Hoffnung auf ein stärkendes Wort vom Papst

Dirk Tänzler im Gespräch mit Stephan Karkowsky |
Von der angekündigten Stellungnahme des Heiligen Vaters erwarte er, dass darin die Bestürzung des Papstes deutlich werde, so der Vorsitzende des Bundes der Deutschen Katholischen Jugend Dirk Tänzler. Für ihn reiche die kircheninterne Aufarbeitung nicht mehr aus.
Stephan Karkowsky: Im Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche wächst der Druck auf Papst Benedikt, persönlich Stellung zu nehmen zu den Fällen in Deutschland. Auch die katholische Jugend fordert nun ein Papst-Wort. Zu Gast im "Radiofeuilleton" ist dazu der Vorsitzende des Bundes der Deutschen Katholischen Jugend Dirk Tänzler. Herr Tänzler, was bringt eine persönliche Stellungnahme des Papstes? Erwarten Sie denn mehr, als dass der Papst seine Betroffenheit ausdrückt und den Opfern sein Mitgefühl ausspricht?

Dirk Tänzler: Na ja, was heißt mehr, das wäre ja schon mal was. Ich würde mich freuen und ich fordere es nicht, ich wünsche mir das eigentlich eher. Ich weiß, dass das ein kleiner Zungenschlag ist, aber für mich sehr bedeutsam, weil ich als Katholik und viele Leiterinnen und Leiter in unseren Jugendverbänden eben als Katholikinnen und Katholiken auf der Straße auch angesprochen werden, in der Gesellschaft angesprochen werden. Und ich glaube, dass außerhalb unserer Gesellschaft, außerhalb unserer Kirche in der säkularisierten Gesellschaft das kaum noch verstanden wird. Wenn man Kirche von innen her kennt, kann man das nachvollziehen, das verstehe ich auch. Ich möchte aber auch Kirche vermittelbar machen. Und deswegen denke ich, dass es gut täte, ein klares, offenes Wort vom Heiligen Vater zu hören.

Karkowsky: Wie offen müsste dieses Wort denn sein? Sie wissen, dass der Papst selbst in der Kritik steht. Zum einen war sein Bruder Georg Ratzinger aktiv beteiligt an der schwarzen Pädagogik, wie das heißt, mit der die Kirche ihre Schäfchen erzogen hat: Als Chorleiter der Regensburger Domspatzen hat Ratzinger den Knabenchor mit Ohrfeigen diszipliniert; zum anderen wird dem Papst selbst vorgeworfen, er habe mitgewirkt an der Praxis der Kirche, pädophile Täter nur dann zu versetzen, also statt sie aus allen Kirchenämtern zu entfernen. Hat der Papst sich dadurch mitschuldig gemacht?

Tänzler: Ich weiß nicht, ob man da jetzt von den moralischen Kategorien Mitschuld oder Schuld sprechen muss.

Karkowsky: In welchen Kategorien sehen Sie es denn?

Tänzler: Genau, ich würde das ganz gerne so formulieren: Ich glaube, dass es gut wäre, wenn der Heilige Vater nicht zwingend abschließend was sagt, Antworten liefert, sondern vielleicht auch in Fragen formuliert, auch in Bestürzung deutlich wird, auch in seinem Emotionszustand. Wir haben den Heiligen Vater den Papst Benedikt, auf den Weltjugendtagen erlebt, als katholische Jugend und wir haben ihn … Wir waren froh, dass der katholische Weltjugendtag auch in Deutschland sein konnte, 2005, und haben dort auch erlebt, wie er mit der Jugend im Dialog ist und sein kann, wo er auch authentisch rüberkommt und genau das würde ich mir wünschen. Und genau das, glaube ich, stärkt uns auch. Ich möchte nicht, dass er angeklagt wird im ersten Sinne. Ich möchte das aufklären und ich glaube, dazu braucht es verschiedene Phasen. Und in diese Phase, die ich selbst auch durchgemacht habe, ist Bestürzung – das ist die erste Phase –, ist Trauer, ist Unverständnis der Situation. Und ich glaube, wenn er das auch sagen würde – und das glaube ich auch – wäre das hilfreich. Ich erwarte nicht, dass er sich in einer ersten Situation zu konkreten Fällen äußert, das ist nicht angebracht.

Karkowsky: Warum nicht?

Tänzler: Ja, was bringt das jetzt in dem Sinne? Die deutsche Bischofskonferenz hat ein, wie ich finde, gutes Verfahren entwickelt, hat einen Bischof ernannt zu dem Beauftragten der Deutschen Bischofskonferenz, Stephan Ackermann, und dieses hat nunmal dazu beigetragen, dass wir mit der katholischen Kirche einen guten, offenen, transparenten Dialog auch haben. Dieser transparente Dialog bringt eben auch dazu, dass der Heilige Vater sich jetzt nicht, finde ich, direkt in irgendwelche Vorkommnisse der deutschen Kirche einmischen muss oder etwas dazu sagen muss, sondern er muss was sagen oder sollte was sagen, um uns zu stärken.

Karkowsky: Nun wird ja gerade diesem Trierer Bischof Stephan Ackermann von seinen Kritikern vorgeworfen, er könne gar keine lückenlose Aufklärung gewährleisten, weil er ja vor allem die Interessen der Kirche vertreten muss. Ist da ein Stückchen Wahrheit dran?

Tänzler: Na ja, die Interessen der Kirche vertreten, was heißt das in diesem Zusammenhang? Ich glaube, die Interessen von Kirche sind auch die Interessen der Opfer. Also ich erlebe Kirche so, dass Kirche sich dem Menschen zuwendet in positivem Sinne, für sie Fürsprache hält. Und da glaube ich, wie ich Herrn Ackermann in den letzten Jahren erlebt habe und auch jetzt aktuell erlebt habe, dass er da ein guter Moderator auch ist, da gut auch sensibel mit umgeht, seine Auftritte in der Öffentlichkeit fand ich hervorragend und auch Mut machend. Wir hoffen, dass wir auch in Zukunft noch im Dialog sind und weiter im Dialog sind zu diesem Thema, und von daher, glaube ich, ist das erst mal der richtige Mann an dieser Stelle. Man hätte natürlich sagen können, man nimmt jemand von außerhalb, aber das hilft in diesem Moment nichts.

Karkowsky: Ich habe mir mal seine Website im Internet angeguckt und da sagt er, es gibt bei Verdacht keine Anzeigepflicht, und verteidigt damit, dass mutmaßliche Täter nicht sofort dem Staatsanwalt gemeldet worden sind in der Vergangenheit. Er sagt, es sei gängige Rechtspraxis und stehe auf dem Fundament der Rechtsordnung in Deutschland. Verteidigt er damit nicht eine Gesetzeslücke, hinter der sich Täter verstecken können, und sollte so ein Chefaufklärer tatsächlich sein?

Tänzler: Na ja, zumindestens erklärt er sie erst mal. Ich würde sie nicht verteidigend, sondern ich würde sie erklärend nennen. Und ich glaube, dass man in der Tat über die einzelnen Richtlinien nachdenken muss und weiterentwickeln muss. Aber was ist der Fall? Wir haben 2002, die Deutsche Bischofskonferenz, Richtlinien verabschiedet, wir haben die auch kommentiert, haben da einzelne Positionen zu benannt, die allerdings diese konkrete Fragestellung nicht betreffen. Und nun geht es darum, mit diesen Richtlinien zu arbeiten. Dass das in den Diözesen manchmal besser, manchmal weniger besser funktioniert, ich glaube, dass die Deutsche Bischofskonferenz auf ihrer Frühjahrsvollversammlung da jetzt auch noch mal klarere Absprachen zu getroffen hat, und haben jetzt noch mal zentral einen Menschen, eine Person aus ihrer Mitte beauftragt, das zu koordinieren und Ansprechperson zu sein. Es wird ab Ende März die Hotline eingerichtet, wo auch noch mal dort klar ist: Meldet euch, wir wollen aufklären, wir werden aufklären! Und dann geht es auch danach, das weiter zu analysieren. Und eventuell, das ist eine Frage, die ich mir selbst stelle, muss man in diesem Zusammenhang auch genau diese "Lücke", in Anführungszeichen, noch mal genau überprüfen und hier auch zu Verbesserungen kommen.

Karkowsky: Sie hören Dirk Tänzler in Deutschlandradio Kultur, den Vorsitzenden des Bundes der Deutschen Katholischen Jugend. Herr Tänzler, Sie haben bereits die Leitlinien der Bischofskonferenz zum Umgang mit sexuellem Missbrauch Minderjähriger in der Kirche angesprochen. Die sind aus dem Jahr 2002, sollen nun verbessert werden. Ich zitiere mal: Punkt sieben sagt, in erwiesenen Fällen sexuellen Missbrauchs Minderjähriger wird dem Verdächtigten, falls nicht bereits eine Anzeige vorliegt oder Verjährung eingetreten ist, zur Selbstanzeige geraten und je nach Sachlage die Staatsanwaltschaft informiert. Also erst muss eine kirchliche Voruntersuchung beweisen, dass ich als minderjähriges Missbrauchsopfer nach kirchlichen Maßstäben überhaupt gelten darf, und dann erst wird etwas getan und erst mal dem Täter zur Selbstanzeige geraten. Sollten die Leitlinien dahingehend geändert werden, dass künftig bereits Verdachtsfälle dem Staatsanwalt gemeldet werden?

Tänzler: Ich glaube, genau diesen Punkt muss man wirklich betrachten, und ich würde auch sagen, dass es hier Nachverbesserung geben muss. Ich weiß, dass das ein ganz schweres juristisches Verfahren ist, das ist nicht einfach so pauschal zu beantworten, das muss man jetzt sofort an die Staatsanwaltschaft weiterreichen, sondern da muss man ganz gezielt hinschauen. Ich glaube, und das ist ja auch noch mal von Ihnen vorhin angesprochen worden, das wird außen so, wie die Richtlinie im Moment beschrieben ist, draußen nicht mehr verstanden. Mit draußen meine ich eben die säkularisierte Gesellschaft. Da gilt es darum, das zu vermitteln. Für mich reicht es nicht aus, einfach nur hinzugehen und zu sagen, wir machen das intern in Kirche und leiten es dann weiter, ich glaube, dass man da Wege finden kann mit Staatsanwaltschaft auch sehr im frühen Stadium gemeinsam miteinander zu diskutieren und zu sprechen und diese Verdachtsfälle auch denen zu offenbaren. Dort haben auch einzelne Bischöfe das ja auch schon so diskutiert und ich weiß, dass in manchen Diözesen diese Regelung auch jetzt schon angewandt wird.

Karkowsky: Sie sitzen hier ja als Vertreter der katholischen Jugend. Wie wird denn in der katholischen Jugend über dieses Thema diskutiert? Als ein Fall schwarze Vergangenheit der Kirche von gestern oder kommen da durchaus Dinge an Sie heran, wo gesagt wird, da hat sich gar nicht viel geändert heute, da sind viele Dinge heute noch genau so wie damals in den 70er- und 80er-Jahren?

Tänzler: Nein, ich glaube, dass sich da einiges verändert hat. Wir haben seit ungefähr 20 Jahren das Thema sexualisierte Gewalt, sexuelle Gewalt in der Öffentlichkeit, im öffentlichen Raum, auch in Kirche, schon zum Thema. Wir haben ganz gute, in den Mitgliedsverbänden des BDKJ, hervorragende präventive Arbeit. Wir haben ungeachtet dieser Vorfälle im Sommer letzten Jahres eine Fachveranstaltung zur Prävention sexueller Gewalt gegen Kinder und Jugendliche ausgeschrieben, die wir im Juni durchführen werden, wo wir uns ganz gezielt mit der Weiterentwicklung dieser Fragestellung auseinandersetzen. Also von daher kann man sagen, dass die katholische Jugendarbeit, die katholische Jugendverbandsarbeit auf diesem Gebiet Expertinnen und Experten hat, die sich genau dieser Fragestellung widmen: Wie kann man Kinder und Jugendliche vor sexueller Gewalt auch schützen? Was müssen wir in Kinder- und Jugendarbeit vorantreiben, um Täterinnen und Täter frühzeitig zu erkennen? Das sind solche Fragestellungen, die wir uns da selbst auf die Agenda schreiben.

Karkowsky: Danke, Dirk Tänzler! Er ist der Vorsitzende des Bundes der Deutschen Katholischen Jugend und hat uns erzählt, was die katholische Jugend erwartet vom Papst. Vielen Dank!

Tänzler: Bitte sehr!