Wie die deutsche Nationalhymne nach feucht-fröhlicher Runde entstand
Helgoland, 26. August 1841: An diesem Tag dichtet August Heinrich Hoffmann von Fallersleben sein "Deutschland, Deutschland über alles!" Daraus wird später die erste Strophe der bundesdeutschen Nationalhymne, die allerdings nicht gesungen werden darf. Auch ins Grundgesetz hat es die Hymne nicht geschafft.
Die Geschichte vom ersten Aufenthalt auf Helgoland ist schnell erzählt. Der Herr Hoffmann von Fallersleben hatte eine unglückliche Liebe auszukurieren. 20 Jahre später, in seinen Erinnerungen, wird er betonen, die Einsamkeit gesucht zu haben. Und penibel genau aufzählen, mit wem er alles verkehrte: Bankiers, Fabrikanten, Kaufleute etc.
"In diesen einsamen Stunden auf der Klippe, drüben auf der Düne, oder wenn ich allein im Boote hinüberfuhr, entstanden meine 'Helgoländer Länder'."
Romantische Trauerarbeit, Ebbe und Flut der Gefühle.
"Du Kranz der Liebe grün und roth,
Wie bist du jetzt so bleich und todt!"
Wie bist du jetzt so bleich und todt!"
Auf der Überfahrt nach Helgoland wurden auf dem Dampfschiff die Marseillaise, God save und alles Mögliche gespielt. Helgoland ist 1840 englische Besitzung und für den Lieddichter Ausland. Die freie Erfahrung Helgoland stachelt seine Sehnsucht an:
Welch ein Land! kein Soldat,
Kein Gendarm, kein Vogt, kein Magistrat;
Nicht einmal ein bisschen Polizei –
Nein, o nein, das ist mir doch zu frei!"
Kein Gendarm, kein Vogt, kein Magistrat;
Nicht einmal ein bisschen Polizei –
Nein, o nein, das ist mir doch zu frei!"
August Heinrich Hoffmann, 42 Jahre alt, ist 1840 ein bekannter Lieddichter. Den Zunamen von Fallersleben hatte er sich 1821 zugelegt.
Der Traum vom deutschen Vaterland
Kleinstaaterei hat das heimatliche Festland wie Blattern befallen. Und fest im Griff. Hoffmann von Fallersleben träumt von einem deutschen Vaterland. Goethe und Heine sind schon weiter, fordern Menschenrechte ein.
1840 erscheint der erste Teil seiner "Unpolitischen Lieder". Sie rechnen mit dem deutschen Michel und der Zensur ab, sehnen republikanische Rechte und Freiheit herbei.
An Bord des Schiffes fielen "mehrere Hannoveraner, lauter Oppositionsmänner" und "einige Exemplare der Unpolitischen Lieder" auf. Am 21. August trafen weitere Hannoversche Landsleute ein, am Abend versammelte sich die Gesellschaft im Conversations-Haus.
"Es folgte eine Reihe von Trinksprüchen, die alle mit lautem Jubel aufgenommen wurden. Dr. Freudentheil: die gute Sache! Ein anderer: Stüve! Ich: die deutschen Frauen! dann: die Unfähigen!"
Hoffmann von Fallersleben wird, wir greifen hier der Geschichte nur geringfügig voraus, auf der Insel einige Lieder schreiben. Die feucht-politische Gelöstheit der Männergesellschaft führt ihm die Feder. Freie Gedanken auf meerumrauschtem Eiland.
Er greift Trinksprüche und Hochs der geselligen Runden auf. Der Ton ist leicht, die Stimmung forciert, damals gesungenen Trinkliedern angepasst. Zum Beispiel bei der guten Sach – Trinkspruch Dr. Freudentheils am ersten Abend.
"Der guten Sache
Frisch auf! Frisch auf mit Sang und Klang,
Daß Herz und Sinn erwache!
Ein freudig Hoch! ein dreifach Hoch!
Es gilt der guten Sache."
Frisch auf! Frisch auf mit Sang und Klang,
Daß Herz und Sinn erwache!
Ein freudig Hoch! ein dreifach Hoch!
Es gilt der guten Sache."
Oder das mit den Unfähigen. Der eigene Trinkspruch vom ersten Tag der Feiern gerät zum Lied.
"Lied der Unfähigen
Es saust der Wind, es braust das Meer,
Wir wollen nicht erzittern:
Das Recht ist unser Waff` und Wehr,
Wir stehen wie der Fels im Meer
Trotz Sturm und Ungewittern."
Es saust der Wind, es braust das Meer,
Wir wollen nicht erzittern:
Das Recht ist unser Waff` und Wehr,
Wir stehen wie der Fels im Meer
Trotz Sturm und Ungewittern."
Das Wetter ist schön, die Erinnerungen sind es auch.
"Wir machten dann bei dem wunderschönen Wetter eine Umfahrt um Helgoland."
Am 23. August 1841 löste sich die Männerrunde auf, die Hannoveraner Oppositionsmänner verließen die Insel. Wieder allein auf dem Fels, ohne die
"treuherzigen Wesen, die mir so herzliche Theilname bewiesen hatten. Den ersten Augenblick schien mir Helgoland wie ausgestorben, ich fühlte mich sehr verwaist. Und doch that mir bald die Einsamkeit recht wohl: ich freute mich, dass ich nach den unruhigen Tagen wieder einmal auch mir gehören durfte. Wenn ich dann so wandelte einsam auf der Klippe, nichts als Meer und Himmel um mich sah, da ward mir so eigen zu Muthe, ich musste dichten und wenn ich es auch nicht gewollt hätte. So entstand am 26. August das Lied: Deutschland, Deutschland über alles!"
Freie Gedanken - feucht-fröhliche Stimmung
Der Dichter ist sichtlich bewegt - von der Inselstimmung und der Zusammenkunft, von freien Gedanken und feucht-fröhlicher Stimmung.
In der Urschrift des vollständigen Liedes steht neben die dritte Strophe die Variante:
"Einigkeit und Recht und Freiheit
Sind des Glückes Unterpfand.
Stoßet an und ruft einstimmig:
Hoch das deutsche Vaterland!"
Sind des Glückes Unterpfand.
Stoßet an und ruft einstimmig:
Hoch das deutsche Vaterland!"
Auch die zweite Strophe des Deutschlandliedes bleibt in dieser Stimmungslage, greift Trinksprüche auf:
"Deutsche Frauen, deutsche Treue,
Deutscher Wein und deutscher Sang
Sollen in der Welt behalten
Ihren alten schönen Klang.
Uns zu edler That begeistern
Unser ganzes Leben lang -
Deutsche Frauen, deutsche Treue,
deutscher Wein und deutscher Sang."
Deutscher Wein und deutscher Sang
Sollen in der Welt behalten
Ihren alten schönen Klang.
Uns zu edler That begeistern
Unser ganzes Leben lang -
Deutsche Frauen, deutsche Treue,
deutscher Wein und deutscher Sang."
Und die erste Strophe? Die ersten beiden Zeilen sind zumindest "semantisch vage" formuliert, missdeutig. Außerdem fehlt das Prädikat.
Die geografischen Grenzpunkte beschreiben ein recht großes "Vaterland". Nur: Maas, Memel, Etsch und Belt waren nicht die Grenzen des Deutschen Bundes. Und er nimmt Fäden auf, die einst Walther von der Vogelweide gesponnen hatte. Hoffmann von Fallersleben kannte ihn sehr gut und das Zeitgedicht "Preis des Vaterlandes".
"Am 28. August kommt Campe mit dem Stuttgarter Buchhändler Paul Neff."
Im Gepäck hatte der Hamburger Verleger das erste Exemplar des zweiten Teils der Unpolitischen Lieder. Campe versuchte das Honorar zu drücken, andere Dichter seien an Poesie und an Schärfe überlegen.
"Am 29. August spaziere ich mit Campe am Strande. "Ich habe ein Lied gemacht, das kostet aber 4 Louisd'or."
Campe wollte hören.
"Ich lese ihm: 'Deutschland, Deutschland über alles' und noch ehe ich damit zu Ende bin, legt er mir die 4 Louisd'or auf meine Brieftasche."
Campe hoffte, es werde einschlagen und ein Rheinlied werden.
"Ich schreibe es unter dem Lärm der jämmerlichsten Tanzmusik ab, Campe steckt es ein, und wir scheiden."
Schon am 4. September erscheint Campe mit dem Erst- und Einzeldruck wieder, datiert auf den 1. September 1841: "Das Lied der Deutschen", Melodie nach Joseph Haydn`s "Gott erhalte Franz den Kaiser, / Unsern guten Kaiser Franz!".
Am 5. Oktober 1841 wird das Lied zum ersten Male öffentlich gesungen – in Hamburg, im Beisein des Dichters. Die von ihm erhoffte Verbreitung wird es Zeit seines Lebens jedoch nicht finden.
Die 1848er Revolution, Fallersleben ist distanzierter Beobachter, stimmt andere Gesänge an. Im Deutsch-Französischen Krieg erschallt die markige "Wacht am Rhein". 1871 schließlich die ersehnte Reichsgründung. Aber die preußische Königshymne wird Staatslied des Deutschen Reiches. 1874 stirbt Hoffmann von Fallersleben.
Erstmals wird das Lied bei der Übergabe der Insel Helgoland gesungen
Erstmals offiziell gesungen wird "Deutschland, Deutschland über alles" - auf Helgoland; am 9. August 1890, bei der Übergabe der Insel an Deutschland. Kaiser Wilhelm II hatte schon 1872 – damals noch als Prinz Wilhelm - geäußert, dass Helgoland zu Deutschland gehöre.
Dann der November 1914, westlich Langemark. Deutsche Soldaten sollen sich im Nebel mit dem Gesang des Deutschlandliedes orientiert haben. Trotz widersprüchlicher Berichte darüber - ein Mythos ist geboren: Langemarck, das Deutschlandlied.
Am 11. August 1922 erklärt Reichspräsident Ebert das Deutschlandlied zum vaterländischen Gesang, zur Nationalhymne der uneinigen Weimarer Republik.
Die Nazis stellen die erste Strophe des Deutschland-Liedes dem Horst-Wessel-Lied voran, die zweite und dritte Strophe sind verboten.
August 1945. Die britische Militärregierung verbietet, nationalsozialistische Lieder zu spielen oder zu singen. Zitat: "Dieses Verbot bezieht sich auch auf das Deutschlandlied."
Bonn, 23. Mai 1949. Inkraftsetzung des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland. Die Mitglieder des Parlamentarischen Rates und die Regierungschefs der Länder singen die thüringische Volksweise "Ich hab` mich ergeben, mit Herz und mit Hand, du Land voll Lieb' und Leben, mein deutsches Vaterland."
Adenauer hält am Deutschlandlied fest. Im Streit mit dem Bundeskanzler setzt Bundespräsident Heuss am 6. Mai 1952 durch, dass nur die dritte Strophe des "Deutschlandliedes" bei offiziellen Anlässen gesungen wird. Dass alle drei Strophen Nationalhymne werden, kann er nicht verhindern.
1954 - Fußball-Weltmeisterschaft in Bern. Deutsche Schlachtenbummler singen nach dem Endspiel-Sieg die erste Strophe: "Deutschland, Deutschland über alles". Schweizer Radiosender brechen ihre Übertragung ab.
August 1991, im ersten Jahr der Deutschen Einheit. In einem Briefwechsel bestätigen Bundespräsident von Weizsäcker und Bundeskanzler Kohl die dritte Strophe als deutsche Nationalhymne.
Brechts "Kinderhymne", ein Gegenentwurf zum korrumpierten Text des Deutschlandliedes, hat auch diesmal keine Chance.
Bis zum heutigen Tag ist das Deutschlandlied als Nationalhymne der Bundesrepublik nicht gesetzlich geregelt. Im Grundgesetz ist sie nicht erwähnt.