Elias Canetti: Die Blendung
Hörspiel in der Regie von Klaus Buhlert
der Hörverlag, München 2013
12 CDs, Gesamtlaufzeit 10 Stunden und 16 Minuten, 49,99 Euro
Entlarvende Sprache
Vor dem Hintergrund des hereinbrechenden Faschismus erzählt Elias Canetti die Geschichte eines Sprachwissenschaftlers, der die Zeichen seiner Zeit ignoriert. Regisseur Klaus Buhlert hat Canettis infernalischen Ton im Hörspiel kunstvoll inszeniert.
Erzähler: "Professor Peter Kien, ein langer hagerer Mensch, Gelehrter, Sinologe von Hauptfach, steckte das chinesische Buch in die volle Tasche, die er unterm Arm trug, verschloss sie sorgfältig, und sah dem klugen Jungen nach, bis er verschwand.“
Kiens ganzer Stolz ist seine 25.000 Bände umfassende Privatbibliothek – die bedeutendste der Stadt. Die in vier Zimmern stehenden Bücher machen Kiens eigentliche Welt aus. Dass es noch eine Welt außerhalb dieser Bibliothek gibt, tangiert ihn nur wenig. Gern würde der ein Bücherreich verwaltende Herrscher jeglichen Kontakt mit dieser Welt aufkündigen, aber er hat Ansprüche.
"Fürs Kochen genügt eine gewöhnliche Wirtschafterin. Für Kinder muss man sich eine Mutter halten. Wenn eine Mutter nur Mutter wäre. Welche begnügt sich aber mit ihrer eigentlichen Rolle? Im Hauptfach ist eine jede Frau und stellt Ansprüche. Kien verzichtet auf eine Frau. Frauen waren ihm bisher gleichgültig, gleichgültig werden sie ihm bleiben.“
Als Kien diesen Grundsatz aufgibt und sich die 16 Jahre ältere Therese Krumbholz als Wirtschafterin ins Haus holt, nimmt die Katastrophe ihren Verlauf. Aufmerksam wurde Kien auf Therese, als sie sich einen Roman bei ihm auslieh. Geblendet von ihrem Interesse an einem Buch, bemerkt er dabei nicht ihren blendend ausgedachten Plan – in dem Bücher eine gänzlich unwesentliche Rolle spielen.
"Das viele, viele Geld. Der gehört unter Kuratel. Wie der mit dem Geld wirtschaftet. Was macht er mit den vielen Büchern. Er glaubt, er kann jede zum Narren halten. Sie hält man nicht zum Narren.“
Kleine und große Verhältnisse
Das ungleiche Paar, Therese Krumbholz und Peter Kien, hat Regisseur Klaus Buhlert mit zwei großartigen Sprechern besetzt. Samuel Finzi gibt Kien, diesen Bewohner eines Elfenbeinturmes als eitlen, selbstgefälligen Toren und Birgit Minichmayr verleiht der Therese die markig-frechen Züge einer schamlos kalkulierenden Person, der alle Mittel recht sind, um ihr Ziel zu erreichen. Kien, der groß tut, will sie klein halten. Therese wiederum, aus kleinen Verhältnissen kommend, wittert ihre Chance, durch die Ehe mit Kien nach oben zu kommen.
"Ein Mensch ist nicht zum Lieben auf der Welt. Er hat nicht aus Liebe geheiratet. Er wollte seine Bücher versorgen.“
In Buhlerts Hörspielinszenierung entlarven sich die Figuren durch ihre Sprache. Ihr hinter einer Maske verborgenes wahres Gesicht offenbaren sie durch das, was sie sagen.
Dialog Therese/Kiens:
"Wie man sich bettet, so liegt man.“
"Das interessiert mich nicht.“
"Er hat gesagt, die Betten sind gut.“
"Welche Betten?“
"Die Ehebetten können sich sehen lassen.“
"Ehebetten!“
"Das heißt bei den Menschen so.“
"Ich führe keine Ehe!“
"Hab’ ich vielleicht aus Liebe geheiratet?“
"Meine Zeit ist kostbar.“
"Aufs Standesamt müssten beide Teile ...“
"Ich mache kein Testament!“
"Wer denkt ans Vergiften?“
"Ein vierzigjähriger Mann ...“
"Die Frau ist wie dreißig.“
"Siebenundfünfzig.“
"Das hat mir noch niemand gesagt.“
"Wie man sich bettet, so liegt man.“
"Das interessiert mich nicht.“
"Er hat gesagt, die Betten sind gut.“
"Welche Betten?“
"Die Ehebetten können sich sehen lassen.“
"Ehebetten!“
"Das heißt bei den Menschen so.“
"Ich führe keine Ehe!“
"Hab’ ich vielleicht aus Liebe geheiratet?“
"Meine Zeit ist kostbar.“
"Aufs Standesamt müssten beide Teile ...“
"Ich mache kein Testament!“
"Wer denkt ans Vergiften?“
"Ein vierzigjähriger Mann ...“
"Die Frau ist wie dreißig.“
"Siebenundfünfzig.“
"Das hat mir noch niemand gesagt.“
Dass es sich bei dieser babylonischen Sprachverwirrung um eine formale Besonderheit von Canettis Romans handelt, die eine gewaltige, in den Untergang führende Wirkung hat, zeigt sich im Handlungsgeschehen, das in Buhlerts gelungener Inszenierung überzeugend herausgearbeitet wird. Canetti hat seinem Roman einen infernalischen Ton unterlegt, der in Buhlerts kunstvoller, den Roman erschließender Hörspielbearbeitung zu hören ist.
"Es schlägt elf. Aus der ersten Zeile löst sich ein Stab und schlägt ihm eine um die Ohren. Blei. Das tut weh. Schlag. Au. Noch einer. Zu Hilfe. Eine Fußnote tritt ihn mit Füßen. Immer mehr. Er taumelt. Zeilen und ganze Seiten, alles fällt über ihn her. Die schütteln und schlagen ihn, die beuteln ihn, die schleudern ihn einander zu. Blut. Lasst mich los, verdammtes Gesindel. Zu Hilfe, Zu Hilfe!“