Hörspiel "Der Absprung" im Altenburger Schlosshof

Lehrstück über Rassismus und überforderte Politiker

Der Hof des Altenburger Schlosses, links der Festsaalflügel, im Hintergrund der Mantelturm, rechts der Hausmannsturm.
Der Hof des Altenburger Schlosses © picture alliance / dpa / Jan-Peter Kasper
Von Henry Bernhard |
Im Altenburger Schlosshof können Besucher an diesem und am nächsten Wochenende das Hörspiel "Der Absprung" von Paul Plamper erleben. Es befasst sich mit der jüngsten Vergangenheit der Stadt und den Auswirkungen der Flüchtlingsdebatte.
"Der Absprung" beginnt mit dem Sprung des Darstellers des Hauptmanns von Köpenick von der Bühne ins Publikum. Natürlich nur rein akustisch: Auf einem Sprungbrett im Fenster hoch oben im Altenburger Schloss steht ein Lautsprecher.
Die Zuhörer des Hörspiels sitzen zwischen elf weiteren Lautsprechern im Schloßhof, also mitten im Geschehen. Das Geschehen in einer deutschen Kleinstadt. Sie heißt "Leerstadt". "Leer" mit Doppel-E, das verweist darauf, dass die Stadt sich nach 1989 bedrohlich verkleinert hat – wie auch, aber eben nicht nur: Altenburg.
Ein Lehrstück im Brechtschen Sinne, darüber, was in Deutschland gerade schief läuft. Es geht um Rassismus und besorgte Bürger, um brennende Asylbewerberheime, um Konflikte mit Ausländern, um überforderte Politiker und um Journalisten, die nach prägnanten Schlagzeilen gieren. Einfach aber macht es sich Paul Plamper keineswegs. Jeder kriegt bei ihm sein Fett weg: Die Lokalpolitik, die Journalisten, die Bürger, die in ihrer entvölkerten und gebeutelten Stadt die Anwesenheit von Geflüchteten bekämpfen, die Flüchtlinge selbst.

Dunkelhäutiger Schauspieler wird aus der Stadt geekelt

"Leerstadt" könnte fast überall sein. Aber wer die lokalen Verhältnisse kennt, hört geradezu ein Schlüssel-Hörspiel. Der Schauspieler des Hauptmanns von Köpenick mit seinem gebrochenen Deutsch verweist auf eine reale Altenburger Geschichte. Im vergangenen Jahr hatte hier Ouelgo Téné, ein junger dunkelhäutiger Schauspieler aus Burkina Faso, den Hauptmann gespielt - in einer gefeierten Inszenierung. Mit dem Ablauf der Spielzeit verließ er vorzeitig die Stadt - wegen permanenter rassistischer Beleidigungen und gelegentlicher Übergriffe. Mit ihm gingen drei andere Schauspieler nichtdeutscher Herkunft.
Diese und andere wahre Geschichten verfremdet Paul Plamper nur leicht: Da ist der Oberbürgermeister, der sich nicht so recht von Rechtsextremen abgrenzen will. Oder die Geschichte eines Kühlschranks, der durch das geschlossene Fenster einer Flüchtlingsunterkunft auf die Straße kracht. Auch er fällt akustisch vom Schloßfenster zwischen die Zuhörer.

Ein Versuch, den Oberbürgermeister zu verstehen

Obwohl die Geschichten in der Stadt bekannt sind, obwohl Figuren wie z.B. der Oberbürgermeister klar zu identifizieren sind, will Paul Plamper nicht von einem dokumentarischen Hörspiel sprechen:
"Ja, ich habe eine große Antipathie verspürt, wie weit er klar rechte Thesen toleriert hat. Und dann, nach Recherchen, konnte ich auch zunehmend verstehen, zumindest einen Aspekt an seinem Handeln, nämlich, dass er bestimmte Altenburger nicht verlieren wollte. Er wollte sie nicht an die Ultrarechten verlieren. Eigentlich war ein bisschen meine Arbeit der Versuch, ihn zu verstehen, also den Oberbürgermeister zu verstehen. Der Versuch!"

Begeisterung und Beklommenheit beim Publikum

Das Publikum nahm das Stück begeistert und beklommen auf, zuallererst die Laiendarsteller, die neben Profis wie Peter Kurth und Fabian Hinrichs brillierten, zum Beispiel die Altenburgerin Dana Weber, die mit der von ihr gesprochenen Landrätin förmlich verschmolz:
"Ich bin sehr beeindruckt! Aber es macht auch Angst! Also dieser Fabian Hinrichs, der ist ja dermaßen genial und verführerisch als Bürgerbund-Sprecher! Ich habe mir alle Mühe gegeben, in meiner Rolle dagegen zu steuern! Auch diese Räumlichkeit hier, das ist sehr beeindruckend! Das ist ja noch was ganz anders, als wenn es im Radio kommt. Das ist faszinierend."
Den letzten Sprung im Stück machte wieder der Darsteller des Hauptmanns von Köpenick. Er springt und verschwindet wie in einer Apotheose. Die Probleme, die Konflikte aber bleiben – auch nach Abgang des "Ausländers".
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