Die internationale Konferenz "Hijacking Memory. Der Holocaust und die Neue Rechte" findet bis zum 12. Juni im Berliner Haus der Kulturen der Welt statt, organisiert vom Einstein Forum in Potsdam und dem Zentrum für Antisemitismusforschung der Technischen Universität Berlin.
Konferenz über Holocaust und Neue Rechte
Auf Demonstrationen heften sich einige Impfgegner den "Judenstern" an und relativieren damit den Holocaust. © picture alliance / dpa / Boris Roessler
An Gedenkschleifen zupfen und danach rassistisch twittern
12:30 Minuten
Die Konferenz "Hijacking Memory" widmet sich der Frage, wie die Neue Rechte das Holocaust-Gedenken für ihre politischen Zwecke missbraucht. Die Holocaust-Forscherin Stefanie Schüler-Springorum wirbt dafür, auch heikle Themen offen zu diskutieren.
Mit der politischen Vereinnahmung des Holocaust-Gedenkens beschäftigt sich ab heute in Berlin die internationale Konferenz "Hijacking Memory. Der Holocaust und die Neue Rechte". In den Gedenkstätten und Universitäten gebe es die Sorge, dass die deutsche Erinnerungskultur in Bezug auf den Holocaust an emotionaler Relevanz verliere, sagt Stefanie Schüler-Springorum, Direktorin des Berliner Zentrums für Antisemitismusforschung, über den Impuls, die Tagung zu organisieren. Zudem werde das Thema Antisemitismus immer wieder per "Medienhype" verhandelt, ohne dass es viel Inhalt gebe.
Erinnerung als Staatsritual
"Aus meiner persönlichen Sicht ist Erinnern immer individuell und sollte es auch sein", sagt Schüler-Springorum. Seit die Erinnerung an den Holocaust zur Staatspolitik erhoben wurde, sei sie zum Ritual geworden: "zu einer Gedenkkultur, die eher von oben kommt". Dabei sei die deutsche Erinnerungskultur nach 1945 eigentlich von unten gewachsen und erkämpft worden: "Das hat lange gedauert und ist auf extremen Widerstand gestoßen."
"Wir müssen uns heute darüber Gedanken machen, wo wir stehen und was es bedeutet, wenn sich auch rechtsradikale Politiker immer schön an Gedenktagen zu der Notwendigkeit der Erinnerung bekennen oder irgendwo am Kranz an der Schleife zupfen, aber zugleich eben problemlos am nächsten Tag rassistische Parolen gegen andere Minderheiten twittern", betont die Historikerin.
Missbrauch der Symbole
Als Beispiele für den Missbrauch des Gedenkens nennt die Holocaust-Forscherin Impfgegner, die sich nachgebildete "Judensterne" anhefteten, als würden sie heute verfolgt. Solche Symbole würden auch in den sozialen Medien weit verbreitet: "das Tor von Auschwitz, der Judenstern, Anne Frank oder 'Ich bin Sophie Scholl'." Um einem politischen Anliegen mehr Gewicht zu verleihen, werde auf Symbole der Holocaust-Erinnerung zurückgegriffen. "In den 70er-Jahren wäre niemand auf die Idee gekommen, mit einem Judenstern herumzulaufen, um gegen Atomkraft zu demonstrieren", sagt Schüler-Springorum.
Zu den Lehren aus dem Holocaust gehöre länderübergreifend, dass man sich heute gegen Antisemitismus positioniere. Leider folge daraus für einige auch ein Bekenntnis zum "christlich-jüdischen Abendland", was andere Minderheiten ausschließe: "Es wird keine universelle Lehre gezogen, wie sie die Menschenrechte anbieten und die Entwicklung nach 1945, sondern es wird wieder auf eine ethno-nationalistische Ebene heruntergebrochen."
Erinnerungskultur in Osteuropa
Die Konferenz widmet sich an drei Tagen einer Vielzahl von Themen rund um diese Grundsatzfragen. Auch der umstrittene BDS-Beschluss des Bundestages sowie die Debatte rund um Antisemitismusvorwürfe vor der Documenta werden diskutiert.
Ein ganzer Tag mit zehn Beiträgen widme sich dem Ukraine-Krieg, so Schüler-Springorum. "In Osteuropa ist der Holocaust ein sehr, sehr schwieriges Thema." Dort verbinde sich der Vergangenheitsdiskurs mit der Nationswerdung einiger Staaten. "Insofern haben wir da eine ganz direkte politische Instrumentalisierung für aktuelle nationalstaatliche Zwecke." Dabei werde es auch um die Rechte in der Ukraine und den umstrittenen ukrainischen Nationalhelden Stepan Bandera gehen. "Das muss man thematisieren, wenn einem ein freier, demokratischer Diskurs wichtig ist", so die Historikerin.
(gem)