Stolperstein-Verbot spaltet München
Die in Gehwegen eingelassenen Stolpersteine, die an deportierte jüdische Anwohner erinnern, sind in München verboten. Das Andenken werde so mit Füßen getreten, sagen die einen. Die Steine erfüllen ihren Zweck, meinen die anderen. Die Fronten sind verhärtet.
Auf Spurensuche in München-Sendling. In der Kyreinstraße sollen welche liegen, wurde mir gesagt, gleich ein Dutzend, vor dem Haus Nummer 3. Der Blick aufs Handy zeigt, das ist richtig. Eine spezielle App extra für Stolpersteine in München zeigt - ganz modern - den Weg zu den unscheinbaren Gedenksteinen auf dem Boden. Zur Haydnstraße, zur Widenmayerstraße und eben auch zur Kyreinstraße.
Eine normale Wohngegend, nicht mondän, aber auch nicht schlicht. Fünfstöckige Mietshäuser, viele aus den 1920er-Jahren. Am Haus Nummer drei steht das schmiedeeiserne Eingangstor offen. Fahrräder, Bobbycars, Kinderwagen im Hof. Im Durchgang dann die kleinen Steinen mit eingravierten Namen: Hannah Berger, Esther Berger, Simon Berger. David Meyer, Natalie Meyer. Jahreszahlen stehen dabei: 1929, 1939, 1902, 1941. Die Geburtsjahre und Sterbejahre. Dann ein Ort: Kaunas.
Der Messingglanz ist zu dieser Jahreszeit etwas verblasst. Schnee, Streusalz, Split – wie alle anderen Pflastersteine ringsum sind die Stolpersteine der Witterung ausgesetzt. Terry Swartzberg winkt von seinem Rennrad, bremst vor der Kyreinstraße 3, stellt das Rad ab, nimmt den Fahrradhelm vom Kopf, setzt eine Kippa auf und lächelt.
"So das sind die 13 Stolpersteine, das war die Idee der Hausgemeinschaft. Da gab es einen bewegenden Moment, wo Kinder des Hauses über die Kinder, die hier bedacht sind, etwas vorgelesen haben. Das hier war ein Haus in Sendling, nicht reich, nicht arm, aber sie waren integriert in der Sendlinger Gesellschaft."
Terry Swartzberg, 61, lebt seit 2009 in München, er war vorher in New York zu Hause, schrieb für die Harald Tribune. Mit der "Initiative für Stolpersteine" setzt er sich gegen das Münchner Verbot ein, ist Ansprechpartner für Angehörige, die sich einen Stolperstein für Opfer des Nationalsozialismus wünschen. Er berät auch Menschen, die eine Patenschaft übernehmen wollen. Während wir vor den 13 kleinen viereckigen Gedenksteinen stehen, kommt er ganz schnell auf das Verbot des Münchner Stadtrats von 2004 zu sprechen, dass auf städtischem Boden Stolpersteine verboten sind:
"Es ist so, die Münchner waren nie das Problem. Die Münchner, die die Steine kannten, waren immer überwiegend dafür, das war klar, das war immer zu sehen. Es war auch nicht die ganze Israelitische Kultusgemeinde, es war Frau Knobloch und ein paar andere. Viele von der IKG sind Paten für Stolpersteine, sind Freunde der Stolpersteine, kommen zu unseren Veranstaltungen. Es gibt viele jüdische Gemeinden in München und meine, Beth Schalom, ist Mitglied von den Stolpersteinen geworden, einige sind auch Einzelmitglieder."
Viele Münchner wünschen sich Stolpersteine
Mittlerweile ist es zehn Jahre her, dass der Münchner Stadtrat das Stolpersteinprojekt des Kölner Künstlers Gunter Demnig abgelehnt hat. Der Beschluss damals beruhe auf Einzelmeinungen, betont Swartzberg. Eigentlich wünschten sich noch viel mehr Münchner Opfergruppen der NS-Zeit diese Art des Gedenkens, weiß er: Homosexuelle, Behinderte, Roma und Sinti, politisch Verfolgte.
Doch man nehme Rücksicht auf die drastische Kritik, die vor allem aus der Israelitischen Kultusgemeinde am Jakobsplatz zu hören ist. Nur deshalb würden gut 300 seit Jahren fertige, für eine Verlegung bereite Stolpersteine in seinem Privatkeller, in der Musikhochschule am Königsplatz und auch im Kunstpavillon am Botanischen Garten aufbewahrt werden, wo sie zwar betrachtet werden, aber ihren eigentlichen Sinn und Zweck – darüber zu stolpern – nicht erfüllen können.
"Die liegen da, um die Münchner bekannt zu machen mit den Stolpersteinen. Das heißt, viele Münchner wissen nicht, was Stolpersteine sind, weil sie sie noch nie gesehen haben. Viele Münchner gehen davon aus, dass es Stolpersteine hier gibt wie in Berlin, Hamburg oder Freiburg. Und diese Stolpersteine wie alle anderen 27 auf Privatgrund verlegten Stolpersteine sind da, um den Münchnern zu zeigen, es geht doch, so sieht er aus, so wird er respektiert. Und wie man hier sieht, in der Kyreinstraße 3 bei diesen 13 Stolpersteinen, sind sie nicht geschändet worden, sie müssen mal wieder geputzt werden, aber sie sind wunderbar respektiert."
Im Mai 2004 war es, als der 81-jährige Peter Jordan gemeinsam mit dem Künstler Gunter Demnig die ersten zwei Stolpersteine in München verlegte, direkt vor seinem früheren Wohnhaus für seine ermordeten Eltern. Kurze Zeit später entfernte die Stadt München die kleinen goldenen Pflastersteine und brachte sie auf einen Friedhof, mit der Begründung, der öffentliche Gehweg sei kein geeigneter Ort für das Gedenken an jüdische Opfer der Nazizeit. Die Opfer würden ein zweites Mal verhöhnt und mit Füßen getreten, wenn ihre Namen im Schmutz der Gehsteige eingelassen werden, so lautet auch heute noch, zehn Jahre später, das Argument von Charlotte Knobloch, der Vorsitzenden der Israelitischen Kultusgemeinde.
Persönlich äußert sie sich heute nicht mehr dazu. Ihrer öffentlichen Äußerung von vor vier Jahren sei nichts mehr hinzuzufügen:
"Für mich ist es einfach nicht verständlich, dass Menschen, die ich auch noch kannte, dass Menschen, die ich noch kannte, eventuell wieder mit Füßen getreten werden, dass Hunde dort ihre Notdurft verrichten und dass Menschen, was auch schon geschehen ist, diese Steine anspucken. Dass ist etwas, was ich persönlich als nicht die Erinnerung und dieses Gedenken sehe, wie es eigentlich aus meiner Sicht her gegeben wäre."
Knobloch: Es gibt bessere Formen des Gedenkens
Es gäbe bereits weitaus bessere Formen des Gedenkens als die mittlerweile inflationär an unzähligen Orten verlegten Opfersteine. Ihr Stellvertreter Abi Pitum schließt sich der Meinung an:
"Viele von uns sind der Meinung, zu viel ist zu viel. Dass Frau Knobloch mit diesem mechanischen Argument, man tritt - das ist ihre eigene Meinung, das ist nicht das, worum es geht. Wir haben die große Angst, dass mit einem zu viel an Gedenksteinen, zu viel an Gedenken, kontraproduktiv gearbeitet wird."
Solange die Stolpersteine etwas Besonderes waren, nur vereinzelt in Deutschland verlegt wurden, so Abi Pitum, hätten sie Aufmerksamkeit erregen können. Heute schaue man schon gar nicht mehr hin, weil sie überall lägen und eben im Schmutz der Straßen. Ein inflationäres Gedenken würde da unterstützt, dass den Opfern nicht gerecht werde. Dieses Argument lässt Befürworter Terry Swartzberg überhaupt nicht gelten:
"Es geht um die Shoa. Es geht nicht um Verleumdung oder Antagonismen, es geht um die Shoa und deswegen kann ich das überhaupt nicht nachvollziehen. Und inflationär – jeder Mensch, der gestorben ist im Holocaust verdient Erinnerung, verdient Gedenken und da zu sagen, das wäre inflationär, weil es mehr ist, das ist eine Verleumdung ersten Grades, da muss ich mich empören, zu sagen, dieser eine Mensch darf bedacht werden und die andere ganze Gruppe nicht, oder nur so und so viele. Wo kommt diese Kontingentmentalität her? Das ist nicht gerecht!"
Die Emotionen kochen leicht hoch in München bei dem Thema, auf beiden Seiten. Der Streit geht nicht nur quer durch die Stadtbevölkerung, sondern auch quer durch die jüdische Bevölkerung Münchens. Die Stolpersteine seien sehr wohl ein angemessene Art des Gedenkens argumentieren die Befürworter von der Münchner Initiative für Stolpersteine. Mit dabei auch Jan Mühlstein Vorsitzender der Liberalen Jüdischen Gemeinde München Beth Shalom:
"Die Stolpersteine haben den Vorteil, dass sie dort die Menschen ansprechen, wo das Verbrechen den Ausgang genommen hat, mitten in der Bevölkerung. Es ist ja kein Verbrechen, das irgendwo am Rande geschehen ist, sondern mitten in der Bevölkerung. Das ist für mich das wichtigste Argument."
Münchens Altoberbürgermeister Christian Ude unterstützte bis zu seinem Ausscheiden aus dem Amt 2013 die ablehnende Haltung der Israelitischen Kultusgemeinde und setzte das Verbot auf städtischem Boden durch.
Der neue Oberbürgermeister Dieter Reiter hält sich mit einer Veränderung oder Aufhebung des Verbots zurück. Alle Seiten müssten gehört werden, das sei man den Opfern und den Angehörigen schuldig, heißt es von der Stadtspitze. Anfang Dezember traf sich der Stadtrat zu einem öffentlichen Hearing im Alten Rathaus, lud Gegner und Befürworter ein.
Einer der Redner war Ernst Grube, Holocaustüberlebender. Der 83-Jährige spricht sich ganz klar für ein Ende des Verbots aus:
"Die Diskussion bedauere ich natürlich sehr, aber sie dauert schon sehr viele Jahre und sie wird bestimmt durch die Ablehnung der Vorsitzenden der Israelitischen Kultusgemeinde, Frau Knobloch. Eine Ablehnung, deren Begründung mit Schmutz und Betreten der Steine begründet wird – also ich kann das nicht akzeptieren. Die Steine sind kein Friedhof, sie sind ein Stein des Anstoßes, damit wir Bürger damit konfrontiert werden und dadurch ins Gespräch kommen."
Ernst Grube gehört zum Landesvorstand Bayern der "Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes", er ist der stellvertretende Vorsitzende der Lagergemeinschaft Dachau. Die derzeitige Situation sei bedauerlich, sagt er immer wieder. Auch als während des Hearings das Argument kommt, es würden in Berlin, Mecklenburg-Vorpommern und anderswo die Stolpersteine wiederholt beschädigt, übersprüht oder rausgerissen werden, also die Opfer ein weiteres Mal gedemütigt, kontert er:
"Also ich kann es nicht nachvollziehen und die Fälle, wo die Steine beschädigt werden sind, gemessen an der Zahl der Verlegten, fast bei null. Was ich vor allem nicht verstehen kann und auch nicht verstehen will ist diese Majorität, die nun die Meinung der Frau Knobloch hat, man kann ja gar nicht sagen der Israelitischen Kultusgemeinde, sondern von Frau Knobloch und einigen anderen. Aber vor allem deshalb weil ich als Befürworter hier nicht diese Beachtung finde. Frau Knobloch ist so alt wie ich, nur ein paar Wochen älter, Frau Knobloch ist verfolgt worden, ich bin verfolgt worden, warum jetzt diese Meinung der Frau Knobloch vorherrschend ist gegenüber meiner, also ich kann das nicht akzeptieren."
Stadträte bleiben skeptisch
Die Stadträte bleiben skeptisch. Noch ist eine Entscheidung nicht abzusehen. Auf der Februarsitzung des Kulturausschusses steht das Thema nicht auf der Tagesordnung, ob es bei der Märzsitzung eingeplant werden wird, kann die Sprecherin des Kulturreferates heute noch nicht sagen. Die Meinung unter den Stadträten ist nach der Dezemberanhörung gespalten. CSU-Stadtrat Richard Quaas:
"Ich bin der Auffassung, dass man bei allen Argumenten, die heute gekommen sind, nach wie vor die Meinung einer Überlebenden und einer Vertreterin der Opfergeneration sehr hoch einwerten sollte und ich werde, das kann ich heute schon sagen, aber das ist meine Meinung, bei meinem Votum bleiben, dass ich die Stolpersteine in München nicht für sinnvoll erachte."
Münchens Kulturreferent Hans Georg Küppers kennt die Diskussion noch aus seiner Zeit als Dezernent für Kultur, Bildung und Wissenschaft der Stadt Bochum. Dort liegen Stolpersteine auf städtischen Grund, doch die teils massive Kritik lässt auch ihn zögern:
"Es gibt kritische Stimmen, gerade auch hier in München, und da muss ich ehrlich sein, ich weiß nicht, wenn es diese kritischen Stimmen, diese dezidiert kritischen Stimmen, die ja wirklich ernst zu nehmen sind, seinerzeit in Bochum gegeben hätte, ob ich mich es dann getraut hätte zu sagen, wir machen es trotzdem. Ich finde es deshalb wichtig, dass in einer Demokratie diese Form des Erinnerns zu diskutieren, denn Erinnern im Streit ist das schlechteste was wir haben können."
Vor allem der Vorwurf, Gunter Demnig habe bei Steinen in Hamburg die Tätersprache benutzt, sorgt für Nachdenken in München. Der Begriff "Wehrkraftzersetzung" steht zum Beispiel auf einem Gedenkstein in Bremen. Auch Wörter wie "Rassenschande", "Volksschädling" oder "Gewohnheitsverbrecher" sind als Grund für die Deportation eingraviert worden. Angehörige sind entsetzt, der Künstler Demnig wollte sein Konzept aber beibehalten, das irritiert die Münchner Politiker. Dazu kommen Beschmierungen und Schändungen der kleinen goldenen Gedenksteine, die auf der Webseite der Amadeu Antonio Stiftung aufgelistet sind.
Auch der Vorwurf der jüdischen Gemeinde in Hamburg vom November, dass die Stolpersteine ein Millionengeschäft geworden seien und der Künstler Gunter Demnig sich damit einen "politisch korrekt ummantelten Businessplan" geschaffen habe, ist bis nach München gedrungen. Die Stolpersteine seien zu einer moralischen Stolperfalle geworden, heißt es aus Hamburg. Ja und, sagt Holocaust-Überlebender Ernst Grube zu dem angeblichen Millionengeschäft:
"Also auf Kosten der Opfer, das ist einfach nicht wahr, das ist nicht auf Kosten der Opfer. Aber dass der Herr Demnig für seine Arbeit auch Gewinn haben will, sagen sie mir doch mal solche Initiativen - selbst wenn er ein bisschen mehr hat vielleicht wie andere, das interessiert mich nicht, mir geht es um die Steine. Wenn er dabei verdient, na soll er doch."
Ein Samstagvormittag am Kunstpavillon im Alten Botanischen Garten. Hier, wo zahlreiche Stolpersteine auf ihre Verlegung warten, treffe ich den Abiturienten Tariq Abo Gamra vom Münchner Gisela-Gymnasium. Während eines Schulseminars lernte er das Projekt Stolpersteine kennen. Gemeinsam mit Schülervertretungen anderer Schulen will er einen offenen Brief an den Stadtrat senden, um ein Zeichen zu setzen, dass sich auch die junge Generation mit dem Thema kritisch auseinandersetzt:
"Meiner Meinung nach kann jede Form des Gedenkens geschändet werden, und man könnte sagen, auf die Stolpersteine kann man trampeln, aber ich hab erfahren, dass die meisten Betroffenen und Familienangehörigen sich die Stolpersteine wünschen, und ich finde, dass die Stolpersteine nicht nur neue Wege der Schändung eröffnet, sondern auch des Gedenkens. Man bleibt stehen, ich habe auch schon erlebt, dass Passanten drum herum gehen. Ich finde das sehr respektvoll, vor allem weil die Stolpersteine Wind und Wetter aushalten und ich finde, das ist schon was Besonderes, aber ich finde, dass die Diskussion zeigt, dass es wichtig ist, jede Stimme zu respektieren und auch in den Dialog zu treten."