Hollywood und die Oscars

Nicht-Weiße und Frauen als Gewinner?

22:00 Minuten
Eine Frau mit langem, dickem orangenen Zopf sitzt in schwarzer Kleidung auf einem roten Sofa und streckt einen ihrer High Heels in die Kamera.
Nur wenn die Kamera läuft, darf die Maske ab, berichtet Stuntfrau und Schauspielerin Petra Sprecher vom Drehen unter Pandemiebedingungen. © Petra Sprecher
Von Katharina Wilhelm und Marcus Schuler |
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Abgesagte Premieren, Kinopleiten und Millionenverluste: Die Pandemie hat Hollywood schwer zugesetzt. Das zeigt sich auch bei den Oscar-Nominierungen. Hier dominieren die Streamingdienste. Und noch nie waren so viele Frauen und Nicht-Weiße nominiert.
Große Sperrholzplatten versperren den Eingang zum sogenannten Cinerama Dome auf dem Sunset Boulevard in Los Angeles. Das Kino mit der Kuppel, die aussieht wie ein durchgeschnittener Golfball, ist geschlossen – und wird seine Türen auch nicht mehr öffnen. Das gaben die Betreiber ArcLight und Pacific Cinema kürzlich bekannt.
"Meine Freunde und ich waren oft hier für die Mitternachtsvorführungen. Ich habe hier die Batman-Filme mit Christian Bale gesehen. Es war ein toller Ort für Drinks und dann anschließend Filme zu schauen", erinnert sich beispielsweise Heitiare, die nur ein paar Straßen weiter aufgewachsen ist.
Ein Jahr lang hatten die Kinos in Los Angeles, der Filmstadt der USA, geschlossen, weil die Covid-19-Fallzahlen hier so hoch waren. Seit sich die Lage entspannt, dürfen Kinos wieder öffnen – in LA mit 50 Prozent Auslastung. Doch die lokale Kinokette ArcLight etwa sagt, dass sie fünf Kinos nicht mehr öffnen lassen wird. Der Grund dafür sind offenbar ausstehende Mietzahlungen, über die man sich nicht mit dem Vermieter einigen konnte.
Cinerama steht in großen Lettern auf einem breiten hohen Dach auf vier Säulen.
Corona-Opfer in Los Angeles - das Cinerama Dome macht für immer zu.© Katharina Wilhelm, ARD-Studio Los Angeles
Die Corona-Pandemie hat Hollywood hart erwischt. Monatelang durfte gar nicht gedreht werden, ab dem Herbst 2020 dann wieder mit strengen Auflagen. Diese seien ganz schön hart, meint Schauspieler Bob Odenkirk im ARD-Interview:
"Es macht dich langsamer. Und noch wichtiger, es gibt weniger soziale Interaktionen und das beschränkt dich darin, die Szenen aufzuarbeiten, zum Beispiel, was der Subtext einer Szene ist. Es ist ein sehr soziales Business, jeder spricht miteinander, die Autoren mit dem Regisseur und dieser mit den Schauspielern. Wenn das nicht geht, macht es weniger Spaß, es ist eine unangenehme Herausforderung."

Mit Corona-Aufpassern am Set

Hunderttausende Dollar mussten die Studios in zusätzliche Sicherheit investieren, in Tests beispielsweise oder einen eigenen Corona-Aufpasser an den Sets. Die aus der Schweiz stammende Stuntfrau und Schauspielerin Petra Sprecher, die schon in Filmen an der Seite von Tom Cruise oder Will Smith arbeitete, sagt ebenfalls, die Protokolle seien sehr streng:
"Du musst die Maske anhaben, wenn du in der Mitte der Szene bist, und eine Sekunde, bevor sie 'Action' sagen, nimmst du sie schnell ab, schnell irgendwo im Kostüm verstecken, dann machst du deine Szene – und dann musst du die Maske sofort wieder anziehen!"
Eine Frau mir hochtupiertem Haar schaut über die nackte Schulter in die Kamera.
Arbeitete mit Tom Cruise und Will Smith - Stuntfrau Petra Sprecher.© Petra Sprecher
Die deutsche Nachwuchsschauspielerin Jascha Fehrle sieht zumindest in Kalifornien etwas Licht am Ende des Tunnels – auch, weil sie schon geimpft ist:
"Viele meiner Schauspielkollegen sind schon geimpft. Natürlich nicht, weil wir als Schauspieler Vorrang haben, sondern weil die meisten Schauspieler in Restaurants arbeiten! Deswegen wird es auch langsam sicherer am Set, weil viele Leute schon geimpft sind."
Eine junge Frau mit schwarzem engem Trägerkleid streicht sich in einer Straße mit Schaufenstern lächelnd mit der Hand durch das Haar.
Sicherer am Set mit einer Impfung - die deutsche Nachwuchsschauspielerin Jascha Fehrle.© stephangabriel.com
Das Arbeiten wird sicherer – und auch sonst gibt es auch mal gute Nachrichten für die Kinos. Denn mit der erfolgreichen Impfkampagne in den USA dürfen sie wieder vermehrt öffnen und haben sogar einen großen Actionfilm, den sie zeigen können, nämlich "Godzilla versus Kong".
Der Popcorn-Film, in dem das Monster Godzilla gegen den Riesenaffen King Kong kämpft, hat gleich am Startwochenende an Ostern in den USA knapp 50 Millionen US-Dollar eingespielt. Die Menschen wollen offenbar zurück in die Kinos, meint Marc Malkin, Redakteur des Entertainment-Magazins "Variety" bei CNBC. Natürlich wolle man einen Film wie diesen auf der großen Leinwand sehen.
Beachtlich ist der finanzielle Erfolg deshalb, weil "Godzilla versus Kong" gleichzeitig auf der Streaming-Plattform von Warner Bros., HBO Max, veröffentlicht wurde.

Ist die Krise bald zu Ende?

Die Zuschauer haben also die Wahl, zu Hause zu bleiben oder ins Kino zu gehen. Dass trotzdem viele ins Kino wollten, sehen optimistische Filmexperten wie Malkin als Zeichen, dass die Krise bald zu Ende ist.
Im Sommer sollen noch mehr Actionfilme folgen, die das Potenzial haben, viel Geld an den Kinokassen einzuspielen, etwa der Marvel-Comic-Film "Black Widow" mit Scarlett Johansson oder der Comic und Real-Film "Space Jam 2", mit Basketballstar LeBron James.
Auch bei diesen Filmen gehen die Studios quasi auf Nummer sicher und veröffentlichen die Filme sowohl per Streaming als auch gleichzeitig im Kino. Und nicht alle Studios scheinen so optimistisch zu sein und halten ihre Blockbuster erst einmal zurück. Das Hollywood-Studio Universal hat beispielsweise den Kinostart vom nächsten James-Bond-Film "No Time To Die" wieder verschoben, auf den Herbst. Der Start des Tom-Cruise-Films "Top Gun Maverick" verspätet sich ebenfalls.

Das Ziel: noch mehr Kinopleiten vermeiden

Grund dafür ist wohl, dass vor allem in Europa viele Kinos noch nicht wieder geöffnet haben. Und auch in den USA ist unklar, ob beispielsweise in New York ab Sommer wieder mehr Menschen ins Kino dürfen. Derzeit sind nur 25 Prozent Kapazität in den Kinos erlaubt. Zu wenig, um profitabel zu sein. Der Verband der Kinobetreiber fordert die Politik bereits auf, die Kapazität bald hochzufahren, um noch mehr Kinopleiten zu vermeiden.
Wie es mit dem legendären Cinerama Dome weitergehen wird, ist unklar. Immerhin darf er nicht abgerissen werden, denn er steht unter Denkmalschutz. Heitiare aus LA hofft, dass es vielleicht doch noch ein Happy End geben wird:
"Mit dem Egyptian Theatre in Hollywood gab es eine ganz ähnliche Situation – und da kam Netflix und hat das Kino gerettet. Vielleicht gibt es ja ähnliche Ideen für diese Kuppel."
Tatsächlich hat der Streaming-Dienst Netflix das so genannte Egyptian Kino gekauft – um dort seine Filme zu zeigen, die normalerweise auf der Streaming-Plattform laufen. Grund ist unter anderem, dass Filme eine bestimmte Zeit in Los Angeles laufen müssen, um sich überhaupt für die Oscar-Nominierungen zu qualifizieren. Doch die Pandemie hat auch an dieser Tradition gerüttelt
Im US-Fernsehen war es vor gut einem Jahr eine große Schlagzeile: Spielfilme müssen nicht erst sieben Tage im Kino sowie in Los Angeles laufen, bevor sie an den Oscars teilnehmen dürfen.

And the winner is: Netflix

Als die Oscar Academy die Regeln wegen Corona änderte, konnte man in der Firmenzentrale von Netflix im Silicon Valley förmlich die Champagnerkorken knallen hören. Denn das Streaming-Unternehmen war – unfreiwillig – bestens gerüstet für eine Pandemie. Besser als jeder seiner Streaming-Konkurrenten und besser als viele der großen Filmstudios, sagt Filmkritikerin Amanda Kate Dobbins:
"Ganz allgemein ist Netflix gut aufgestellt, weil sie einfach viele Filme produzieren. Ihr Distributionssystem ist nicht unterbrochen worden. Und sie mussten ihr Marketing nicht umstellen. Sie konnten einfach so weitermachen."
Netflix plant Serien und Filme mit großem Vorlauf. Es will möglichst die gesamte Produktionskette kontrollieren, sprich: möglichst alle Rechte besitzen. In der Corona-Pandemie ist dem Unternehmen aber auch noch zugutegekommen, dass die großen Filmstudios von Hollywood angesichts geschlossener Kinos respektable Ausspielwege brauchten, um ihre Filme überhaupt bekannt machen und unters Publikum bringen zu können. Netflix mit seinen weltweit 206 Millionen Abonnenten ist hier schlicht die größte und wichtigste Plattform. Zum Beispiel das Paramount Filmstudio.
Paramount verkaufte den Thriller "The Trial of the Chicago 7" notgedrungen an Netflix, wo er jetzt für sechs Oscars nominiert ist. Die meisten Nominierungen hat in diesem Jahr aber Netflix' eigene Produktion "Mank" erhalten - eine Biografie über den Co-Drehbuchautor Herman J. Mankiewicz, der das Drehbuch für den Filmklassiker "Citizen Kane" mitverfasst hat.

Dominanz der Streamingdienste bei den Nominierungen

Gleich zehn Oscar-Hoffnungen kann sich der Film von Regisseur David Fincher machen. Netflix-Produktionen kommen allein in diesem Jahr aufs insgesamt 35 Nominierungen. So viele wie noch nie. Aber nicht nur Dickfische wie das kalifornische Streaming-Angebot oder Amazon Prime Video mit zwölf Nominierungen sind schon jetzt die Gewinner. Profitiert von der Regeländerung haben auch Unternehmen wie iPhone-Hersteller Apple, der erst vor zwei Jahren in die Filmproduktion eingestiegen ist. Es darf sich gleich zweimal Hoffnungen machen: mit dem Animationsfilm "The Wolfwalkers" und für den Soundtrack des Kriegsdramas "Greyhound".
Die Pandemie hat die Streamingdienste gestärkt – und damit auch gleichzeitig die kleineren, anspruchsvolleren Filme, meint der NPR-Filmkritiker John Horn. Denn viele Filme hätte man sonst ignoriert. Wer sich die Nominiertenliste der Oscars in diesem Jahr ansieht, dem fällt nicht nur auf, wie dominant die Streamingdienste sind, sondern auch, dass es mal andere Gesichter vor und hinter der Kamera gibt.
"Minari" zum Beisipiel, nominiert unter anderem als bester Film, erzählt die Geschichte einer koreanischen Familie, die in den USA Wurzeln schlagen will.
"Nomadland" folgt einer Frau, die gezwungen ist, ihre Heimat zu verlassen und sich mit ihrem Van als eine Art amerikanische Nomadin durch die USA bewegt, immer auf der Suche nach Arbeit und einem Stellplatz für ihr Auto.

Mehr Frauen und mehr People of Colour

Die Regisseurin des Films, Chloe Zhao, tritt in der Kategorie "Beste Regie" zum ersten Mal in der Geschichte der Oscars gegen eine andere Frau an, nämlich Emerald Fennell mit ihrem Film "Promising Young Woman".
Die Oscars sind in diesem Jahr so divers wie nie, mehr Frauen sind in wichtigen Kategorien nominiert, mehr Black und People of Colour – also Nicht-Weiße insgesamt. Das mag zum einen daran liegen, dass die Oscar-Academy nach viel Kritik ihre Mitgliederzahl erhöht und mehr Frauen sowie Nicht-Weiße aufgenommen hat.
Doch Hollywood habe sich nicht einfach nur zum Besseren verändert, meint Filmexperte Bob Mondello in einer Analyse im Radiosender NPR:
"Dies sind die Filme, die die Studios mitten in einer Pandemie zeigen wollten. Eine Entscheidung, von der sie wussten, dass sie finanzielle Konsequenzen haben würde. Denn bis vor Kurzem waren die Kinos in den wichtigsten Filmmärkten der USA Los Angeles und New York zu. Einige Filmemacher, die die Macht hatten, 'Lass uns warten' zu sagen, taten dies. Und wer war das? Vor allem die meist männlichen, weißen Stars, Produzenten und Studioköpfe."

Hoffnung auf einen Oscar-Gewinn oder eine -Nominierung

Heißt: wer es sich leisten konnte, der wartete ab, um möglicherweise mehr Geld mit den Filmen zu verdienen. Filmemacher von Low-Budget Produktionen oder Independentfilmen wie "Minari" oder auch "Judas And The Black Messiah" hatten diesen langen Atem nicht.

Auch wenn diese Filme finanziell keine großen Sprünge machen konnten, so bleibt die Hoffnung, dass ihnen ihre Nominierung oder Gewinne bei den Oscars doch noch einen kleinen Schub verpassen könnten. Denn gute Filme müssen gesehen werden. Sonst ist es ein Leichtes für Hollywood, wieder in alte Muster zu verfallen.
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