Hörspielregisseur Klaus Buhlert über "Die Welpen"

    Sprechende Welpen und weitere Wirrnisse

    Der Regisseur Klaus Buhlert bei einer Hörspielaufnahme im Studio.
    Der Regisseur Klaus Buhlert © Deutschlandradio / Noel Tovia Matoff
    Klaus Buhlert im Gespräch mit Sarah Murrenhoff |
    Pawel Salzman hatte eine Überraschung in seinem Nachlass: den Roman "Die Welpen". Klaus Buhlert hat ihn zu einem dreiteiligen Hörspiel bearbeitet. Im Interview erzählt der Hörspielregisseur, wie ein Text akustisch wird und was Salzman zu einem der ersten modernen Autoren macht.
    Deutschlandfunk Kultur: In Pawel Salzmans Roman "Die Welpen" streifen junge Hunde durch ein von Krieg und Bürgerkrieg geplagtes Russland. Der Autor weiß, wovon er spricht, er hat Krieg und Hunger am eigenen Leib erlebt. Seine Eltern sind sogar verhungert. Im Roman schildert der Erzähler diese Erfahrungen aber aus der Sicht von Tieren, insbesondere von Welpen. Warum?
    Klaus Buhlert: Warum ist eine gute Frage, die Sie nicht mir, sondern Pawel Salzman stellen sollten. Aber ich versuche mal für ihn zu antworten, weil ich das Buch inzwischen – Gott sei Dank – gelesen habe. Ich glaube, dass Salzman moralisches Erzählen, Schwarz-Weiß-Malereien – oder Rot-Weiß-Malereien in diesem Fall, russische Revolution, Weißgardisten und dergleichen – vermeiden wollte. Das moralische Beurteilen dieser Entfremdung der Welt und dieses entmenschlichten Verhaltens, das überlässt er lieber Lebewesen, die keine Beurteilungsfähigkeit haben. Die das Leben so sehen, dass es nicht in bestimmte Schablonen passt, sondern wie es sein soll, wie es ist, aus einer Annäherung beschreiben und gleichzeitig aus einer Fremdheit. Deswegen hat er Welpen gewählt. Das ist ein sehr schöner literarischer Kniff, um eine Sache interessant zu gestalten, über die man genauso gut klischeehaft und moralisierend schreiben könnte.
    Deutschlandfunk Kultur: Diese Entfremdung merkt man nicht nur an Salzmans Protagonisten, sondern auch an seiner Sprache. Was macht die Sprache von "Die Welpen" so besonders?
    Klaus Buhlert: Pawel Salzman hat es geschafft, die Sprache in einer anderen Form zu benutzen als sie in Russland damals benutzt worden ist. In Russland gab es zwei Arten von Sprache: Die eine war "Bullen schreien militärische Befehle" und die zweite war: beten, seufzen und sich aus allem Realen heraushalten. Er hat versucht, einen Mittelweg zu gehen und die Sprache wieder – in diesem Fall – Tieren und ihrer Empfindung zuzuschreiben und hat damit einen expressionistischen Sprachtrick für den Roman gefunden, der gut funktioniert meines Erachtens.
    Deutschlandfunk Kultur: Was ist das große Thema des Romans?
    Klaus Buhlert: Das große Thema des Romans ist eigentlich der Verlust von Menschlichkeit. Der Verlust von Humanität, der Verlust von Vertrauen und der Verlust von Liebe. Und dadurch, dass Pawel Salzman so schreibt, wie er schreibt, und nicht permanent darauf hinweist, was wir eigentlich suchen, sondern dass er das Vermisste einfach als Vakuum beschreibt und darstellt, empfindet man diese unfassbare Zone. Die Zone der Unmenschlichkeit, in die man eintritt, die Brutalität und diese unglaubliche antihumanistische Kraft, die der Roman, wenn man ihn aufschlägt, plötzlich eröffnet. Weil keiner sagt "das muss so oder so sein", sondern man erfährt es selbst. Es ist, als ginge man durch eine Welt und man merkt, wie hart, wie brutal, wie öde und leer diese Welt ohne Liebe ist.
    Pavel Zaltsman im Jahr 1983
    Der Autor von "Die Welpen", Pawel Salzman, im Jahr 1983© E Zaltsman, M Zusmanovich
    Deutschlandfunk Kultur: Pawel Salzman wurde zunächst als Maler bekannt, hat als Szenenbildner für den Film gearbeitet. Beides merkt man seiner Schreibweise an. Sie haben "Die Welpen" als Hörspielfassung adaptiert. Was macht den Text akustisch?
    Klaus Buhlert: Ich würde sagen, es ist ein Audiofilm geworden, ein Stummfilm andersherum: Das heißt, die Bilder muss man im Kopf evozieren, wenn man zuhört. Man kann seinen eigenen Audiofilm abspielen lassen. Bei Pawel Salzman entstehen magische Momente, die aus seinem bildnerischen Schaffen kommen, aus seiner optischen Welt, die er in seinen literarischen Kosmos hinein impliziert. Und wir mussten das natürlich umsetzen in spannende akustische Räume beziehungsweise Zustände, die eine Art Audiofilm evozieren. Damit man weiß, wo man ist, mit wem man da ist. Und was das Spannende, das Traumhafte dieser Sequenzen ist.
    Deutschlandfunk Kultur: Der Roman ist unvollendet geblieben und besteht aus vielen unterschiedlichen Fragmenten. Es ist schwer, eine stringente Handlung auszumachen. Was macht den Reiz des Romans aus?
    Klaus Buhlert: Pawel Salzman wollte einen Zustand der Welt zu seiner Zeit darstellen. Und zwar über einen großen Zeitraum: der Bürgerkriege, der russischen Wirrnisse. Und diesen Zustand beschreibt er natürlich als Filmemacher, als Set-Designer. "Die Welpen" ist ein Roman der Moderne, der auch mit modernen Mitteln arbeitet. Das Fragment, der Riss, die Andersartigkeit der Abfolge von Dingen, die Tatsache, dass sie nicht zeitlich chronologisch ablaufen, sondern dass sie eher bruchstückhaft ineinander geschoben sind, all das sind Kennzeichen der Moderne des Romans. Ich habe mich mehrfach gewundert, wie Pawel Salzman beim Schreiben Methoden anwendet, die in der Literatur der Moderne erst sehr viel später auftauchen. Salzman hat diese Methoden damals schon intuitiv aus seinem bildnerischen Schaffen übernommen. Und das ist eigentlich das kolossal Neue und Wunderbare dieses Romans.
    Pawel Salzman im Juli 1940
    Pawel Salzman, der Autor von "Die Welpen", im Juli 1940© E Zaltsman, M Zusmanovich
    Deutschlandfunk Kultur: Der Roman hat drei unterschiedliche Schauplätze und die Handlung spielt zu drei unterschiedlichen Zeiten. Aber die Protagonisten – die Welpen – bleiben immer Welpen. Warum werden sie nicht erwachsen?
    Klaus Buhlert: Zum einen hat Salzman natürlich nicht geplant, 30 Jahre an dem Roman zu schreiben. Eigentlich war sein Plan, ihn in Sibirien anzufangen und dort auch zu vollenden. Er hat in Sibirien allerdings nur den ersten Teil geschrieben, einen Teil, der dann auch liegen geblieben ist, der abgebrochen wurde, als er dann nach Transistrien gegangen ist und dort den zweiten Anfang konzipiert hat. In Leningrad hat er dann den dritten Anfang konzipiert. Also, es gibt drei Anfänge. Im dritten Teil kommen die Welpen eigentlich nicht mehr vor. Das heißt, er hat sie sterben lassen, bevor sie alt geworden sind. Die drei Teile beziehen sich aufeinander, sind aber eigentlich drei verschiedene Entwürfe für den Roman.
    Deutschlandfunk Kultur: Sind Sie auch im Hörspiel dieser Idee gefolgt?
    Klaus Buhlert: Natürlich, weil es Salzmans Idee war. Und ich musste den Autor natürlich sehr ernst nehmen und auch seinen experimentellen Ansatz. Es ist ein bisschen schwierig zu verstehen, weil die unterschiedlichen Teile keine Handlung durch die Zeit sind, sondern eher eine Parallelhandlung, die immer wieder abbricht, immer wieder neu aufgenommen wird. Figurennamen bleiben dieselben, die Personen sind aber nicht dieselben. Der Sprachstil im Roman ist etwas experimenteller, den man auch bedenken muss in einer Hörspielinszenierung. Das war das Problem, vor dem wir standen.
    Deutschlandfunk Kultur: Wie gehen Sie an so eine Hörspiel-Adaption heran? Hören Sie beim Lesen immer gleich mit oder passiert das in einem zweiten Schritt?
    Klaus Buhlert: Meistens ist es so, dass ich es einmal lese und dann entscheide, ob ich es überhaupt kann oder ob das mein Stoff ist. In diesem Fall war es mein Stoff. Ich mochte das, was Pawel Salzman geschrieben hat, sehr. Ich mochte auch die Andersartigkeit der Literatur, ich mochte den anderen Blick auf die Gesellschaft. Und dann hat der Roman 500 Seiten… Aus diesem Roman dann eine vierstündige Hörspieladaption zu schreiben, das ist schon etwas kompliziert, weil man viel Text im Roman lassen muss und eben nicht ins Manuskript transportieren kann.
    Deutschlandfunk Kultur: Und wie suchen Sie die Schauspielerstimmen aus?
    Klaus Buhlert: Ich bin seit 30 Jahren in diesem Business und kenne natürlich viele Schauspieler. Ich bin mit vielen befreundet und beim Lesen, beim Bearbeiten des Textes, höre ich die Stimmen fast immer und auch deren Haltung. Und das versuche ich dann im Studio irgendwie umzusetzen, bin aber sehr begeistert, wenn Schauspieler mir bessere Angebote machen als meine eigene Vorstellung ist. Da gibt es viele tolle Leute.
    Schauspieler Thomas Thieme und Regisseur Klaus Buhlert bei der Aufnahme für das Hörspiel "Die Welpen".
    Schauspieler Thomas Thieme und Regisseur Klaus Buhlert bei der Aufnahme für das Hörspiel "Die Welpen".© Deutschlandradio / René Fietzek
    Deutschlandfunk Kultur: Und nachdem Sie so intensiv mit "Die Welpen" gearbeitet haben: Gehört Pawel Salzman in den Kanon der russischen Avantgarde?
    Klaus Buhlert: Ich würde nicht so weit gehen, ihn zum Kanon zu zählen. Ein Klassiker muss sich entwickeln, der muss auch akzeptiert werden, der muss einsickern in die Literatur eines Landes. Diese Möglichkeit bestand bei Pawel Salzman bislang nicht. Das ist ja der einzige Roman, den er geschrieben hat und er wurde erst vor kurzem, nach seinem Tod, veröffentlicht. Aber ich bin jetzt mal gespannt darauf, wie die neuen Veröffentlichungen, seine Gedichte und Kurzgeschichten, angenommen werden. Und ich denke schon, dass dieser Roman einen Platz hat. "Die Welpen" ist schon ein Ausnahmewerk.
    Deutschlandfunk Kultur: Franz Kafka, James Joyce, Michail Bulgakow, Robert Musil – Werke von all diesen Autoren haben Sie zu Hörspielen adaptiert. Reizen Sie vor allem Klassiker?
    Klaus Buhlert: Mich reizt erst mal Sprache und mich reizen intelligente Autoren. Und das sind alles großartige Schriftsteller und aus diesem Grunde haben sie mich interessiert. Ich würde aber auch zeitgenössische Autoren, die ich liebe und die ich verstehe, gerne fürs Hörspiel bearbeiten. Aber es hat sich nun mal so ergeben, dass ich viele von der alten Garde gemacht habe. Kurzum: Es sollte so sein wie bei Pawel Salzman, dass mich Autoren weiterbringen in meinem Denken und in meinem Fühlen.
    Deutschlandfunk Kultur: Was wird denn ihr nächstes Projekt?
    Als nächstes mache ich Thomas Pynchon, auch einen 1200-Seiten-Roman, "Die Enden der Parabel", "Gravity’s Rainbow", also auch wieder so eine Herausforderung, die man erst mal meistern muss in den nächsten zwei Jahren... (lacht)

    Das Interview für Deutschlandfunk Kultur führte Sarah Murrenhoff.

    Der Roman als Hörspiel:
    Hungrige Streuner erleben Gewalt - Die Welpen (1/3)
    (Deutschlandfunk Kultur, Hörspiel, 18.11.2018)
    Orientierungslos in einer fragmentierten Welt - Die Welpen (2/3)
    (Deutschlandfunk Kultur, Hörspiel, 25.11.2018)
    Tier und Mensch im Überlebenskampf - Die Welpen (3/3)
    (Deutschlandfunk Kultur, Hörspiel, 02.12.2018)