Der Sound der künstlichen Intelligenz
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Die US-amerikanische Musikerin Holly Herndon hat ihr neues Album mit einer künstlichen Intelligenz aufgenommen. Es erzählt vom Verhältnis zwischen Mensch und Maschine und zeigt, wie Algorithmen die Musik verändern könnten.
So klingt die Geburt einer künstlichen Intelligenz: Abgehackte Worte drängen nach vorne, eine Stimme brabbelt undeutliche Laute. Mit dem Stück "Birth" beginnt Holly Herndons neues Album "Proto".
Die in Berlin lebende Elektronik-Musikerin Herndon hat "Proto" gemeinsam mit einer künstlichen Intelligenz namens "Spawn", zu deutsch: "Brut" oder "Gezücht", aufgenommen. Herndon hat das System programmiert und mehrere Monate mit akustischer Information gefüttert. "Spawn" hörte aufmerksam zu und produzierte irgendwann selbst Stimmen, erklärt Herndon.
"Wir nutzen Klang als Ausgangsmaterial und lassen 'Spawn' daraus neue Sounds und Audiodateien produzieren. Es ist keine Maschine, die von selbst läuft, sondern harte Arbeit, sehr handwerklich, sehr menschlich und sehr emotional. Hinzu kommt, dass das Album mit einem Ensemble aus unberechenbaren menschlichen Wesen aufgenommen worden ist. Es ist eigentlich eine sehr menschliche Herangehensweise an Musik."
Künstliche Intelligenz als Chor-Mitglied
Herndon nutzt "Spawn" in ihrem Chor als zusätzliches Mitglied. Es geht ihr nicht darum, mit künstlicher Intelligenz Kompositionen etwa von Bach oder Beethoven nachzuahmen. Sie nutzt sie, um komplett neue Sounds zu erschaffen. Dabei wirkt "Spawns" Stimme teilweise noch fehlerhaft und unkontrolliert.
Herndon war es wichtig, zu zeigen, dass kreative künstliche Intelligenz längst nicht so ausgereift ist, wie viele denken, wenn sie etwa "Siri" und "Alexa" täglich mit neuen Anliegen füttern.
"Sie kann nicht sehr viel. Sie hätte das Album niemals ohne uns machen können. Das hört man auch. Die Soundqualität ist schlecht. Es war mir wichtig, zu zeigen, dass es Menschen braucht, um 'Spawn' zu trainieren. Denn das ist ein großes Problem bei künstlicher Intelligenz: Die Arbeit, die man reinstecken muss, bevor man etwas rausbekommt, ist überhaupt nicht Teil der Diskussion darüber."
Debatten um die Kreativität von Maschinen
Holly Herndon ist eine der ersten Musikerinnen, die KI so selbstverständlich in ihre Musik einbaut. Schon jetzt hat das Album Debatten angestoßen über die Kreativität von Maschinen und wie man sie nutzen sollte. Herndon zeigt dabei die Möglichkeiten, aber auch die Beschränkungen kreativer künstlicher Intelligenz. "Proto" klingt mal fröhlich und hoffnungsvoll, mal apokalyptisch und unheimlich. Herndon sagt dazu:
"Ich wollte mit KI arbeiten, um zu verstehen, wie sie funktioniert. Außerdem wollte ich wissen, was diese Technologie für Möglichkeiten bietet, die nicht schon von großen Firmen untersucht werden."
Hymnen für die Gesellschaft der Zukunft
"Proto" versammelt Hymnen für eine zukünftige Gesellschaft. Das Stück "Eternal" handelt von der unmöglichen Liebe zwischen Menschen und Robotern. Und in "Extreme Love", einem der Stücke, auf denen "Spawn" nicht zu hören ist, wird eine Welt imaginiert, in der Intelligenz nicht mehr in einzelnen Körpern steckt, sondern alle Menschen Teil eines großen vernetzen intelligenten Ökosystems geworden sind.
Kaum eine Künstlerin bearbeitet Gesang derart extrem wie Holly Herndon: Stimmen kreischen, brechen ab und verlieren sich in gläsernen Hall-Effekten. Manchmal wirkt es, als höre man einen Chor aus einer noch nicht eingetretenen Zukunft.
"Ein Teil der Vorbereitung für das Album bestand darin, sich Gesangstechniken auf der ganzen Welt anzuschauen. Wie haben sie sich entwickelt? Wo gibt es Gemeinsamkeiten und Unterschiede? Viele Techniken sind in religiösen Zeremonien entstanden. Wir haben versucht, so eine Art Gruppen-Ekstase herzustellen."
Es ist gar nicht so einfach, die Komplexität des Albums zu durchblicken. Beim ersten Hören wirken Holly Herndons KI-Experimente anstrengend und manchmal auch etwas didaktisch. Doch sie zeigt mit "Proto", wie in Zukunft künstliche Intelligenz musikalisch genutzt werden könnte. Ihre Musik ist dabei immer noch Ausdruck einer künstlerischen Idee und nicht bloß das Zufallsprodukt eines Computers.