Filmschätze in Franken
Das Internationale Filmfestival im Fränkischen Hof ist wohl das kuscheligste und intimste aller Filmfestivals in Deutschland. Hier lassen sich zuverlässig cineastische Entdeckungen machen. Waltraud Tschirner über drei besonders interessante Filme.
Eine Episode, die es so kaum woanders geben dürfte: Ich hatte den bebilderten Katalog und das Programm gründlich studiert, um die wenigen Tage möglichst effektiv zu nutzen. Und da stand weit vorn auf meiner Liste der Film "I am Nojoom - Age 10 and Divorced". Ein Spielfilm , den die Jemenitin Khadija Al-Salami nach der wahren Geschichte eines jemenitischen Mädchens gedreht hat.
Kaum im Kinosaal angekommen, sah ich die Regisseurin vor der Tür: schüchtern und allein. Ich ging auf sie zu und bat um ein Interview nach der Vorführung. Ihr Film war eine Entdeckung. Die Regisseurin, die jetzt in Paris lebt, musste erst einmal hart um die Rechte kämpfen, die eigentlich schon einem französischen Produzenten zugesagt waren. Aber er hatte gegen diese kleine zähe und entschlossene Frau letztlich keine Chance:
"Naja - es ist meine eigene Geschichte. Es ist die die Geschichte tausender anderer Mädchen im Jemen. Deshalb wollte ich die richtige Geschichte erzählen und ich hatte Angst, dass jemand von außerhalb, dem die Kenntnisse über die Kultur und die Tradition des Jemen fehlen, das sicher verzerrt darstellen würde. Deshalb musste ich unbedingt dafür kämpfen. Bei der Konkurrenz stand die Finanzierung bereits, sie hätte noch im selben Jahr drehen können, bei mir hat es dann ganze vier Jahre gedauert, das Geld zusammenzukriegen."
Der Film wurde schließlich unter extrem schwierigen Bedingungen im Jemen gedreht und diese Geschichte über eine Zehnährige, die es schafft, ihrem Ehemann davonzulaufen und so hartnäckig im Gericht sitzen zu bleiben, bis der junge aufgeklärte Richter dieses Mädchen, das eigentlich mit Puppen spielen möchte, aber stattdessen den Sex ihres Mannes und die Schikanen der Schwiegermutter ertragen muss, anhört und ihr letztlich zur Scheidung verhilft.
Der Film wurde schließlich unter extrem schwierigen Bedingungen im Jemen gedreht und diese Geschichte über eine Zehnährige, die es schafft, ihrem Ehemann davonzulaufen und so hartnäckig im Gericht sitzen zu bleiben, bis der junge aufgeklärte Richter dieses Mädchen, das eigentlich mit Puppen spielen möchte, aber stattdessen den Sex ihres Mannes und die Schikanen der Schwiegermutter ertragen muss, anhört und ihr letztlich zur Scheidung verhilft.
Diese Geschichte deckt sich in vielen Details mit Khadija Al-Salamis Leidensweg. Sie wurde mit elf zur Heirat gezwungen und ist daran fast zerbrochen. Wie viele andere betroffene Mädchen hat auch sie versucht, sich das Leben zu nehmen. War dieser Film auch deshalb so wichtig für sie, eine Art Therapie?
"Mädchen kommen aus zweierlei Gründen zur Welt: Um beerdigt oder geheiratet zu werden"
"Ja, es war auch eine Art Therapie für mich, aber in erster Linie wollte ich die Situation im Jemen authentisch darstellen, die wirkliche Kultur, die Tradition hinter diesen Geschehnissen, weil ich weiß, diese Menschen sind keine Monster. Aber sie wuchsen mit bestimmten Werten und Traditionen auf und sind fest davon überzeugt, das Richtige zu tun. Wissen Sie, meine Großmutter hat mir immer gesagt, Mädchen kommen aus zweierlei Gründen zur Welt: Um beerdigt oder geheiratet zu werden. Mich hat das als Kind total schockiert - warum denn nur diese beiden Optionen? Und wenn Du versuchst, Dich gegen diese Tradition zu stellen, dann bist Du verrückt oder ein Outcast. Wenn man aber, wie in meinem Fall, hartnäckig gegen diese Tradition opponiert, dann hat man durchaus eine Chance, die starren Traditionen aufzubrechen."
Bei so einigen Filmen in Hof drängten sich die Begriffe Unschuld und Schuld auf und die Frage, wie schmal der Grat dazwischen ist. Sehr bewegend und ganz in diesem Gedankenfeld auch "Unser letzter Sommer" des polnischen Regisseurs Michal Rogalski, der am Donnerstag in unseren Kinos angelaufen ist. Der Film versetzt einen in ein kleines polnisches Dorf, eine Bahnstation eher, nahe Treblinka.
Es ist 1943, Leben unter der deutschen Besatzung. Obwohl die brutale Grundsituation klar ist, erlebt man zunächst Menschen in wunderschöner Landschaft und mittendrin drei junge Leute, eine Polin, ein Pole und ein Deutscher, die ihre Liebe zu Jazzmusik eint, die eigentlich einfach ihr Leben genießen wollen, dann aber in einen Strudel von Gewalt und Brutalität gezogen werden.
Jonas Nay spielt eine Hauptrolle. Der junge Mann, der prädestiniert scheint für zerrissene nachdenkliche Charaktere ("Homevideo", "Tannbach", "Wir sind jung, wir sind stark", um nur einige seiner Rollen der letzten Zeit zu nennen), hat schnell gewusst, dass er diesen Guido unbedingt spielen muss:
"Das Drehbuch hat einen ganz eigenen Sog für mich entwickelt. Weil man in diesem Stoff ganz dicht an den Charakteren dran ist , weil man sie erst einmal als junge Menschen kennenlernt, die versuchen, eine Art von gesunder Jugend, normaler Jugend mit Wünschen und Ängsten unter diesen absurden Umständen der Belagerungszeit in Polen '43 für sich herzustellen. Man lernt sie als Charaktere kennen, so auch ich meinen Guido, der mir sehr nahe ist, und es wird mit der Zeit immer unbegreiflicher, welche Entscheidungen diese jungen Menschen dann aufgrund des Kriegszustandes treffen müssen."
"Der Moment, in dem man beginnt ein Opportunist zu werden"
Entscheidungen, die sie aber eigentlich nicht treffen können und wollen. Regisseur Michal Rogalski setzt seine jungen Leute im Film unlösbaren Konflikten aus , die im Krieg Alltag waren.
"Ein Startimpuls meiner Überlegungen war mein Gefühl, dass unsere Leben in Europa gerade ziemlich sicher sind und wir uns keine großen Gedanken machen müssen. Das erinnert mich an den Zustand meiner Unschuld. Ich war 12 oder13. Die Eltern haben alles geregelt trotz schwieriger Zeiten in Polen. Und dann habe ich über den Moment nachgedacht, an dem diese Zeit der Unschuld endet. Wo man plötzlich gezwungen ist, selbst Entscheidungen zu treffen, sich bewusst zu werden und für seine Ideale oder seine Ideen selbst einzustehen.
Das ist der Moment, in dem man beginnt ein Opportunist zu werden. Ich weiß sehr wohl, dass der Begriff negativ konnotiert ist. Ich glaube aber, die wahre Bedeutung des Begriffs Opportunist ist, in der Lage zu sein zu überleben. Ganz einfach weil Überleben für jede Kreatur das Wichtigste ist. Natürlich gibt es Werte wie Ehre, wie Gott, die manche Menschen wichtiger finden als zu überleben. Aber ganz normale Menschen, die nicht besonders heroisch sind, wollen schlicht überleben. In der Regel geht es einfach darum, die eigenen Gene weiterzugeben."
Der diesjährige Eröffnungsfilm von Hof war "Ein Atem" von Ipek und Christian Zübert. Er erzählt die Geschichte einer jungen Mutter und - wie es zunächst scheint -, mit allen Wassern gewaschenen Businessfrau aus Frankfurt am Main und einer jungen Griechin, die in Deutschland Arbeit sucht und schließlich bei dieser jungen Familie als Kinderfrau einspringt.
Der diesjährige Eröffnungsfilm von Hof war "Ein Atem" von Ipek und Christian Zübert. Er erzählt die Geschichte einer jungen Mutter und - wie es zunächst scheint -, mit allen Wassern gewaschenen Businessfrau aus Frankfurt am Main und einer jungen Griechin, die in Deutschland Arbeit sucht und schließlich bei dieser jungen Familie als Kinderfrau einspringt.
Sie ist selbst schwanger und der Film kriegt plötzlich eine thrillerartige Eigendynamik, wenn die beiden jungen Mütter um ihre Kinder kämpfen. Was genau stand da am Anfang der Überlegungen zum Drehbuch? Das habe ich Ipek Zübert gefragt, selbst zweifache Mutter, die den Film mit ihrem Mann Christian Zübert geschrieben hat:
"Der erste Ursprung dieser Geschichte, da ging es um Frauen und um Schuld und Vergebung. Also wie man sich schuldig macht, welche Schuldgefühle man selber hat, wie es ist , als Frau in der Gesellschaft zu sein. Vor allem bei Frauen meiner Generation. Wie es ist zu arbeiten, sich um sein Kind zu kümmern, gleichzeitig eine gute Partnerin zu sein, eine sexy Liebhaberin, also diese ganzen wahnsinnigen Aufgaben, die auf einen da zukommen. Wie andere Menschen einen sehen, wie man beurteilt wird, auch von der Außensicht. Wenn die Griechin dahinkommt und denkt, mein Gott, was für eine anstrengende blöde Tussi ist das und man dann im anderen Moment erkennt, das ist genauso eine Frau, die ist genauso verletzlich, wir sind eigentlich alle nur Menschen. Das waren die Gedanken und dann darin eine Verantwortung und halt auch Schuld , die man auf sich lädt.
Und dann auch Griechenland. Wenn man überlegt, dass wir früher EG waren und EU, die Währungseinheit, wie nah wir einander sind. Dass wir eigentlich auf Augenhöhe sein sollten. Grundsätzlich, finde ich ja als Mensch, aber plötzlich so eine Spaltung entsteht, dass die Griechen gar nicht mehr dazugehören sollen, dass sie nicht so viel Wert sind wie wir , wir dürfen über sie entscheiden. All diese Sachen haben da mit reingespielt. Sowohl das Politische als auch das rein Menschliche."
Nur drei von zahlreichen Filmen in Hof, die viel Stoff zum Nachdenken und Diskutieren gaben und wohl noch lange nachwirken werden.