Experimentierfreudiger Wellenreiter
Tyron Ricketts ist vielseitig: Als Schauspieler, Moderator und Rapper ist er hierzulande bekannt. Trotzdem fühlte er sich eingeengt, machte eine Weltreise und zog nach Los Angeles. Mit Surfbrett und Bewerbungsmappe testet er Pazifik und Hollywood auf Möglichkeiten, seinen Horizont zu erweitern.
Tyron Ricketts sitzt Gitarre spielend auf den Stufen vor seinem blau gestrichenen Häuschen in Venice - ausgewaschenes T-Shirt über durchtrainiertem Körper, eine Tasse Kaffee neben sich. Erst seit Kurzem lernt er Gitarre. Er probiert überhaupt grade gerne neue Sachen aus.
"Ich merke, dass ich viele Dinge hier anfange und unbefangener drangehe, als ich das in Deutschland machen würde. Ich hab hier mit Gesangsunterricht angefangen. Ich hatte ne Heidenangst davor in Deutschland zu singen, aber hier kennt mich ja keiner. Dann stell ich mich halt auf die Bühne und sing ein bisschen schief und beim zweiten, dritten Mal ist es schon besser."
Außerdem genießt der leidenschaftliche Surfer die Nähe zum Pazifik. Vom Haus, in dem er alleine wohnt, braucht er mit dem Fahrrad nur fünf Minuten zum Strand. Sind die Wellen gut, zieht er um sechs Uhr morgens los mit dem Surfbrett.
Raus aus der Schublade
Doch es gibt auch einen weniger schönen Grund für Tyrons Umzug von Berlin nach Kalifornien. Der 40 Jahre alte Schauspieler und Musiker bekam zu viele klischeegeladene Rollenangebote. Es ging um Sex oder Gewalt. Er sollte Asylbewerber spielen oder Gangster:
"Ich versteh nicht, warum ich immer drei, vier Stufen runter geschraubt werde und plötzlich kein vernünftiges Deutsch sprechen kann. Wir reden ja gar nicht vom Oscar."
Der Sohn einer Österreicherin und eines Jamaikaners wurde schon als Kind in der Steiermark mit Rassismus konfrontiert. Mit Mitte 20 setzt er seine Erfahrungen in den Film "Afro-Deutsch" um.
"Zehntausend-Seelendorf in Österreich. Ich als Negerjunge. Zehntausend Sprüche - dumme, gut gemeint."
Er spielt die Hauptrolle, schreibt und singt den Titelsong:
"Wer hat Angst vorm schwarzen Mann? Niemand, bis der sich wehren kann. Und wenn er kommt, dann laufen wir!"
Als im Jahr 2000 der Mosambikaner Alberto Adriano in Dessau von Neonazis totgeschlagen wird, macht Tyron Ricketts mit Brothers Keepers - einer Gruppe afro-deutscher Musiker aus Hip-Hop, Rap, Reggae und Soul - gegen Rassismus in Deutschland mobil. Dass er sechs Jahre später die Rolle des Kommissars Patrick Grimm in der ZDF-Serie SOKO Leipzig bekommt, sieht der Künstler als Riesenfortschritt:
"Einfach zu sehen, dass das ne ganz normale Rolle war. Ein Mensch hat ne Aufgabe und da gibt's Hindernisse und die muss er überwinden und das hat nichts zwingend mit seiner Hautfarbe zu tun."
Doch die darauf folgenden Angebote zeigen dem Schauspieler: In Deutschland steckt er noch immer in einer Schublade. Er braucht Abstand und begegnet im richtigen Moment Harry Belafonte und dessen Tochter. Der Künstler und ehemalige enge Mitarbeiter Martin Luther Kings bietet Tyron an, ihm in Hollywood Türen zu öffnen.
Bei Besetzungsgesprächen fühlt der sich bestätigt: Produzenten in Los Angeles interessieren sich weniger für seine Hautfarbe als in Deutschland. Es geht darum, was er kann:
"Was mir aufgefallen ist: Es gibt ganz viele 'casting calls', wo ausgerufen wird, welche Rollen gesucht werden. Und da steht sehr oft 'open ethnicity', was bedeutet, dass es erst mal egal ist, ob der weiß, schwarz, gelb oder grün ist. Der, der die Rolle am besten spielt im Casting, der bekommt sie und das gibt's halt gar nicht in Deutschland."
Obwohl er in Kalifornien Ausländer ist, fühlt er sich eher zu Hause - auf Hollywoodpartys, bei Geschäftsverhandlungen und am Strand:
"Weil man mit offeneren Armen empfangen wird, auch wenn man nicht aussieht wie der typische Einheimische. Oder vielleicht seh ich hier aus wie der typische Einheimische."
Kreative Weltreise
Noch hat Tyron keine große Rolle bekommen. Er setzt sich keine zeitliche Grenze, will sich ganz auf das einlassen, was kommt. Die Einstellung hat der Künstler auf seiner Weltreise gelernt. 2009 kündigte er bei "SOKO Leipzig", fühlte sich kreativ ausgebrannt und kaufte ein Flugticket mit zehn Stationen.
"Halbes Jahr um die Welt, Rucksack, Surfbrett, sonst nichts."
In seinem Häuschen in Venice blättert er im Bildband, der auf der Reise entstand. Hawaii, Mexiko, Costa Rica, Neuseeland, Bali, Fidji. Sonnenuntergänge, Natur, Gesichter und Tyron - ausgelaugt beim Abflug in Deutschland, kraftvoll Wellen reitend auf den letzten Seiten. Er erlebte extrem einsame und extrem beglückende Momente. Seine musikalische Kreativität kam zurück. Ein komplettes Album entstand unterwegs - "Weltenreiter":
"Ab jetzt ist alles gut, weil ab jetzt alles geht. Ich bestimme höchstpersönlich meinen eigenen Lebensweg. Damit es gut geht, auf allen Umwegen ist die Bestellung längst beim Universum abgegeben."
Tyron Ricketts arbeitet nicht krampfhaft am großen Durchbruch in Hollywood und redet nicht von Oscar-Träumen.
Lieber nimmt er sein Surfbrett und radelt zum Strand. In den Wellen erlebt er alles, was ihm im Leben wichtig ist.
"Du paddelst raus gegen die Wellen, was anstrengend ist. Manchmal muss man lange paddeln, bis man an ne Stelle kommt, wo man verschnaufen kann. Dann sitzt du da auf deinem Surfbrett und musst sprichwörtlich in deiner Mitte sein, sonst fällst du runter links oder rechts. Dann musst du dich richtig positionieren, richtig schnell Gas geben und wenn du auf der Welle bist, werden alle Endorphine freigelassen. Dann ist es auch noch schön und die Sonne scheint. Ich kenne nichts, was mich glücklicher macht und so viele Elemente vereint."