Hohenzollern

"Antidemokraten nicht für ihr Handeln belohnen"

Zeitgenössische Aufnahme von Kaiser Wilhelm II. (.l) mit seinem ältesten Sohn Kronprinz Wilhelm (r.) und dessen Sohn Prinz Wilhelm. (Undatierte Aufnahme).
Zeitgenössische Aufnahme von Kaiser Wilhelm II. (.l) mit seinem ältesten Sohn Kronprinz Wilhelm (r.) und dessen Sohn Prinz Wilhelm. (Undatierte Aufnahme). © picture-alliance / dpa
Wolfgang Wippermann im Gespräch mit Susanne Führer · 26.02.2014
Der Historiker Wolfgang Wippermann beurteilt eine mögliche Entschädigung der Nachfahren des letzten deutschen Kaisers Wilhelm II. für ihren nach 1945 enteigneten Besitz kritisch - und spricht von einer "Potsdamer Provinzposse".
Susanne Führer: Der Stammsitz der Hohenzollern liegt zwar in Baden-Württemberg, aber auch in Brandenburg besaß die Familie ansehnliche Immobilien, darunter Schloss Rheinsberg, nicht zuletzt durch Kurt Tucholsky berühmt geworden, oder auch Schloss Lindstedt und das Krongut Bornstedt in Potsdam. Sie alle gehörten einmal den Hohenzollern, wurden 1948 aber von der sowjetischen Militäradministration beschlagnahmt und später verstaatlicht. So weit, so bekannt.
Neu für viele ist, dass nun möglicherweise die Familie Hohenzollern für die enteigneten Immobilien eine Entschädigung erhalten wird. Voraussetzung dafür ist ein Persilschein. Eine Entschädigung gibt es nämlich nur dann, wenn der Enteignete dem Nazi-Regime nicht - ich zitiere aus dem Gesetz - "erheblichen Vorschub geleistet" hat. Und genau darum gibt es Streit. Vielleicht kann ihn ja der Historiker Wolfgang Wippermann entscheiden, Tag, Herr Wippermann!
Wolfgang Wippermann: Guten Tag! Aber entscheiden kann ich nicht!
Führer: Ja, aber Sie können ja mal Ihre Bewertung abgebe. Über die Hohenzollern, die ja bis 1918 die deutschen Kaiser gestellt haben, Kronprinz Wilhelm ist ein Sohn des letzten Kaisers Wilhelm II. gewesen, der lebte zur Zeit des Nationalsozialismus in Deutschland, als sein Vater schon im Exil war. Welches Verhältnis unterhielt der Kronprinz zu den Nationalsozialisten?
Einschätzung über "Potsdamer Provinzposse"
Wippermann: Also, zunächst möchte ich als mündiger Bürger meine Einschätzung geben über diese Potsdamer Provinzposse. Es ist doch nun wirklich sehr merkwürdig, dass jetzt 69 Jahre nach Kriegsende noch ein Hohenzoller oder die Hohenzollern entschädigt werden sollen und dazu jetzt Persilscheine gesammelt werden. Also, so etwas macht uns keiner in der Welt nach!
Zur rechtlichen Lage: Die Hohenzollern, der Kronprinz, aber auch Auwi, der Bruder August Wilhelm, haben in der Tat dem Nationalsozialismus Vorschub geleistet, indem sie nämlich sich an der Zerstörung der Weimarer Republik aktiv beteiligt haben. Durch antidemokratische Reden und Taten, aber auch durch antisemitische Reden. Das ist nicht zu tolerieren. Ein weiterer Beweis dafür, dass die Weimarer Republik eben nicht, wie man heute immer hört, von irgendwelchen Extremisten von links und rechts zerstört worden ist, sondern von oben, aus der Mitte der Gesellschaft und durch die Eliten. Und zu diesen Eliten gehörten nun mal die Hohenzollern.
Führer: Was haben sie denn getan, der Kronprinz Wilhelm?
Wippermann: Der Kronprinz Wilhelm hat, wie die anderen Mitglieder seiner Familie und natürlich der Kaiser, die Weimarer Republik nicht anerkannt, sich nicht nur eingesetzt für die Wiederherstellung der Monarchie, einer autoritären Monarchie, nicht so etwas wie in England, und die Demokratie entschieden abgelehnt; er hat immer dazu aufgerufen, Hitler zu wählen, und er hat ihn auch dabei unterstützt. Das ist nicht zu tolerieren, Antidemokraten müssen nicht belohnt werden für ihr antidemokratisches Handeln.
Führer: Nun hat ja der Historiker Christopher Clark, der nun wirklich ein sehr renommierter Historiker ist, in einem Gutachten geschrieben, ein Gutachten, was die Familie der Hohenzollern von ihm erbeten hat, Kronprinz Wilhelm habe dem NS-System eben keinen erheblichen Vorschub geleistet, er sei für das System irrelevant gewesen. Und das zuständige Amt schließt sich Clark an und sagt, dem Kronprinzen sei es vor allem um die Restauration des monarchischen Systems gegangen.
Stolz auf den Schüler - nicht auf das Gutachten
Wippermann: Ja, darum geht es. Also, Christopher Clark ist, ich darf das mal bemerken, auch einer meiner Schüler. Ich bin sehr stolz darauf. Aber auf dieses Gutachten bin ich nicht stolz. Es ist ja schon ein Unding, dass man der Restauration der Monarchie Vorschub leistet. Das hat mit Demokratie nichts zu tun.
Führer: Nein, aber wenn wir in das Gesetz blicken, Herr Wippermann, und darum geht es ja, dann geht es dann, dass Leistungen nach dem Gesetz nicht gewährt werden, wenn der Berechtigte dem nationalsozialistischen oder dem kommunistischen System in der sowjetisch besetzten Zone oder in der DDR erheblichen Vorschub geleistet hat. Es geht nicht um die Frage, ob er ein Demokrat war oder nicht. Laut Gesetz nicht.
Wippermann: Doch! Indem er die Demokratie mit zerstört hat! Erst wird die Demokratie zerstört und dann kommt die sogenannte Machtergreifung. Durch die Zerstörung der Demokratie hat er oder haben diese Hohenzollern der Etablierung oder wie das heißt, eben Vorschub geleistet der nationalsozialistischen Diktatur. Dass sie dann in der Diktatur nicht mehr viel zu sagen hatten, gerade weil sie Monarchisten waren, ist selbstverständlich. Denn das Dritte Reich war eine Diktatur und keine Monarchie.
Führer: Herr Wippermann, es ist ja so, dass dieser Antrag auf Entschädigung ja erst gestellt werden konnte, nachdem es die DDR nicht mehr gab. Und das hat Louis Ferdinand, der Sohn des Kronprinzen, 1991 getan. Nun hat das Amt 23 Jahre gebraucht, um diesen Antrag zu bearbeiten, dafür kann ja Louis Ferdinand nichts!
Wippermann: Wozu nichts?
Führer: Dass das jetzt so lange gedauert hat. Weil Sie eingangs gesagt haben, dass es jetzt irgendwie ein Skandal ist, dass das heute noch ein Thema ist. Und wenn wir jetzt so viel schwarze Seiten der Familie entdeckt haben, sollten wir vielleicht auch mal auf die weißen Flecken blicken, und da ist ja Louis Ferdinand, Prinz von Preußen, einer, oder?
Nach einigem Zögern mit der Demokratie abgefunden
Wippermann: Na ja. Louis Ferdinand war erst mal intelligenter als seine Onkel und sein Vater. Und er hat sich allerdings nach einigem Zögern nun auch abgefunden mit der Demokratie von Bonn, hat nicht mehr bestanden auf eine Restauration der Hohenzollern-Monarchie, das ist das Positive.
Und er soll – aber die Beweise sind auch etwas dünn – Kontakte gehabt haben zum Widerstand – wohlgemerkt: Kontakte. Das hatten aber viele, aber auch, würde ich meinen, bei einer sehr weiten Ausdehnung des Begriffes Widerstand ist er sicherlich nicht zum Widerstand zu rechnen. Also, insgesamt sicherlich ein integrer, ein guter Mann …
Führer: Kein Nationalsozialist, und das ist das, was zählt.
Wippermann: Kein Nationalsozialist, das ist richtig. Und er soll auch einmal von der Gestapo verhört worden sein. Aber das Problem ist nach meiner Ansicht jetzt nicht das lange juristische Verfahren, sondern das Problem ist, dass wir die Aufgaben, die andere Nationen im 19. Jahrhundert gemacht haben, Beseitigung der Monarchie, immer noch nicht erfüllt haben. Wir sind eine verspätete Nation und wir werden offensichtlich jetzt immer später. Es geht also zurück ins 19., vielleicht ins 18. Jahrhundert. Vielleicht will man ja bald wieder die Inquisition einführen oder Hexenverfolgung durchführen.
Führer: Aber das verstehe ich jetzt nicht, Herr Wippermann, denn die Frage, ob jetzt die Familie entschädigt wird oder nicht, hat ja wenig damit zu tun, ob sie jetzt zum Adel gehören oder nicht. Denn es haben ja nun viele Westdeutsche nach 1990 Anträge auf Entschädigung gestellt, weil sei eben entweder durch die Sowjets, also noch in der sowjetisch besetzten Zone, oder später durch die DDR entschädigt worden sind. Das hat ja mit der adligen Herkunft nichts zu tun.
Fünf Prozent des damaligen Wertes
Wippermann: Nein, das kann ich jetzt auch nicht kommentieren, ich bin kein Jurist. Ich bin der Meinung, dass damals die Sowjets und dann auch die DDR hier wirklich richtig gehandelt haben. Sie haben den Feudalismus, der hier tatsächlich noch weit verbreitet war, überwunden und das war historisch gesehen eine richtige Tat.
Wie das jetzt nach der Vereinigung weitergelaufen ist juristisch, möchte ich nicht kommentieren. Ich halte das generell für problematisch und auch sind ja hier Hindernisse aufgestellt worden, den Grundbesitz zumindest haben sie ja nicht wiederbekommen. Da haben sich ja auch die Sowjets quergelegt. Und ob man jetzt nun …
Führer: Genau, wir sollten auch noch mal nachschieben, dass die Entschädigung also fünf Prozent des damaligen Wertes beträgt, es ist auch keine volle Entschädigung.
Wippermann: Ja. Also, ich will jetzt hier auch keinen Sozialneid äußern. Aber sie sind nun auch nicht, die Hohenzollern, auf Hartz IV angewiesen, das muss man nun auch mal sagen, dass man sagt, also, komm, die sind im Armenhaus und da müssen wir sie unbedingt rausholen, so ist es ja nun nicht.
Mir geht es jetzt hier um die Geschichte und die Darstellung. Und wenn man mit Geschichte Politik macht oder auch ökonomische Interessen verfolgt, dann wird das etwas problematisch. Und das möchte ich doch als Historiker kritisieren dürfen.
Welche Familienmitglieder "zählen"?
Führer: Es ist ja auch in dem Fall ein bisschen schwierig, weil Sie ja gerade dargestellt haben, wie verschieden auch die Familienmitglieder der Hohenzollern in der Zeit des Nationalsozialismus agiert haben. Nun ist ja dann die Frage nachträglich sozusagen: Wer zählt dann?
Wippermann: Ja, also, dann könnte man vielleicht auch mal sagen, dass eben dieser Auwi, August Wilhelm, SA-General ist er geradezu geworden dazu, Propagandist der Nazis, der müsste dann vielleicht auch noch entschädigt werden. Also, das ist aber auch generell, auch in anderen Adelsfamilien gab es sehr viele Nazis. Aber in den meisten immer noch als eine Art Alibi einer, der nicht Nazi war und der sogar im Widerstand gewesen ist. Eine höchst merkwürdige Aufrechnung.
Führer: Nun hat wie gesagt Ihr Schüler Christopher Clark das Gutachten geschrieben im Auftrag der Familie Hohenzollern. Sehen Sie darin ein Problem?
Wippermann: Aber natürlich, damit ist natürlich ein gewisser Zweck verbunden. Und ich finde es geradezu skurril, jetzt einen Persilschein auszustellen, 69 Jahre danach. Und das von einem australischen Historiker. Also, das ist ein bisschen komisch.
Führer: Na ja, gut, aber nun ist ja Christopher Clark der Preußen-Kenner schlechthin seit seinem großen Werk, was den schlichten Titel "Preußen" trägt. Insofern ist das ja nun keine schlechte Adresse, sich an ihn zu wenden.
Wippermann: Nein, natürlich nicht, er ist ein guter Historiker, das habe ich auch gar nicht gesagt. Sondern ich finde es sehr merkwürdig – aber er ist Australier! –, dass man einen australischen Historiker beauftragt von der Familie der Betroffenen quasi dazu, ein positives Gutachten zu schreiben und damit einen Persilschein, nannte man das damals nach 45, für diese Hohenzollern auszustellen. Das finde ich komisch.
Über die Interessen der Auftraggeber
Führer: Das ist aber eine Unterstellung, dass er beauftragt wurde, ein positives Gutachten zu schreiben! Er wurde ja beauftragt, ein Gutachten zu schreiben, so wie Unternehmen, so wie jetzt heute Bundesministerien Historiker beauftragen, die Geschichte Nationalsozialismus …
Wippermann: Ja sicher, aber die Auftraggeber haben natürlich auch gewisse Interessen, das muss man wissen.
Führer: Aber seriöse Historiker dürften den Auftrag nur annehmen, wenn sozusagen sie freien Zugang haben und in ihrem Urteil frei sind.
Wippermann: Ja, das kommt hinzu und ich habe verschiedene Aufträge dieser Art nicht angenommen und rate meinen Historikern, das auch zu tun. Denn man ist da in einer gewissen Zwickmühle. Aber ich will jetzt den Stab nicht über Chris Clark brechen, er hat sicherlich in gutem Wissen und Gewissen gehandelt, aber ich finde das ganze Verfahren problematisch.
Führer: Das heißt, Sie hätten der Familie auch geraten, diesen Weg erst gar nicht zu bestreiten?
Wippermann: Ja, aber natürlich. Und ich rate nach wie vor unseren lieben Politikern, jetzt nicht noch nachträglich zu entnazifizieren, und dann noch bei Personen, die dafür denkbar ungeeignet sind.
Führer: Das sagt der Historiker Wolfgang Wippermann. Danke fürs Gespräch, Herr Wippermann!
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