baut seine Arche gegen die Sintflut, der Biophysiker James Lovelock präsentiert seine Gaia-Hypothese, in der er die Erde als Organismus vorstellt und auch Frankenstein taucht auf, stellvertretend für den Mensch, der sich über die Natur erhebt.
"Die Meteorologen können jedenfalls nichts vorhersagen. Sie sind unfähig.
Wir müssen ihnen dennoch vertrauen.
Wie den Astrologen.
Nein.
Wie den Propheten.
Nein. Es ist kalt für die Jahreszeit. Findet ihr nicht? Es gibt keine Jahreszeiten mehr. Und ihr glaubt wirklich, dass das unsere Schuld ist..."
Eindringliche Free-Jazz-Klänge und Atmo-Geräusche
All die unterschiedlichen Positionen fließen zusammen in den eindringlichen Free-Jazz-Klängen und Atmo-Geräuschen des in Teheran geborenen und in München lebenden Experimental-Musikers Saam Schlamminger. Sie machen aus diesem Hörspiel ein unter die Haut gehendes Alptraum-Szenario.
Die Dringlichkeit der Thematik einer nahenden Apokalypse wird durch die subtile musikalische Umsetzung zu einer Art inszeniertem Amoklauf - Aufstieg und Fall von Mensch und Umwelt im Spannungsfeld zwischen Humanismus und Klimakatastrophe. "Kosmokoloss" ist ein Mahnruf für den Kampf um eine bessere Welt.
"Sie wollen uns alles nehmen.
An einem Tag ist es der Tabak, an einem anderen das Auto, das Fleisch, und jetzt das Flugzeug, wegen des CO2.
Und wir nehmen das alles gläubig hin.
Sie treiben uns in eine neue Steinzeit. Wir brauchen endlich eine demokratische Debatte.
Ob sie uns die Fernseher lassen?
Jetzt aber an die Arbeit. Zum Reaktor geht es hier lang.
Und die Arche?
Noah.
Hört ihr denn nicht wie das Wasser steigt? Und ihr, ihr tut nichts."