Hoffnung im Westjordanland

Erste Uni-Klinik bringt neues Leben

23:18 Minuten
Professor Saleem Haj-Yahia leitet die Uni-Klinik in Nablus. Er steht in einem Operationssaal. Im Hintergrund eine Liege.
Professor Saleem Haj-Yahia leitet die Uni-Klinik in Nablus. © Florian Rappaport
Von Florian Rappaport |
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Nördlich von Jerusalem in Nablus steht die erste Uni-Klinik im Westjordanland. Ein Leuchtturm des Fortschritts für die Palästinenser, dessen Motor Saleem Haj-Yahia ist. Der Manager, Chefarzt und Herzchirurg schläft sogar auf der Couch in seinem Büro.
Die Mitarbeiterin am Empfang nimmt mich mit in den Aufzug, hoch in den dritten Stock. Hier ist die Intensivstation der Kardiologie.
Fünf Patienten liegen dort, drei mit Beatmungsmaske. Die Betten sind durch Vorhänge getrennt. Sie alle sind an Geräte angeschlossen, die auf schwarzen Monitoren die Herzfrequenz abbilden, den Blutdruck und die Sauerstoffsättigung des Blutes. An einem der Krankenbetten stehen vier Ärzte. Der einzige ohne weißen Kittel, in blauem Nadelstreifenanzug ohne Krawatte, ist Professor Saleem Haj-Yahia, Herzchirurg.
Ich bin hergekommen, um ihn zu treffen. Ein Palästinenser aus einer arabischen Kleinstadt in Israel, der mit den besten Herzchirurgen der Welt gearbeitet hat – zuletzt in Schottland. Seit 2014 managt er die Uniklinik, implantiert Herzen – als einziger im Westjordanland – und er unterrichtet junge Mediziner, hier in der ersten Uni-Klinik der Westbank in Nablus.
50 Jahre alt, volles schwarzes Haar, mit Gel nach hinten gekämmt, blaue Augen, fester Blick.
"Dieser Patient wurde durch eine Not-OP am offenen Herzen gerettet. Er entwickelt sich gut."

Künftig auch Transplantation von echten Herzen

Wir gehen rüber in sein Büro. Das ist direkt neben der Intensivstation. Manchmal, sagt er, während einer Vorstandssitzung der Klinik-Leitung geht er raus, schaut nach den Patienten und kommt zurück.
Auch der Operationssaal befindet sich hier auf der dritten Etage. Betreten können wir ihn gerade nicht, aber Haj-Yahia versichert, dass er bestens ausgestattet sei. Mit Geräten auf dem aktuellen Stand der Medizintechnik.
Die Herzoperationen macht er selbst. Es sind künstliche Herzen, die er implantiert. Kleine mechanische Pumpen, die das Herz des Patienten unterstützen oder sogar ganz ersetzen. Bisher waren Organspenden von Hirntoten im Westjordanland nicht erlaubt.
Ein altes jordanisches Gesetz, das im Westjordanland noch Anwendung fand, ließ bislang nur Organspenden von lebenden Menschen zu – Nierentransplantationen zum Beispiel. Eine Gruppe, zu der auch Haj-Yahia gehörte, erarbeitete eine Gesetzesänderung, die seit 2018 in Kraft ist. Bis jetzt aber hat noch niemand im Westjordanland sein Herz gespendet.
Die An-Najah-Uni-Klinik in Nablus ist die modernste im Westjordanland. Hier ist der Eingang zur Notaufnahme von draußen zu sehen.
Die An-Najah-Uni-Klinik in Nablus ist die modernste im Westjordanland.© Florian Rappaport
In seinem Büro kurbelt Haj-Yahia die Rollläden hoch. Nablus liegt eigentlich zwischen zwei Bergen. Aber von seinem Fenster aus – erkennt er das Mittelmeer.
"Ich kann das Meer sehen. Da, wo die Wolken die Spitzen des Berges küssen, das ist das Mittelmeer. Sehr aufregend."

Größte medizinische Fakultät im Nahen Osten

Das Krankenhausgebäude stand schon, als Saleem Haj-Yahia vor vier Jahren nach Nablus kam. Aber seitdem er hier ist, sehen viele palästinensische Ärzte, die im Ausland studiert haben, eine Chance darin, wieder in die Heimat zurückzukehren. Haj-Yahia hat auch Equipment und Operationstechniken hergebracht, die Palästinenser bisher nur in israelischen Krankenhäusern erhalten konnten – mit aufwändigen Sonderreisegenehmigungen.
Der Herzchirurg erzählt, dass die medizinische Fakultät der angeschlossenen An-Najah Universität die größte im Nahen Osten sei – mit aktuell 4000 Studierenden. All das hätten sie geschafft, obwohl das Westjordanland in weiten Teilen besetzt ist. Israel bestimmt, wer einreisen und wer ausreisen darf, wer in den palästinensischen Autonomiegebieten leben und arbeiten darf und wer nicht. Ärzte und Krankenpfleger können auf dem Weg zum Krankenhaus an israelischen Checkpoints aufgehalten werden.
Auch die Einfuhr von medizinischem Equipment wird von Israel kontrolliert. Dessen Import kann sich durch den israelischen Zoll verzögern, wird aber in der Regel nicht blockiert. Nur radioaktive Substanzen kommen nicht ins Westjordanland. Israel macht Sicherheitsbedenken geltend. Deshalb kann das Krankenhaus in Nablus beispielsweise keine PET-Scans durchführen, die bei der Diagnose von Krebs wichtig sind.
Aber Haj-Yahia sagt, er wolle nicht jammern.
Dass es hier trotz allem so gut läuft, gibt den Menschen Hoffnung. Am Computer zeigt er mir ein Video, auf das er sehr stolz ist.
"Wenn Sie meinen Namen bei YouTube eingeben, finden Sie das. 4000 Studenten sind spontan zusammengekommen, als ich 2016 die erste erfolgreiche Transplantation eines künstlichen Herzens in Palästina geschafft habe. Sie waren absolut ergriffen und euphorisch über diesen Erfolg."
"Ich glaube, diese Institution, die An-Najah-Uni-Klinik, ist eine der wichtigsten in Palästina und hat das größte Potential zur Neugestaltung nicht nur unserer Medizin, auch unserer Gesellschaft und der Politik in den nächsten fünf, zehn, 15 Jahren."

Bei jüdischen Patienten hatte er Pluspunkte

Haj-Yahia wirkt euphorisch. Auch wenn die Aufgabe und sein Leben mehr als schwierig klingen. Er könnte es leichter haben: Weiterhin im Vereinigten Königreich arbeiten – in Glasgow – wo er noch Professor ist und seine Familie lebt. Jeden Monat fliegt er hin und her. Oder er könnte in Israel arbeiten – wie früher: die erste Station seiner Karriere am Tel HaShomer Krankenhaus bei Tel Aviv.
"Das ist eines der größten Krankenhäuser im Mittleren Osten, es ist riesig. Im Herzen der israelischen Gesellschaft, nahe Tel Aviv. Es gab aber fast keine palästinensischen Ärzte da. Ich war einer der ersten dort."
Erstaunlicherweise hat ihm das bei den Patienten Pluspunkte eingebracht.
"Die jüdischen Patienten haben mich ausgewählt als Chirurg. Weil sie wussten, wenn ein Palästinenser hier als Chirurg arbeiten darf, muss er sehr gut sein. Zumindest muss er besser sein als seine Kollegen, sonst hätte er es nie in diesem diskriminierenden System geschafft. Ich habe sie nie enttäuscht."
Von Israel ging Saleem Haj-Yahia nach London, arbeitete und forschte an neuen Transplantations-Techniken. 2010 übernahm er die Leitung der Herztransplantationsabteilung in Glasgow – wo seine Frau und Kinder immer noch leben. Die An-Najah Universitätsklinik eröffnete 2013. Ein Jahr später übernahm er hier das Management und die Position als Chefarzt. Ein Fulltime-Job.
"Ich verbringe all meine Zeit im Krankenhaus. Ich habe hier kein Haus. Meine Familie lebt in Glasgow, hier habe ich kein soziales Leben. Hier im Büro schlafe ich auch. Auf der Couch. Ein paar Stunden. Ich lege dann meine Beine so hin."
Er hebt die Beine auf den Bürostuhl – sie passen nicht auf die kleine Couch. Es sieht sehr unbequem aus. Der einzige Herzchirurg, der Herzen transplantiert im Westjordanland hat kein richtiges Bett, aber einen starken Willen.

Für das Medizinstudium von Riad nach Nablus

Gleich trifft er sich mit mehreren Spendern zu einem Essen. Währenddessen laufe ich durch die Klinikgänge. Vor dem Hörsaal begegne ich einer jungen Studentin: Hiba ist 21 Jahre alt.
Hiba studiert Medizin in Nablus. Sie hat lange schwarze Haare und ein rosa Jäckchen.
Hiba kam für ihr Medizinstudium nach Nablus.© Florian Rappaport
Sie ist in Saudi-Arabien aufgewachsen, in Riad, und ist extra für ihr Medizinstudium hierhergekommen. Doch warum ausgerechnet hierher und nicht zum Beispiel in die USA?
Es stellt sich heraus, dass sie eigentlich Palästinenserin ist. Sie sagt, es fühle sich gut an, hier zu studieren – weil hier alle Palästinenser sind. Und außerdem sei die Uni in Nablus eine sehr gute und angesehene Universität.
Sie ist die größte Uni im Westjordanland, mit einer Geschichte, die bis ins Jahr 1918 zurückreicht. Mit einer Infrastruktur auf die auch Manager Saleem Haj-Yahia jetzt zurückgreifen kann. Und auf ein großes Team von Mitarbeitern.

Die meisten Ärzte wurden im Ausland ausgebildet

Zu diesem Team gehört auch Ala Rubi. Ein Arzt aus Hamburg, mit Familie, die aus einem Vorort von Hebron stammt. Studieren konnte er hier nicht:
"Nein, zu meiner Zeit nicht. Es gab ja keine medizinische Fachhochschule. Die meisten dieser Ärzte hier wurden noch im Ausland ausgebildet. Der Chef der Gefäßchirurgie und der Chef der Nephrologie haben in Deutschland studiert. Es gibt ein paar Ärzte, die in den USA ausgebildet sind. Manche in England, aber auch einige in arabischen Ländern. In Jordanien, in Syrien auch. Es gab bis 1997 keine medizinische Hochschule in dem Land. Und jetzt, mittlerweile gibt es drei. Eine in Jerusalem, eine in Dschenin und eine hier in Nablus."
Wir sind in der Kardiologie – hinter einer Glasscheibe mit Blick auf den Arzt am Operationstisch. Ein Röntgengerät hängt an einer kreisrunden Aufhängung, fährt um den Körper des Patienten und liefert Bilder auf die Monitore.
"Genau. Das ist eine besondere Anlage. Diese Anlage ist dafür da, die Herzkranzgefäße zu sehen. Das ist hochmodern. Mit diesen Geräten können sie täglich Leben retten."
Solche Operationen wurden vor einigen Jahren noch nicht in Palästina gemacht:
"Nein, die Patienten mussten nach Israel oder Jordanien transportiert werden. Menschen aus Gaza wurden in Ägypten behandelt."
Ich frage mich, warum Ala Rubi seine Stelle in Hamburg aufgegeben hat und mit Familie nach Nablus gekommen ist.
"Der Bedarf ist groß. Wir werden als Herzchirurgen gebraucht. Herzerkrankungen sind ja die erste Todesursache hier in diesem Land, und es mangelt an Herzchirurgen.

Autonomiebehörde schuldet dem Krankenhaus 60 Millionen

"Ganz kurz, das ist der Chef. Jetzt gehen wir zu Prof. Saleem, der wartet auf uns."
Das Essen mit den Spendern geht zu Ende.
Saleem Haj-Yahia ist sehr zufrieden. Ein Bauunternehmer hat eine Spende zugesagt.
"1,5 Millionen Euro, aber nicht in bar, kein Geldkoffer. Aber er wird spenden für eines der neuen Stockwerke des neuen Krankenhauses. Das Stockwerk, das auf Kinder mit Krebs spezialisiert ist."
Dieses neue Gebäude für die Uni-Klinik in Nablus wird zu 90 Prozent aus Spenden finanziert werden.
Den Betrieb finanziert Haj-Yahia über die laufenden Einnahmen: Über das, was Patienten für Untersuchungen privat zahlen. Größere Eingriffe zahlt meist die Regierung. Die alltäglichen Behandlungen zahlen viele privat, erklärt Ala Rubi:
"Die meisten Menschen sind nicht versichert. Wenn sie behandelt werden müssen, zahlen sie aus der eigenen Tasche, oder sie können im Eilverfahren eine Versicherung abschließen. Und dann übernimmt die Regierung 70 bis 100 Prozent der Kosten."
Allerdings zahlt die Regierung, also die Palästinensische Autonomiebehörde, die PA, ihre Rechnungen nur langsam. So schuldet die Autonomiebehörde dem Krankenhaus inzwischen viel Geld, umgerechnet rund 60 Millionen Euro, sagt Chefarzt Saleem Haj-Yahia.
Dabei wird gerade viel Geld gebraucht: Bei einem Blick aus dem Fenster sind Bauarbeiten sichtbar: Der neue Turm für den der Bauunternehmer ein Stockwerk spendet. Saleem Haj-Yahia erklärt die Konstruktion.
"Da werden die drei Stockwerke im Erdgeschoss sein. Darüber zwölf Stockwerke, es wird also ein großer Turm. Mit zehn Operationsräumen, zusätzlich zu den fünf, die wir schon haben. Das verdreifacht unsere Kapazität auf fast 800 Betten insgesamt. Wir sind haben dann die meisten Betten in einem Krankenhaus in Palästina. Sehr aufregend. Bisher haben wir drei Stockwerke mit Spenden finanziert. Da fehlt noch viel, aber wir sind optimistisch."
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