Hörer-Wunsch

Wie feiern Roma Weihnachten?

Von Kilian Kirchgeßner |
Roma gelten in der EU mit 12 Millionen Menschen als größte ethnische Minderheit. Welche kulturelle Eigenheiten es an Weihnachten gibt, fragte uns ein Hörer. In der Slowakei gehört "Goja" dazu.
Natürlich gehört viel Musik dazu, wenn in Roma-Familien Weihnachten gefeiert wird. Die Slowakin Agnes Horvathova beginnt zu strahlen, wenn sie an die Heiligen Abende ihrer Kindheit denkt.
"Der Onkel hat das Akkordeon rausgeholt, der Neffe die Gitarre, und so sind wir dann rundgegangen zu allen Familienmitgliedern. Wenn wir jemanden aus der Familie ausgelassen hätten, wäre das die größte denkbare Beleidigung gewesen. Danach haben wir bis in die Nacht geplaudert und die familiäre Wärme genossen. Da haben wir uns immer am meisten darauf gefreut."
Heute lebt Agnes Horvathova längst nicht mehr in einem slowakischen Dorf, sondern in der Hauptstadt Bratislava. Von der Frage, wo eine Roma-Familie wohnt, hängt meistens auch ab, wie sie Weihnachten feiert. Wenn die Familien gut integriert mit der Mehrheitsbevölkerung leben, seien die Traditionen schon seit Jahrhunderten sehr ähnlich, sagt Ethnologe Arne Mann von der slowakischen Akademie der Wissenschaften. In der Slowakei gibt es aber auch etliche Siedlungen, wo die ärmsten Roma ghetto-artig in einfachsten Hütten leben, oft ohne Strom und fließendes Wasser.
"In diesen isolierten Dörfern, wo die Roma in existenziellen Problemen leben, wird Weihnachten anders gefeiert. Da trifft die ganze Familie zusammen, auch von weither – und es wird kein besinnliches Fest, sondern ein krachendes Vergnügen."

Gutes Essen an Weihnachten ist wichtig

Von Familie zu Familie, sagt Ethnologe Arne Mann, variierten die Weihnachtstraditionen – ganz so wie bei der Mehrheitsbevölkerung auch. Manche Roma sind katholisch und pflegen die dazugehörigen Traditionen, andere sind orthodox und feiern deshalb zwei Wochen später. Dass aber die ganze Familie zusammentrifft, das sei so etwas wie der gemeinsame Nenner. Die Art der Feier hängt dann auch davon ab, ob die Roma wohlhabend seien. Zuzana Kumanova vom Roma-Verband In-Minorita sammelt auf ihren Rundreisen die interessantesten Gebräuche, auf die sie bei den verschiedenen Familien stößt.
"Es ist überliefert, dass es um den Überfluss geht. In manchen Orten wird der Weihnachtsbaum je nach Reichtum der Familie geschmückt, bei einigen hängen da zum Beispiel Banknoten dran."
Auch wer sich solche Extravaganzen nicht leisten kann, legt an Weihnachten Wert auf gutes Essen. Die ärmsten Familien aber stoßen da bisweilen an technische Grenzen, hat Zuzana Kumanova beobachtet:
"Während man das Fleisch in einem Topf zubereiten kann, ist es bei den Süßspeisen schwieriger: Viele Familien in den isolierten Roma-Siedlungen haben nur ein einziges Kochfeld."

Gefüllter Darm ist Tradition

Als Hauptgericht wird in vielen Familien bis heute eine Speise gekocht, die früher als traditionelles Roma-Gericht galt – Goja heißt sie. Heute gibt es sie fast nur noch an Weihnachten, sagt Zuzana Kumanova:
"Goja ist gefüllter Darm, da kommt Mehl rein oder geriebene Kartoffeln mit Graupen, oft auch geräuchertes Fleisch. Dann wird es gekocht und anschließend noch im Ofen überbacken. Die Vorbereitung ist ausgesprochen anspruchsvoll, weil der Darm ganz vorsichtig gereinigt werden muss, das kostet sehr viel Zeit – vielleicht ist es auch deshalb heute kein Alltagsessen mehr."
Vor allem geht es an Weihnachten aber um die Musik. Einige Lieder beruhen auf eigenen Roma-Überlieferungen, anderes stützt sich auf das klassische slowakische Liedgut, sagt Ethnologe Arne Mann.
"Früher kamen die Roma an Weihnachten unter die Fenster der Dorfbewohner und sangen die traditionellen Lieder. Sie interpretierten sie mit einem besonderen Akzent, man kann sagen: auf Roma-Art. Das war für die musizierenden Familien wichtig, weil sie dadurch ihr Festessen für Weihnachten verdient haben."
Aber auch bei den Familien, die nicht durchs Dorf ziehen, ist die Musik der Mittelpunkt des Heiligen Abends. Anders sei das Fest einfach nicht denkbar, sagt Agnes Horvathova, die Frau aus Bratislava:
"Als meine Mama noch lebte, sagte sie immer: Wenn ihr nicht zum Singen vorbeikommt, dann ist für mich nicht Weihnachten."