Hoffen auf den Bilbao-Effekt

Von Klaus Englert |
Das Centro ist das erste Werk des brasilianischen Architekten Oscar Niemeyer auf spanischem Boden. Im Alter von 100 Jahren hat er einen Entwurf geschaffen, der das ganze Spektrum seiner Formensprache umfasst. Avilés versucht damit einen kulturellen Aufbruch nach dem Vorbild von Bilbao. Die baskische Stadt hat mit ihrem Guggenheim-Museum ihr Image vollständig umgekrempelt: Von einer dahinsiechenden Industrie-Metropole zur Kultur-Stadt mit internationaler Ausstrahlung.
Das kleine Avilés an der nordspanischen Atlantikküste war einmal ein florierendes Zentrum der Stahlverarbeitung. Doch dann folgten 30 Jahre Flaute und die Stadt versank in Depression. Nun hofft man in Avilés inständig, dass die wirtschaftliche Not ein Ende haben möge. Jetzt wurde ein viel versprechendes Kulturzentrum eröffnet, das kein Geringerer als der brasilianische Architekt Oscar Niemeyer entworfen hat: Der greise Altstar aus Rio de Janeiro, der kürzlich seinen 103. Geburtstag feierte.

Alfonso Torribio, Direktor des Colegio de Arquitectos im benachbarten Oviedo, ist davon überzeugt, dass der Brasilianer Oscar Niemeyer dem kleinen Avilés das geeignete Kulturzentrum beschert hat:

"Niemeyers Architektur könnte sich in Avilés auf ein ganzes Stadtquartier auswirken. Das hängt vornehmlich von der Proportion der Architektur ab. Nicht Größe ist entscheidend, sondern die Form. Die Stadt ist ja relativ klein, die Proportion bleibt also gewahrt."

Das Centro de Arte Oscar Niemeyer liegt jenseits der Ría de Avilés auf einer ehemaligen Hafeninsel. Unter der Frühlingssonne erstrahlen jetzt die vier weißen, betonverschalten Gebäude, die sich vor den Rauchschwaden der Fabrikschlote abheben. Der grandseigneur der brasilianischen Moderne schöpfte wieder einmal aus dem Formenrepertoire der eigenen Architektur, die er in den letzten 70 Jahren errichtet hatte. Das muss auch Torribio eingestehen:

"Die architektonische Qualität des Centro Niemeyer innerhalb von Niemeyers Œuvre ist bemerkenswert. Bedenken Sie, dieser Architekt schickt im Alter von 100 Jahren an die Stadt Avilés einen Entwurf, der das gesamte Spektrum seiner Formensprache aufweist."

Und so verwundert es keineswegs, auch in Avilés die beschwingte Linienführung des beliebten brasilianischen Meisters vorzufinden. Die Hauptattraktion von Niemeyers heiter-exotischer Formenwelt ist die "Schnecke", das große Konzerthaus, das Platz für 980 Besucher bietet. Hier spielte Woody Allen mit seiner Dixieland-Band, als das Auditorium jetzt eröffnet wurde.

Aus dem Setzkasten des Niemeyer-Ateliers stammt auch die gleißende Kuppel der Kunsthalle, in der eine freitragende Wendeltreppe zu einer zauberhaften Galerie hinaufführt. Nicht zu vergessen die geschwungene Fassade des Mehrzweckgebäudes sowie das kreisförmige Restaurant, das einem schwebenden UFO gleicht. Niemeyers Architektur in São Paulo, Rio de Janeiro, Brasilia, Pampulha oder Niterói – das sind die Bezugsgrößen, von denen Alfonso Torribio spricht:

"Das Centro Niemeyer faßt das gesamte Werk Niemeyer zusammen: Es ist ein Register konstanter Variationen der Linie und der geschwungenen Volumina."

"Learning from Bilbao" wurde von den Politikern und Stadtplanern unisono wie ein Mantra wiederholt. Denn im asturischen Avilés, einer Stadt mit verblichenem Charme, der unter abbröckelnder Fassade mancherorts doch noch durchscheint, hofft man verbissen auf bessere Zeiten. Man weiß natürlich, dass Frank O. Gehrys signethaftes Guggenheim Museum die baskische Metropole erfolgreich aus der wirtschaftlichen Misere befreit hat. Nun erwartet man von dem klangvollen Namen Oscar Niemeyer ein ähnliches Wunder für Avilés. Torribio ist sich bewusst, dass vorschnelle Übertragungen zu vermeiden sind:

"Das Modell Bilbao ließ sich bisher nie auf andere Städte übertragen. Avilés könnte jedoch, so meine ich, von einem ähnlichen Phänomen tatsächlich profitieren. In Bilbao kompensierte das Guggenheim den Niedergang der Stahlindustrie. In Avilés kam ebenfalls die Stahlindustrie in die Krise - und es kam Niemeyer."

Allerdings stechen in Avilés aber auch die Unterschiede zu Bilbao hervor. Man setzt nicht allein auf architektonische Highlights, sondern auf städtische Umgestaltung. Und vertraut einem Masterplan, der nachhaltig Infrastruktur, Wirtschaft, Kultur und Tourismus umkrempeln wird.

Als man den Sieger des Masterplan-Wettbewerbs kürte, ging man in Avilés ein weiteres Mal auf Nummer Sicher. Es musste ein Name sein, der in den Ohren der Projektentwickler besonders wohlklingend ist. Und das ist bei Norman Foster garantiert, auch wenn er nicht gerade für die beste Architektur steht. Der britische Lord verfolgt bei seinem spanischen Projekt zwei Ziele: die Stadt zum Wasser hin zu öffnen und auf dem gegenüber liegenden Flussufer das neue Avilés zu errichten. "Isla de la Innovación" soll die Neustadt heißen. Wenn das nicht Erfolg versprechend ist?

"Norman Foster könnte die 'Isla de la Innovación' besser an die Stadt anbinden. Wenn das gelänge, wäre es – nach Guggenheim – das erste Projekt, bei dem der Bilbao-Effekt wirklich funktioniert."

Norman Foster soll für einen Kongresspalast, eine Marina für Segelboote und einen Terminal für Kreuzfahrtschiffe sorgen. Man will also hoch hinaus im beschaulichen Avilés. Allerdings spricht man derzeit nur sehr verhalten von der "Stadt des 21. Jahrhunderts". In Zeiten wirtschaftlicher Krise wirken derartige Ziele reichlich fantastisch.