Das Geschenk an die Welt
Die UN-Vollversammlung ist ein Spiegel der Menschheit: 193 Mitgliedsländer treffen sich nun ab dem 24. September in New York. Einst brachten sie Geschenke mit als Zeichen der Wertschätzung für die Vereinten Nationen. Nun wenden sich einige ab.
Wenn ab dem 24. September wieder die Vertreter der 193 Mitgliedsstaaten zur UN-Vollversammlung nach New York kommen, werden angesichts der Kriege und Krisen in der Welt wenige Zeit haben für einen Blick auf dieses Kunstwerk:
"Fritz Cremer. Bronze. Der Aufsteigende."
Die Skulptur "Der Aufsteigende", einst ein Geschenk der DDR, ein später untergegangener Staat, an das andere Geschenk an die Welt: die Vereinten Nationen, die weiter bestehen. Werner Schmidt, der Hüter aller Geschenke der Welt an die UN, steht hier im Park am Hauptquartier der Vereinten Nationen in New York und erinnert an ein Geschenk jenes Staates, das heute Mahnung und Hoffnung zugleich ist:
"Hier steht drauf: Gift from the German Democratic Republic, 1975. Entworfen vom Bildhauer Fritz Cremer. Wolf Biermann hat ein Gedicht darüber geschrieben."
Das Geschenk des geeinten Deutschlands an die Vereinten Nationen. Es steht nur einen Steinwurf vom "Aufsteigenden" entfernt. Drei Mauerstücke:
"Und hier kommen wir an ein Stück der Berliner Mauer. Wolfang Thierse als Bundestagspräsident war hier."
Symbol überkommener Teilung. Hoffnung für die Welt, die dieser Tage wieder über Mauern redet, über Abgrenzung, sagt der deutsche UN-Botschafter Christoph Heusgen:
"Ich find das für die Vereinten Nationen ein wunderbar symbolträchtiges Geschenk, weil der Abbau der Berliner Mauer zeigt, es ist möglich, Konflikte zu lösen."
Willy Brandt:
"Die Fähigkeit des Menschen zur Vernunft hat die Vereinten Nationen möglich gemacht. Der Hang des Menschen zur Unvernunft macht sie notwendig."
Vor 45 Jahren, am 26. September 1973, war es Bundeskanzler Willy Brandt, der als erster bundesdeutscher Regierungschef hier im Weltsaal der UN auf einer Generalversammlung der Welt erklärte, warum diese Vereinten Nationen ein Geschenk an die Welt seien. 45 Jahre später tut das auf seine Weise der deutsche UN-Botschafter Christoph Heusgen, der ab 2019 für Deutschland im UN-Sicherheitsrat sitzen wird:
"Wenn es die UN nicht gäbe, müsste man sie wieder erfinden als Geschenk für die Welt, und das ist das Geschenk, als der Platz, an dem Konflikte gelöst werden mit friedlichen Mitteln."
Gebüsch um den Elefantenpenis
Die UN als Geschenk an die Welt. Aber die Welt macht auch der UN Geschenke. Buchstäblich. Über 400 Präsente haben die 193 Mitgliedsstaaten der UN im Laufe der über 70 Jahre gemacht. Werner Schmidt, der Hüter aller Präsente, kennt sie alle. Saudi-Arabien schenkte kleine Palmen aus purem Gold.
Ein größeres Geschenk sorgte einst für Kopfzerbrechen:
"Ja, was sehen wir hier: Das ist eine lebensgroße Skulptur eines Elefanten von drei Mitgliedsstaaten, Namibia, Kenia und Nepal. Der Künstler hat einen echten Elefanten betäubt und einen Abguss gehabt. Anschließend sah es so aus, als ob die Skulptur fünf Beine hatte, und ich zähle den Rüssel nicht dazu."
Ein erigierter Elefantenpenis. Was also tun mit einem solchen Geschenk? Die tatsächlich existierende UN-Kommission zur Begutachtung, Prüfung und Annahme von Geschenken aller Art tagte, grübelte und kam zum Ergebnis: Der Elefant darf stehen bleiben. Alles andere an ihm auch. Aber Gebüsch muss her. Werner Schmidt, der Mann für die Geschenke, lacht noch heute:
"Ja, er steht hier ein wenig umsäumt von Gebüsch, dass man nicht alle Einzelheiten sieht."
Für Miroslav Lajčák, den Präsidenten der UN-Generalversammlung, die Nummer zwei der Vereinten Nationen – im Nebenjob ist er auch noch slowakischer Außenminister – für ihn ist auch dieser Elefantenpenis und der Umgang der UN mit diesem ungewöhnlichen Geschenk nichts anderes als ein Beleg für die hohe Kunst der UN-Diplomatie.
Miroslav Lajčák, der Präsident der UN-Generalversammlung. Demnächst endet seine einjährige Präsidentschaft. Auch sie, sagt der Mann, der im abgelaufenen Jahr denkwürdige Sitzungen leitete, auch sie ein unglaubliches Geschenk. Präsident der Versammlung der Welt – das sei der Mount Everest einer Diplomatenkarriere, sagt Lajčák im Interview, aber man müsse sich des Geschenkes auch würdig erweisen.
Multilateralismus als wichtigstes Geschenk
Lajčák, einst Nena-Fan, er studierte in Deutschland, spricht viele Sprachen, aber seine wichtigste Sprache sagt er, zugleich das Geschenk der UN an die Welt. Seine Sprache ist der Multilateralismus. Der dieser Tage, auch seit in Washington ein Präsident namens Trump sitzt, bedroht sei.
"Unglücklicherweise ist es so. Aber wir haben ein System mit Regeln und Organisationen geschaffen, um sicherzustellen, dass wir bestimmte Normen und Gesetze einhalten. Was ist denn die Alternative: Entweder totales Chaos und Anarchie oder ein System, in dem die Mächtigen die Regeln aufstellen und andere folgen müssen."
Rückblende. September 2017. Der deutsche Außenminister hieß Gabriel. Und der sagte hier vor dem Weltsaal, was Multilateralismus sein sollte:
"Die Stärke des Rechts soll das Recht des Stärkeren ersetzen. Das ist das Gegenteil von 'America first'."
Der amerikanische Präsident aber hieß und heißt Trump. Und Miroslav Lajčák, der Präsident der Generalversammlung, erinnert sich an damals. Als Donald Trump erstmals im Weltsaal zur Welt sprach und Lajčák die Sitzung leitete, in der Trump sagte, was kein Präsident zuvor jemals hier im Zentrum des Multilateralismus auszusprechen gewagt hatte: die Drohung, einen anderen Staat zu zerstören.
"We will have no choice to totally destroy North Korea."
"Ich saß da und beobachtete den Weltsaal und die Reaktionen. Das ist keine Sprache, die hier verwendet wird, und man sah es den Gesichtern an."
Miroslav Lajčák. Er ist überzeugter Europäer. Multilateralist. Die Welt liege noch nicht in Trümmern. Er ist kein Mensch, der zur Panik neigt aber einer, der sich jetzt Sorgen macht um dieses Geschenk namens Vereinte Nationen:
"Wir leben in Zeiten, in denen eine Ära zu Ende zu gehen scheint, in der wir die Regeln kannten und jetzt niemand weiß, was kommt."
"Dies ist exakt die Zeit für alle Politiker und alle Staaten aufzustehen und zu kämpfen. Wenn wir es zulassen, dass Multilateralismus zerstört wird, tragen wir Verantwortung für das, was dann kommt."
EU hat gleiche Prinzipien wie UN und sollte jetzt aufstehen
Schon jetzt – ausgerechnet in einer Zeit, in der es mehr Krisen und Kriege gibt als jemals zuvor in der Geschichte der UN – wenden sich die Staaten ab. Zum ersten Mal musste der UN-Generalsekretär Guterres schon Mitte des Jahres öffentlich erklären, dass den UN das Geld ausgehe. Eine Organisation wie die UN sollte nicht vor der Pleite stehen müssen, warnte er. Ende Juni fehlten 139 Millionen Dollar. Eine Organisation, die die Welt retten soll, spart jetzt am Büromaterial. Mitgliedsländer überweisen ihre Beiträge später und später, die USA behalten Gelder ein. In einem Brandbrief bettelte Guterres um Überweisungen, um wenigstens den Kernhaushalt von 5,4 Milliarden Dollar für die nächsten zwei Jahre zu decken. Die Vereinten Nationen, immer öfter ein Geschenk, das niemand finanzieren will.
Miroslav Lajčák, der Europäer, sagt, die UN erinnerten ihn mittlerweile eher an eine Nichtregierungsorganisation, die stets sehe müsse, woher das Geld komme. Und Lajčák nimmt besonders die Europäische Union in die Pflicht. Sie müsse jetzt Flagge zeigen:
"Der übliche Weg der EU-Finanzierung für UN-Programme passt nicht mehr in diese Zeiten. Die Europäische Union ist auf den gleichen Prinzipien wie die Vereinten Nationen gegründet. Und weil diese Prinzipien gerade angegriffen werden, ist jetzt der Augenblick für die Europäische Union da, aufzustehen und diese Prinzipien zu verteidigen.
In diesem September zur 73. Generalversammlung kommt zum dann ersten Mal der deutsche Außenminister Heiko Maas. Deutschland hat gerade erst ab 2019 für zwei Jahre einen nichtständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat erhalten, und Heiko Maas saß unlängst draußen im Park im Schatten des deutschen Geschenkes, der Berliner Mauerstücke, und erklärte, was Deutschland will, um die UN als Geschenk an die Welt zu erhalten:
"Wir wollen vor allem auch dem entgegenwirken, dass sich viele nicht mehr darauf einlassen wollen, mit multilateralen Organisationen die Probleme der Welt zu lösen, sich zurückziehen aus Finanzierungsfragen. Bei all dem, was in der Welt los ist, brauchen wir die Vereinten Nationen mehr den je."
UN-Generalsekretär Guterres: "Lasst uns Solidarität zeigen"
Werner Schmidt, der Mann der Geschenke, ist derweil aus dem Park draußen zurück im Gebäude. Auf dem Weg zu einem weiteren symbolträchtigen Geschenk. Hin zu dem Ort, an dem auch dieses Jahr alle Staats- und Regierungschefs das Gebäude der UN betreten werden. Der Papst, die Kanzlerin, einst Fidel Castro, Chruschtschow und dieses Jahr auch wieder Donald Trump fahren hier vor, um dann per Rolltreppe auf das Stockwerk zu gelangen, auf dem Weltsaal und Sicherheitsrat liegen.
Egal, welcher offizielle Gast die UN besucht, an diesem Geschenk jedenfalls kommt jeder vorbei:
"Flaggen unserer Mitgliedsstaaten stehen uns hier Spalier. Wenn Sie hereinkommen, sehen Sie dieses spektakuläre Wandgemälde, ein Geschenk Brasiliens, vom großen Cândido Portinari, 'Krieg', mit verzweifelten Menschen, die auf Frieden hoffen. Und da ist das Monumental-Gemälde 'Frieden'."
Morgens Krieg. Abends Frieden. Kaum einem Präsidenten oder Regierungschef aber dürfte die Symbolik dieses Geschenkes aus Brasilien jemals bewusst geworden sein.
UN-Generalsekretär Antonio Guterres steht an diesem Tag des Internationalen Friedens neben einem weiteren Geschenk an die Vereinten Nationen. Der Friedensglocke: Und Guterres wirbelt Staub auf. In Europa bauen sie Stacheldrahtzäune. Im Mittelmeer ersaufen die Flüchtlinge jämmerlich. In Libyen werden flüchtende Menschen als Sklaven verkauft und in den USA spricht der Präsident einer einstigen Nation von und aus Einwanderern von Flüchtlingen und Migranten nicht mehr als Geschenk, sondern als Gefahr. Guterres, der Generalsekretär, Mahner inmitten von Angst:
"Da mehr und mehr Türen und Herzen für Flüchtlingen verschlossen sind, lasst uns Solidarität zeigen. Lasst uns die Vorteile von Migration beschreiben. Wenn andere die Hilfe erhalten, die sie brauchen, geht es allen besser."
Aber die aktuelle Lage ist eine völlig andere. Weltweit sind mehr Menschen auf der Flucht als jemals zuvor nach dem Zweiten Weltkrieg. Jemen. Südsudan. Syrien. Kriege. Tod. Leid. Die UN, das Geschenk an die Welt, einst geschaffen, um die Menschheit von der Geißel des Krieges zu befreien, so heißt es in der Präambel zur UN-Charta. Aber als Kofi Annan, der unlängst verstorbene charismatische Ex-UN-Generalsekretär, einmal gefragt wurde, was denn das Geschenk der UN an diese Welt sei, sagte er - nicht bitter, aber realistisch: Die Welt habe einen Sündenbock erhalten. Immer wenn die Lage verzweifelt, die Situation verfahren sei, werfe die Welt den Schlammassel den UN vor die Füße:
Sein Vorgänger im Amt, der Ägypter Boutros Boutros Ghali, der bis 1996 SG war, Secretary General der Vereinten Nationen, habe Kofi Annan einst gesagt, SG stehe nicht für Secretary General, sondern für Scapegoat. Sündenbock.
Herzkammer der UN hat Rhytmusstörungen
Werner Schmidt, der Hüter der UN-Geschenke, mittlerweile weiter auf dem Weg hin zum größten Geschenk der Vereinten Nationen. Hin auf dem Weg zum Saal des Sicherheitsrates. Der Herzkammer dieser Organisation. Dem Ort, wo das Geschenk des Multilateralismus, das war einst die Idee, die Welt von der Geißel des Krieges befreien sollte:
"Wir sind jetzt hier im wahrscheinlich berühmtesten Raum, im Saal des Weltsicherheitsrates. Die Innenausstaatung ist ein Geschenk Norwegens. Als das Gebäude gebaut wurde, stellte sich heraus, dass man nicht besonders viel Geld hatte für eine schöne Innenausstattung dieser Räume. So fragte der erste Generalsekretär aus Norwegen seine Regierung und die der Nachbarländer, ob sie hier nicht was Schönes tun wollen, und das haben Dänemark, Norwegen und Schweden getan."
Der Sicherheitsrat. Dieser Tage aber hat die Herzkammer der UN Rhythmusstörungen. Ist ein Wahrzeichen geworden für das Versagen der Weltgemeinschaft. Sieben Jahre Krieg in Syrien. Zwölf russische Vetos. Kein Kriegsverbrecher für den Einsatz von Fassbomben, mittelalterlicher Belagerungstaktik und Giftgaseinsatz steht vor Gericht. Auch weil Russland es per Veto im Sicherheitsrat ein ums andere Mal verhinderte. Der deutsche UN-Botschafter Heusgen sagt wie vor ihm seit 20 Jahren andere, das Gremium, es müsse reformiert, das Vetorecht der fünf ständigen Mitglieder Russland, USA, China, Großbritannien und Frankreich verändert werden:
"Wir haben eine Situation, aber die ist nicht neu, wo der Sicherheitsrat bei gewissen Fragen nicht funktioniert. Sie haben die Situation in Syrien angesprochen. Und wenn die ständigen Mitglieder sich nicht einigen können, ist der Sicherheitsrat blockiert, dann sind die Vereinten Nationen blockiert. Das hat es schon immer gegeben, mal ging es besser, gerade kann der Sicherheitsrat seiner Aufgabe nicht nachkommen."
Eine Aufgabe, deren Leitlinien diejenigen, die den Saal buchstäblich einst schenkten, den 15 Mitgliedern in einer klaren Formensprache bis hin zur Wandtapete des großen Saales vor Augen hielten:
"Es ist eine sehr bäuerliche Formensprache. Wir sehen an der Rückseite eine norwegische Strohtapete. Da ist ein Anker des festverwurzelten Glaubens, drei Weizenähren der Hoffnung und Herzen der menschlichen Güte."
Aber das Herz der menschlichen Güte – hier, wo sie seit sieben Jahren beispielsweise über Syrien streiten, nur mehr als Symbol auf der Tapete an der Wand. Gerade erst hat die amerikanische UN-Botschafterin Nikki Haley ihren Kollegen und der Welt attestiert, dass die Gräueltaten des Assad-Regimes schon jetzt für immer nicht nur ein Schandmal in der Geschichte, sondern wegen der russischen Blockade auch ein dunkler Fleck auf der Bilanz dieses Sicherheitsrates sein werden.
Als sie von 2009 bis 2014 das UN-Hauptquartier renovierten, bot Werner Schmidt dem Sicherheitsrat damals an, den Tisch aus dem Jahr 1952 für die 15 Mitglieder mit Blick auf eine mögliche Reform, eine Erweiterung des Rates, vorsorglich zu vergrößern. Die Botschafter fragten Schmidt damals, ob er noch ganz bei Trost sei. Eine Antwort, die zeigt, wie realistisch eine Reform des Sicherheitsrates tatsächlich ist:
"Das einzige, was sich geändert hat in der Mitte dieses hufeinsenförmigen Tisches, da gab es eine kleine Vertiefung und dort saßen die Stenografen. Und so konnten sich die Diplomaten nicht in die Augen schauen. Jetzt ist der Tisch mit den Stenografen an der Wand."
Über 400 Geschenke also der Staaten an die UN. Die UN selbst aber mangels besserer Alternative noch immer das vielversprechendste aller Geschenke an die Welt. Wenn jetzt 193 Staats- und Regierungschefs zur 73. Generalversammlung nach New York kommen, wird Miroslav Lajčák dann als Ex-Präsident der Generalversammlung und amtierender slowakischer Außenminister dabei sein. Hier, in dem Geschenk namens Vereinte Nationen, das unseren Planeten repräsentiere, und hier und jetzt könne man den Puls des Planeten fühlen. In all seiner ethnischen und religiösen Vielfalt. Die UN, das, sagt Lajčák, sind wir alle:
"You see people of all color, of all background, and this is us, this ist the planet, this is what we are."