Hörspiel

Wenn der Hass gut gelaunt ist

Der Schweizer Theaterregisseur Milo Rau am 1. März 2013 in Moskau.
Milo Rau © dpa / picture alliance / TASS / Novoderezhkin Anton
Von Jochen Meissner |
Das Hörspiel drängt auf ungute Weise zum Mainstream. Beim traditionsreichen Preis der Kriegsblinden gewann mit "Hate Radio" das inhaltlich unbequemste Stück, das formal noch am ehesten den Anforderungen für Radiokunst entspricht.
Seit beim Hörspielpreis der Kriegsblinden nicht mehr nur ein Preisträger benannt wird, sondern zur Preisverleihung drei Finalisten ins Rennen geschickt werden, muss man sich Gedanken machen, ob er wirklich noch ein "Preis für Radiokunst" sein will, wie sich der Kriegsblindenpreis im Untertitel nennt. Denn es lässt sich ein unguter Drang zum Mainstream feststellen, der das handwerklich gut Gemachte dem ästhetisch Innovativen vorzieht.
25 Stücke standen in diesem Jahr zur Auswahl. Ins Finale hat es unter anderem der älteste Hörspielnachwuchsautor geschafft, der 74-jährige Gert Roland Stiepel mit seinem satirischen Hörspiel "Abschiedsgeschenk", einer Produktion des Norddeutschen Rundfunks:
Susanne: "Zeig mal her. Bitte beurteilen Sie auf einer Skala von 0 bis 9, wie sie ihre derzeitige Lebenssituation und ihren aktuellen Gesundheitszustand einschätzen. Antworten Sie auf alle Fragen nach bestem Wissen und Gewissen, denn nur so kann bei der Auswertung des Fragebogens Ihr persönlicher Restlebenswertindex (peReli) exakt ermittelt werden."
Nachrichtensprecherin: "Der Begriff ,kassenunverträglicher Langzeitleistungsinanspruchnehmer' wurde von der Jury zum Unwort des Jahres gewählt. Auf dem zweiten Platz landete die Bezeichnung persönlicher Restlebenswertindex (peReli). Wie der Präsident der deutschen Akademie der ..."
Michael: "Susanne, kannst du mal das Radio ausmachen."
Die Form von Stiepels Hörspiel ist konventionell, die Figuren sind eher grob gezeichnet und das eigentlich Interessante findet neben der Handlung statt, in den Nachrichten, Werbespots und Fernsehtalkshows, die Regisseur Christoph Dietrich in das Hörspiel eingestreut hat.
"Heidi Heimat. Hörspiel von Robert Schoen."
Der zweite Finalist, der Autor und Regisseur Robert Schoen hat 2011 mit seinem Stück „Schicksal, Hauptsache Schicksal" – einer Paraphrase auf Joseph Roths "Die Legende vom Heiligen Trinker" den Hörspielpreis der Kriegsblinden gewonnen. Mit "Heidi Heimat", einer Autorenproduktion für den Hessischen Rundfunk, hat er wieder die Form der sehr freien Bearbeitung einer Vorlage gewählt. Diesmal dient ihm eine Verfilmung eines Heidi-Romans von Johanna Spyri aus dem Jahr 1952 als Vorlage, die er von Asylbewerbern und anerkannten Asylanten nacherzählen lässt. Die Gemeinsamkeit zwischen ihnen und Heidi besteht darin, dass sie ihre Heimaten – von Guinea bis Georgien, von Angola bis Usbekistan – nicht freiwillig verlassen haben.
Mann 1: "Der Großvater, der wird beschuldigt, ein Feuer gelegt zu haben und dabei sind zwei Menschen gestorben, einmal die Tochter und der Schwiegersohn glaube ich, die Mutter von Heidi und der Vater."
Mann 2: "Aber wenn er diesen Scheiß gebaut hat, dann ich finde die Dorfbewohner normal, dass sie ihm aus dem Dorf geschickt haben, aber wenn sie haben von ihm distanziert aus Ungerechtigkeit, dann würde ich diese Seite ganz mit anderen Augen sehen und das zeigt der Film nicht."
Was aber tun, wenn die bewährten Mittel der Übertreibung und Überspitzung nicht mehr funktionieren wie bei Roland Stiepel, und man nicht auf den puren O-Ton zurückgreifen will, weil der Gegenstand, mit dem man es zu tun hat, schon mit den größtmöglichen Überbietungen und Vergröberungen arbeitet?
"Der geilste Sender für euer Land"
Der Schweizer Dramatiker Milo Rau hat in seiner Theaterinszenierung "Hate Radio" das Programm des ruandischen Privatsenders RTLM nachgestellt. Seine Dramaturgin Milena Kipfmüller hat diese Inszenierung in sein Ausgangsmedium, das Radio, zurückgebracht und es mit echten Moderatoren nachgespielt. Dabei stellt man fest, wie indifferent das Format Radio-Show gegenüber seinen Inhalten ist. Solange der Sound stimmt und die Moderatoren gut drauf sind, lassen sich die Hörer zur Teilnahme an Gewinnspielen ebenso animieren wie zur Teilnahme am Völkermord.
Valeri Bemeriki: "Leute, hier ist RTLM, der geilste Sender für euer Land. Zum Glück habt ihr euch für uns entschieden. Wir sind hier für euch. Ihr habt uns gut zugehört, ihr habt gründlich natürlich auch nachgedacht und ihr habt euer Gewissen auch befragt und ihr habt, sehr wichtig, alles verstanden. – Yes. – Denn zum Glück haben sich ja die Dinge sehr schnell entwickelt, so dass sich die Kakerlaken und ihre Komplizen sehr fix in den Abwassergräben wiedergefunden haben."
Kantano: "Beim Feedback erst mal was Positives. Valerie machts richtig. Aber es gibt noch welche."
George: "Abwassergräben oder was?"
Kantano: "Nee, nee, nee, Rebellen, George. Ich finde das auch gar nicht so witzig, weil: sie haben unsere Kinder umgebracht, sie haben unseren Präsidenten getötet, sorry, ja? Das hast du auch scheiße gefunden, ja und sie töten sogar unsere Babys. Also verliert sie nicht aus den Augen, überwacht sie, verfolgt sie und zwar egal, ob ihr eine Frau, ein alter Mann oder ein Kind seid."
Bermeriki: "Das kann jeder, ran!"
In "Hate Radio" dreht sich das Radio um sich selbst und bleibt in seiner Form dennoch eindimensional. Es ist dokumentarisch in der Verwendung der Mittel eines formatierten Programms, leider ohne über die bloße Abbildung hinaus das Radio selbst zum Schauplatz der Auseinandersetzung zu machen. Zwischen die locker-flockig moderierten Aufrufe zur Menschenjagd sind Augenzeugenberichte von Überlebenden der Massaker montiert.
Max von Malotki war einer der Moderatoren des Hörspiels:
"Tatsächlich ist es so: Man stumpft ab. Also man macht das und dann ist das so ein Flow. Und dieser Flow macht natürlich unheimlich Spaß. Wir haben das in einem echten Radiostudio aufgenommen zu viert in einem Stück, da ist glaube ich ein Schnitt oder so drin. Und dann spricht man aber diese Zeugenaussagen und wenn man die spricht und diese andere Seite hat, dann läuft's einem rauf und runter und dann kann man auch einen Tag lang überhaupt nichts mehr machen, was mit Spaß zu tun hat."
Deshalb wurde "Hate Radio" wurde mit den 63. Hörspielpreis der Kriegsblinden ausgezeichnet. Die paritätisch aus Fachkritikern und Kriegblinden zusammengesetzte Jury hat sich für das inhaltlich unbequemste Stück entschieden, das formal noch am ehesten den Anforderungen eines Preises für Radiokunst entspricht.