Hoffnung auf die Türkei als möglichen Stabilisator im Syrien-Konflikt
Der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung, Christian Schmidt (CSU), erwartet von den UN-Militärbeobachtern in Syrien eine positive Wirkung bei der Überwachung der Waffenstillstandsvereinbarung. Auch die Türkei könne zur Stabilisierung der Lage beitragen.
Nana Brink: Von Waffenruhe kann in Syrien nicht wirklich die Rede sein: Sie wurde zwar am 12. April vereinbart, aber erst gestern in den frühen Morgenstunden schlug eine Rakete in der Stadt Hama ein, die auch wieder zahlreiche Kinder und Frauen tötete. Wie immer bei solchen Vorkommnissen wissen wir nicht, wer sie geschickt hat – die Gegner von Präsident Assad, die Opposition, schieben sie ihm die Schuhe. Ebenso ungewiss ist die Entsendung der 300 unbewaffneten UN-Militärbeobachter, von denen erst zwölf im Land sind: Der norwegische General Robert Hood soll sie ja leiten, voraussichtlich wird er heute ernannt. Aber die Lage spitzt sich derweil immer mehr zu, weil auch der Nachbar Türkei – immerhin Nato-Mitglied – nun lautstark gegen die Grenzverletzungen syrischer Regierungstruppen protestiert. Wie geht es weiter in Syrien? Ein heikles, diplomatisches Feld, auch für Deutschland, und am Telefon ist jetzt Christian Schmidt, parlamentarischer Staatssekretär im Verteidigungsministerium. Schönen guten Morgen, Herr Schmidt!
Christian Schmidt: Guten Morgen, Frau Brink!
Brink: Lassen Sie uns zuerst kurz über die UN-Militärbeobachter sprechen, auf die man im Westen ja so viel Hoffnung setzt. Noch gibt es sie gar nicht alle, gerade mal 100 sind bestellt. Was erwarten Sie von ihnen?
Schmidt: Sie sind ja Teil des Plans, den der Sondergesandte der Vereinten Nationen, Kofi Annan, erreicht hat, gemeinsam auch mit der Opposition und mit dem syrischen Regime, mit Assad, dass hier die Waffenstillstandsvereinbarungen überprüft und überwacht werden dann. Ich verspreche mir schon davon, dass dieses eine Wirkung im positiven Sinne bringen wird. Gegenwärtig ist das allerdings noch nicht erkennbar.
Brink: Aber noch sind ja nicht alle bestellt. Woran hakt das denn?
Schmidt: Ja, das ist eine Angelegenheit, die der Sondergesandte Annan sehr zurückhaltend und klug und ich glaube damit auch richtig macht: Hier kann man nicht alleine mit eigenen Wunschvorstellungen arbeiten, da müssen alle bereit sein, dies mitzutragen. Das fängt an beim Sicherheitsrat der Vereinten Nationen, wo das ja nun nicht ganz einfach war, Russland und China zu einer Zustimmung zu bringen, und geht weiter mit der praktischen Umsetzung. Das ist ein steiniger Acker, der da zu beackern ist.
Brink: Derweil spitzt sich ja die Lage zu, auch weil der türkische Ministerpräsident Erdogan gestern Syrien ausdrücklich vor neuen Grenzverletzungen gewarnt hat. Wir erinnern uns: Am Ostermontag wurde ja über die Grenze auf syrische Flüchtlinge geschossen in der Türkei. Er drohte sogar mit der Armee. Nehmen Sie das ernst?
Schmidt: Jede Äußerung ist natürlich per se ernst zu nehmen. Die Besorgnis, die Ministerpräsident Erdogan hat, dass sich sein Land – das wichtigste Nachbarland von Syrien ist die Türkei – auf welche Weise auch immer in den Konflikt mit hineingezogen wird, ist sicherlich nachvollziehbar, wenngleich wir gegenwärtig nicht sehen, dass die Flüchtlingsströme, um dieses Wort zu verwenden, in die Türkei sozusagen anschwellen Wir rechnen gegenwärtig mit circa 25.000 in der Türkei befindlichen Flüchtlingen aus Syrien. Die Zahl habe ich in der letzten Woche bei meinem Besuch in der Türkei erhalten.
Brink: Wenn Sie in der Türkei waren – was haben Sie denn für einen Eindruck: Welche Rolle spielt die Türkei in diesem sehr heiklen Konflikt?
Schmidt: Die Türkei hat die Besorgnis der Stabilität, sie blickt mit einer großen Verantwortung auf die Region, ich vermute, dass die Türkei sich in diesem Konflikt auch als einer der ganz wichtigen, möglichen Stabilisatoren für die Region entwickeln kann und das schon ist. Und die Türkei ist ja nun ein enger Partner Europas und auch des Transatlantischen Bündnisses, und deswegen werden auch wir sehr eng uns mit der Türkei abstimmend konsultieren.
Brink: Aber beunruhigt Sie das denn nicht? Die Türkei und Syrien waren ja lange Verbündete – nun hat Ministerpräsident Erdogan auch eine Zusammenarbeit mit dem Assad-Regime konsequent ausgeschlossen.
Schmidt: Na ja, wenn das so ist, was Herr Assad tut gegenwärtig, wie uns die Informationen erreichen, dann möchte man mit solch einem Menschen nicht Verbündeter sein.
Brink: Aber zumindest muss man mit ihm reden?
Schmidt: Man muss ihm reden. Ich gehe davon aus, dass Gesprächskanäle nach wie vor bestehen. Ich bin sehr überzeugt davon, dass wir gerade jetzt Assad beziehungsweise die Kräfte in der syrischen Gesellschaft, die vernunftorientiert sind, so weit ermuntern, dass sie nicht nur die Gewalttätigkeiten einstellen, sondern die dahintersteckenden Konflikte, was auch mit ethnischen, religiösen Zugehörigkeiten zu tun hat, beenden.
Brink: Sie haben es erwähnt: Die Türkei ist ein enger Partner von Europa, ist Mitglied der Nato – und die Türkei fordert auch mehr UN-Militärbeobachter, bis zu 3000, und sie hält sogar ein Eingreifen der Nato für möglich, Bündnisfall Paragraf 5. Halten Sie das auch für möglich?
Schmidt: Also der Hinweis auf Artikel 5 des Nato-Vertrags von Ministerpräsident Erdogan hat sich für den Fall eines Ausgreifens des Konflikts auf die Türkei bezogen. Die Türkei ist wie jeder andere Nato-Partner mit dem Schutz …
Brink: Aber das ist, pardon, doch schon eine ganz massive Drohung, eine ganz massive Aussage!
Schmidt: Ja, aber dieser Angriff liegt ja nicht vor. Das weiß jeder. Zwei Schüsse über die Grenze sind kein Angriff auf ein Land. Es geht hier wohl eher darum, dass wir auf eine gewisse Aufmerksamkeit in der Region gemeinsam hinausgerichtet werden sollen, und das ist richtig. Nicht nur die Nato, übrigens vor allem die Arabische Liga, die Nachbarn von anderen Seiten Syriens her, sind hier ganz intensiv gefordert. Ich verstehe, dass die Türkei sagt: Wir wollen mit den möglicherweise entstehenden Schwierigkeiten, Problemen, Flüchtlingsströmen nicht alleine gelassen werden. Das ist aber kein Hinweis auf irgendwelche militärischen Optionen.
Brink: Aber ich spreche ja jetzt mit dem parlamentarischen Staatssekretär im deutschen Verteidigungsministerium, auch eng verbündet mit der Türkei. Müssen Sie da nicht auch, ich sage mal, mäßigend auf die Türkei bei solchen Aussagen einwirken?
Schmidt: Ich verstehe, dass eine politische Diskussion … Ich bin gerade in der Türkei auch gereist als Vorsitzender der Deutsch-Atlantischen Gesellschaft, einer Organisation, die die Nato-Partnerschaft unterstützt, und wir wollen und müssen den Dialog mit den türkischen Freunden (…) verbessern. Das sind Themen, die ich in den Vordergrund stellen möchte. Ich denke, dass wir den Konflikt über die Vereinten Nationen und mit Unterstützung der Arabischen Liga hoffentlich dann auch beenden können.
Brink: Also diese Aussagen von Erdogan beunruhigen Sie nicht?
Schmidt: Die beunruhigen mich nicht, nein, das ist eine reine Wiedergabe der Vertragslage.
Brink: Wie lange kann es sich der Westen leisten, nicht mehr direkt einzugreifen?
Schmidt: Das ist eine Frage, wenn Sie gestatten, die ich so nicht sehe. Die Frage muss heißen: Was können wir tun, um diesen Konflikt friedlich zu beenden, zu verhindern, dass danach übrigens auch, wenn die alevitische Minderheit nicht mehr die Herrschaft hat, beispielsweise die Religionsfreiheit, die bisher immer noch ansatzweise besteht – wir haben 15 Prozent Christen in Syrien zum Beispiel – dann nicht in eine Verfolgung von Religionsgemeinschaften umschlägt? All diese Fragen sind so komplex, dass man das nicht mit Schießkrieg regeln kann, sondern das sind Dinge, die aus der syrischen Gesellschaft heraus kommen. Da muss sie allerdings auch unterstützt werden. Wir werden und wollen dies ja auch, soweit Logistik, humanitäre Hilfe – sei es das Rote Kreuz oder wer auch immer – notwendig ist, natürlich leisten.
Brink: Sagt Christian Schmidt, parlamentarischer Staatssekretär im Verteidigungsministerium. Schönen Dank für das Gespräch!
Schmidt: Gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Christian Schmidt: Guten Morgen, Frau Brink!
Brink: Lassen Sie uns zuerst kurz über die UN-Militärbeobachter sprechen, auf die man im Westen ja so viel Hoffnung setzt. Noch gibt es sie gar nicht alle, gerade mal 100 sind bestellt. Was erwarten Sie von ihnen?
Schmidt: Sie sind ja Teil des Plans, den der Sondergesandte der Vereinten Nationen, Kofi Annan, erreicht hat, gemeinsam auch mit der Opposition und mit dem syrischen Regime, mit Assad, dass hier die Waffenstillstandsvereinbarungen überprüft und überwacht werden dann. Ich verspreche mir schon davon, dass dieses eine Wirkung im positiven Sinne bringen wird. Gegenwärtig ist das allerdings noch nicht erkennbar.
Brink: Aber noch sind ja nicht alle bestellt. Woran hakt das denn?
Schmidt: Ja, das ist eine Angelegenheit, die der Sondergesandte Annan sehr zurückhaltend und klug und ich glaube damit auch richtig macht: Hier kann man nicht alleine mit eigenen Wunschvorstellungen arbeiten, da müssen alle bereit sein, dies mitzutragen. Das fängt an beim Sicherheitsrat der Vereinten Nationen, wo das ja nun nicht ganz einfach war, Russland und China zu einer Zustimmung zu bringen, und geht weiter mit der praktischen Umsetzung. Das ist ein steiniger Acker, der da zu beackern ist.
Brink: Derweil spitzt sich ja die Lage zu, auch weil der türkische Ministerpräsident Erdogan gestern Syrien ausdrücklich vor neuen Grenzverletzungen gewarnt hat. Wir erinnern uns: Am Ostermontag wurde ja über die Grenze auf syrische Flüchtlinge geschossen in der Türkei. Er drohte sogar mit der Armee. Nehmen Sie das ernst?
Schmidt: Jede Äußerung ist natürlich per se ernst zu nehmen. Die Besorgnis, die Ministerpräsident Erdogan hat, dass sich sein Land – das wichtigste Nachbarland von Syrien ist die Türkei – auf welche Weise auch immer in den Konflikt mit hineingezogen wird, ist sicherlich nachvollziehbar, wenngleich wir gegenwärtig nicht sehen, dass die Flüchtlingsströme, um dieses Wort zu verwenden, in die Türkei sozusagen anschwellen Wir rechnen gegenwärtig mit circa 25.000 in der Türkei befindlichen Flüchtlingen aus Syrien. Die Zahl habe ich in der letzten Woche bei meinem Besuch in der Türkei erhalten.
Brink: Wenn Sie in der Türkei waren – was haben Sie denn für einen Eindruck: Welche Rolle spielt die Türkei in diesem sehr heiklen Konflikt?
Schmidt: Die Türkei hat die Besorgnis der Stabilität, sie blickt mit einer großen Verantwortung auf die Region, ich vermute, dass die Türkei sich in diesem Konflikt auch als einer der ganz wichtigen, möglichen Stabilisatoren für die Region entwickeln kann und das schon ist. Und die Türkei ist ja nun ein enger Partner Europas und auch des Transatlantischen Bündnisses, und deswegen werden auch wir sehr eng uns mit der Türkei abstimmend konsultieren.
Brink: Aber beunruhigt Sie das denn nicht? Die Türkei und Syrien waren ja lange Verbündete – nun hat Ministerpräsident Erdogan auch eine Zusammenarbeit mit dem Assad-Regime konsequent ausgeschlossen.
Schmidt: Na ja, wenn das so ist, was Herr Assad tut gegenwärtig, wie uns die Informationen erreichen, dann möchte man mit solch einem Menschen nicht Verbündeter sein.
Brink: Aber zumindest muss man mit ihm reden?
Schmidt: Man muss ihm reden. Ich gehe davon aus, dass Gesprächskanäle nach wie vor bestehen. Ich bin sehr überzeugt davon, dass wir gerade jetzt Assad beziehungsweise die Kräfte in der syrischen Gesellschaft, die vernunftorientiert sind, so weit ermuntern, dass sie nicht nur die Gewalttätigkeiten einstellen, sondern die dahintersteckenden Konflikte, was auch mit ethnischen, religiösen Zugehörigkeiten zu tun hat, beenden.
Brink: Sie haben es erwähnt: Die Türkei ist ein enger Partner von Europa, ist Mitglied der Nato – und die Türkei fordert auch mehr UN-Militärbeobachter, bis zu 3000, und sie hält sogar ein Eingreifen der Nato für möglich, Bündnisfall Paragraf 5. Halten Sie das auch für möglich?
Schmidt: Also der Hinweis auf Artikel 5 des Nato-Vertrags von Ministerpräsident Erdogan hat sich für den Fall eines Ausgreifens des Konflikts auf die Türkei bezogen. Die Türkei ist wie jeder andere Nato-Partner mit dem Schutz …
Brink: Aber das ist, pardon, doch schon eine ganz massive Drohung, eine ganz massive Aussage!
Schmidt: Ja, aber dieser Angriff liegt ja nicht vor. Das weiß jeder. Zwei Schüsse über die Grenze sind kein Angriff auf ein Land. Es geht hier wohl eher darum, dass wir auf eine gewisse Aufmerksamkeit in der Region gemeinsam hinausgerichtet werden sollen, und das ist richtig. Nicht nur die Nato, übrigens vor allem die Arabische Liga, die Nachbarn von anderen Seiten Syriens her, sind hier ganz intensiv gefordert. Ich verstehe, dass die Türkei sagt: Wir wollen mit den möglicherweise entstehenden Schwierigkeiten, Problemen, Flüchtlingsströmen nicht alleine gelassen werden. Das ist aber kein Hinweis auf irgendwelche militärischen Optionen.
Brink: Aber ich spreche ja jetzt mit dem parlamentarischen Staatssekretär im deutschen Verteidigungsministerium, auch eng verbündet mit der Türkei. Müssen Sie da nicht auch, ich sage mal, mäßigend auf die Türkei bei solchen Aussagen einwirken?
Schmidt: Ich verstehe, dass eine politische Diskussion … Ich bin gerade in der Türkei auch gereist als Vorsitzender der Deutsch-Atlantischen Gesellschaft, einer Organisation, die die Nato-Partnerschaft unterstützt, und wir wollen und müssen den Dialog mit den türkischen Freunden (…) verbessern. Das sind Themen, die ich in den Vordergrund stellen möchte. Ich denke, dass wir den Konflikt über die Vereinten Nationen und mit Unterstützung der Arabischen Liga hoffentlich dann auch beenden können.
Brink: Also diese Aussagen von Erdogan beunruhigen Sie nicht?
Schmidt: Die beunruhigen mich nicht, nein, das ist eine reine Wiedergabe der Vertragslage.
Brink: Wie lange kann es sich der Westen leisten, nicht mehr direkt einzugreifen?
Schmidt: Das ist eine Frage, wenn Sie gestatten, die ich so nicht sehe. Die Frage muss heißen: Was können wir tun, um diesen Konflikt friedlich zu beenden, zu verhindern, dass danach übrigens auch, wenn die alevitische Minderheit nicht mehr die Herrschaft hat, beispielsweise die Religionsfreiheit, die bisher immer noch ansatzweise besteht – wir haben 15 Prozent Christen in Syrien zum Beispiel – dann nicht in eine Verfolgung von Religionsgemeinschaften umschlägt? All diese Fragen sind so komplex, dass man das nicht mit Schießkrieg regeln kann, sondern das sind Dinge, die aus der syrischen Gesellschaft heraus kommen. Da muss sie allerdings auch unterstützt werden. Wir werden und wollen dies ja auch, soweit Logistik, humanitäre Hilfe – sei es das Rote Kreuz oder wer auch immer – notwendig ist, natürlich leisten.
Brink: Sagt Christian Schmidt, parlamentarischer Staatssekretär im Verteidigungsministerium. Schönen Dank für das Gespräch!
Schmidt: Gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.