Gedenken an NS-Verbrechen in Weißrussland
In der Sowjetunion wurde kaum an den Holocaust erinnert. Das Gedenken des Zweiten Weltkriegs galt den Helden der Roten Armee. Nun wird bei Minsk die Holocaust-Gedenkstätte Trostenez eröffnet – im Beisein von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier.
Kurt Marx weiß nicht viel über die letzten Tage seiner Eltern. Aber immerhin steht heute fest, dass sie an einem Sommertag im Juli 1942 ermordet wurden - in Weißrussland, in einem Wald in der Nähe des Dorfs Trostenez oder auf dem Weg dorthin.
"Am 19. hatte mir mein Vater noch einen Brief geschickt, einen Rotes-Kreuz-Brief aus Köln. Er hat geschrieben: Wir sind gerade vor der Abreise, lass dich schön grüßen, sei gesund und so weiter. Ja, die haben das nach England geschickt, über die Schweiz nach England. Höchstwahrscheinlich im September kam es da an. Da lebten sie schon lang nicht mehr, aber das wusste man damals überhaupt nicht."
Schuldirektor hat Flucht aus Nazi-Deutschland organisiert
Der heute 92-Jährige Kurt Marx hat den Holocaust überlebt, weil er als Kind nach England ausreisen konnte. Der Direktor seiner Schule hatte die Flucht aus Nazi-Deutschland organisiert.
Die deutschen Besatzer ermordeten bei Trostenez nach verschiedenen Schätzungen mindestens 50.000 Menschen, die meisten von ihnen Juden. Die Opfer stammten aus Deutschland, Österreich, Tschechien und Weißrussland. Es ist die größte deutsche Vernichtungsstätte auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion.
Manche der Opfer wurden erschossen, andere in Lkws umgebracht, die zu mobilen Gas-Kammern umfunktioniert waren.
Frank-Walter Steinmeier wird auch kommen
Deshalb weiß Kurt Marx nicht genau, wie seine Eltern starben. Aber er hat einiges über ihre Abreise aus Köln in Erfahrung gebracht.
"Sie haben wirklich geglaubt, dass sie hier arbeiten können. Sie mussten sogar für ihre Reise selbst bezahlen. Sie mussten 50 Mark pro Kopf bezahlen, um herzukommen, sodass man sie ermorden konnte."
Kurt Marx wird heute dabei sein, wenn in Trostenez eine Gedenkstätte eingeweiht wird - fast 80 Jahre nach dem Verbrechen. Auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier wird kommen.
Möglich wurde dies durch das Internationale Bildungs- und Begegnungswerk Dortmund, kurz IBB. Der Verein beschäftigt sich seit vielen Jahren mit Weißrussland. Er hat in der Hauptstadt Minsk ein Begegnungszentrum und eine sogenannte Geschichtswerkstatt geschaffen - sie arbeitet die Geschichte des Minsker Ghettos auf. Das IBB sammelte für die Gedenkstätte in Deutschland Spenden von insgesamt einer Million Euro.
Besucher gehen den letzten Weg
Das Projekt stammt vom inzwischen verstorbenen weißrussischen Architekten Leonid Lewin, der selbst zahlreiche Verwandte durch den Holocaust verloren hatte.
Seine Tochter Galina Lewina, ebenfalls Architektin, setzte sein Werk fort:
"Die Gedenkstätte ist so konzipiert, dass jeder, der kommt, diesen letzten Weg gehen muss. Diese 800 Meter bis zu dem Ort, wo die Juden erschossen wurden, den Weg bis zu dieser letzten Grenze, hinter der die Vernichtung kam."
Dieser Weg führt unter anderem durch fünf begehbare Eisenbahnwaggons - Zeichen für den Transport der Juden aus dem westlichen Europa.
Der 92-jährige Kurt Marx ist froh, dass das Andenken an seine Eltern nun endlich einen Ort bekommt:
"Wenn normalerweise ein Mensch stirbt, dann wird er begraben, dann geht man zu einem Friedhof - und man kann hingehen, wenn man will oder muss. Und das ist hier für mich ungefähr dasselbe. Irgendwie hat mich das befriedigt, das ist mehr oder weniger das Ende. Ich habe lange genug gewartet."