Ein Krimi als politisches Gleichnis
Ödön von Horvaths Roman "Jugend ohne Gott" als Hörspiel: Packend und feinsinnig zeichnet der Regisseur Uwe Schareck die beklemmende und feindselige Stimmung am Anfang der NS-Diktatur nach - und zeigt, wie die große Politik aufs Leben der kleinen Leute durchschlug.
Dieses Hörspiel ist eine kunstvoll inszenierte Collage aus Krimi, politischem Lehrstück, historischer Dokumentation und literarischer Fiktion.
"Jetzt lass mich los!"
Alles, um zu zeigen, wie die große Politik zu Beginn der 30er-Jahre direkt durchschlug aufs Leben der kleinen Leute.
"Wer mit Verbrechern und Narren zu tun hat, muss verbrecherisch und närrisch handeln, sonst geht er unter - mit Haut und Haar."
(Schulglocke)
"Lieber Brot als tot."
(Schulglocke)
"Lieber Brot als tot."
Atmosphärisch an die Gegenwart gerückt
Regisseur Uwe Schareck rückt den 1937 erschienenen Roman "Jugend ohne Gott" von Ödön von Horvath atmosphärisch näher an die Gegenwart. Die Stimmen seiner Sprecher, unter anderem Matthias Bundschuh und Daniel Rothaug, scheinen nicht aus den 30er-Jahren zu kommen, sondern eher aus einem Tatort der 60er. Denn es gab keinen sauberen Schnitt nach 1945. Es gilt, wachsam zu sein. Rückfälle sind möglich. Jederzeit.
"Was wird das bloß für eine Generation?"
Fragt sich der Lehrer mit Blick auf seine Schüler, die meisten begeisterte Anhänger des "Führers".
"Eine harte? Oder nur eine rohe?"
Ohne Moral in einer unmoralischen Welt
Es ist eine "Jugend ohne Gott", ohne Moral in einer unmoralischen Welt, konstatiert der Lehrer. Wenig später ist er seine Stellung los. Der Grund: In Klassenarbeiten zum Thema "Die koloniale Frage" hatte einer seiner Schüler sinngemäß geschrieben, Schwarze seien Untermenschen. Er hatte ihm das als Fehler angestrichen. Die Eltern verlangten daraufhin seine Absetzung. Allen voran der Bäckermeister:
"Mein Sohn Otto hat mir erzählt, dass Sie eine unerhörte Bemerkung gemacht haben."
"So?"
"In der Geographiestunde: Auch die Neger sind Menschen. ... Das ist Sabotage am Vaterland."
"So?"
"In der Geographiestunde: Auch die Neger sind Menschen. ... Das ist Sabotage am Vaterland."
Die Nationalsozialisten wollten eine vollständige Umerziehung des Menschen – körperlich, geistig und seelisch. Ödön von Horvath betrachtet genau das: Wie kamen die Menschen damit klar? War es ihnen unheimlich, dass die Ideologie sich noch in den hintersten Winkeln ihrer Seelen einnistete? War es ihnen peinlich, dass ihr Geist mit einer kindlichen Über- und Untermenschentheorie abgespeist wurde? Oder waren sie erleichtert, dass ihnen Denken und Fühlen abgenommen wurde? Fragen, die zur damaligen Zeit gefährlich waren. Zumal Horvath einer von wenigen Autoren war, die – trotz Publikations- und Aufführungsverbot – in Deutschland blieben und schrieben, was sie sahen.
"... und rechts um, Regiment marsch, ein Lied!"
"Schwarzbraun ist die Haselnuss, schwarzbraun bin auch ich, ja ich."
"Schwarzbraun ist die Haselnuss, schwarzbraun bin auch ich, ja ich."
Ein großer finanzieller Erfolg für den Autor
"Jugend ohne Gott", erschien in Amsterdam und war sofort ein großer finanzieller Erfolg. Der Autor konnte viele Übersetzungsrechte verkaufen. Warum? Vermutlich weil er herrschende Typen treffend beschrieb. Hier den vom Nazi-Getöse peinlich berührten Schuldirektor:
"Ich könnte dem Zeitgeist widersprechen und mich von einem Herrn Bäckermeister ins Gefängnis bringen lassen. Aber ich möchte die Altersgrenze erreichen und die volle Pension beziehen."
Dies ist auch ein gleichnishafter Krimi. Deshalb zeichnet Horvath keine fein ausgestalteten Charaktere, sondern Typen. Sie heißen Mutter, Vater, Lehrer, Fabrikant. Die Schüler nennt er nur mit Anfangsbuchstaben. Auf diese Weise macht er deutlich: Der Einzelne ist immer ein Kind seiner Zeit.
Regisseur Uwe Schareck zeichnet die beklemmende und feindselige Stimmung nach, die zu Beginn der Nazizeit herrschte, und zwar sowohl auf packende als auch feinsinnige Weise. Sein Hörspiel "Jugend ohne Gott" lädt überdies zur Wiederentdeckung des ein wenig in Vergessenheit geratenen Romanciers und Bühnenautors Ödön von Horvath ein.