Holocaust-Überlebende Margot Friedländer wird 100
"Worte sind nicht genug. Taten wollen wir sehen", sagt Margot Friedländer. © picture alliance / Tobias Schwarz
"Ihr müsst Menschen sein, nichts weiter"
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Sie überlebte das KZ Theresienstadt: Margot Friedländer hätte gute Gründe, Deutschland zu meiden. Doch seit zehn Jahren lebt sie wieder in Berlin und tritt als Zeitzeugin auf. Damit sich die Vergangenheit nicht wiederholt.
"Ein neues Leben hat angefangen vor zehn Jahren, als ich zurückgekommen bin. Berlin ist meine Heimat. Ich bin hier geboren. Ich fühle mich als Berlinerin, ich fühle mich als Deutsche. Ich gehöre hierher. Ich sag immer: Ich bin mit Spreewasser getauft", sagt Margot Friedländer.
So hat es die Holocaust-Überlebende vor einem Jahr in einer Dokumentation des Senders Phoenix formuliert. Wie ist eine solche, scheinbar ungebrochene Liebe zur Heimat möglich? Für die meisten Verfolgten war doch die Emigration nach dem Holocaust etwas Endgültiges.
Vielleicht spielt ein Paradox in Margot Friedländers Biographie eine Rolle. 15 Monate lang, vom Januar 1943 bis zum Frühjahr 1944, haben sie 16 Berliner in ihren Wohnungen versteckt und damit selbst viel riskiert.
"Es gab gute Deutsche"
"Diese Menschen, die mir geholfen haben, Deutsche, die ich nie vorher gesehen hatte, total fremd, einer hat mich zum nächsten geschickt, diese Menschen waren einfach gute Menschen. Es waren Deutsche. Immer, auch nachher diese Jahre in Amerika, habe ich gefühlt: Es gab gute Deutsche. Menschen, die nicht weggeguckt haben, die etwas getan haben, was ihren Kopf hätte kosten können", erzählt Friedländer.
Paradoxerweise waren es zwei jüdische "Greifer", die sie – unter dem Druck und im Auftrag der Gestapo – auslieferten. Für Margot Friedländer, die damals Margot Bendheim hieß, waren also "gut" und "böse" nicht immer so eindeutig zuzuordnen wie für viele andere Überlebende der NS-Diktatur.
Margot Bendheim war nicht zu Hause in der Kreuzberger Wohnung, als ihr Bruder Ralph und später auch ihre Mutter von der Gestapo verhaftet wurden. Über eine Nachbarin hinterließ die Mutter ihrer Tochter eine Botschaft.
"Die Nachricht war: 'Ich gehe mit Ralph, wohin auch immer das sein mag. Versuche, Dein Leben zu machen.' Und das war es", sagt Friedländer.
Im KZ lernte sie ihren Mann kennen
Margots Mutter und ihr Bruder wurden in Auschwitz ermordet. Mit 21 Jahren stand Margot Bendheim alleine da. Sie schaffte es, dem Willen der Mutter zu folgen und ihr "Leben zu machen".
Sie überlebte das KZ Theresienstadt, lernte dort ihren Mann Adolf Friedländer kennen, den sie nach der Befreiung – noch im Lager – heiratete. 1946 wanderten beide nach New York aus.
Nun endlich lebte sie in Freiheit, verdiente ihr Geld als Schneiderin und im Reisebüro. Und doch sagt sie rückblickend über die USA:
"Ich habe gearbeitet, ich habe Steuern bezahlt. Ich war ein guter 'citizen'. Aber wie wir sie (die Amerikaner: Anmerkung der Redaktion) gebraucht haben, haben sie uns nicht reingelassen. Ich brauchte ja Amerika nicht, ich war befreit. Also warum? Wenn es acht Jahre früher gewesen wäre! Dann wäre ich mit der Mutti an der Statue of Liberty auf dem Boot gewesen. Da wäre ich vielleicht glücklich geworden. Amerika hat mir nichts bedeutet, nichts."
An den Schulen unterwegs
Seit ihrer Rückkehr in die geliebte Heimat erzählt sie hier ihre Lebensgeschichte. Manchmal hat sie drei Termine in der Woche – an Schulen und anderen Bildungseinrichtungen. 2008 veröffentlichte sie ihre Autobiografie, die in einem gepflegten, literarischen Deutsch verfasst ist.
"Wir sind gebrochene Menschen. Aber man kann auch damit leben, und besonders ich, wo ich das Gefühl habe, jetzt, nachdem ich zurückgekommen bin, etwas zu tun – ich spreche für die, die nicht sprechen können. Und es sind nicht nur die sechs Millionen Juden. Ich spreche für alle, die man umgebracht hat, die gelitten haben", fasst sie ihre Aufgabe zusammen.
Für Staat und Gesellschaft in Deutschland ist Margot Friedländer die ideale Überlebende: so offen, so versöhnlich, so voller Bekenntnisse des Herzens zu Berlin, ja zu Deutschland – trotz der schweren Last der Geschichte.
Ehrenbürgerin mit Bundesverdienstkreuz
Schon 2011 verlieh ihr der damalige Bundespräsident Christian Wulff das Bundesverdienstkreuz, seit 2018 ist Margot Friedländer Ehrenbürgerin Berlins.
Sie kam zurück, nicht nur aus Sehnsucht nach Berlin, sondern auch mit einer Mission, mit einem Anspruch an ihre alte, neue Heimat: "Es ist wichtig für euch, für die Demokratie. Die Demokratie muss bleiben. Ihr müsst Menschen sein. Nichts weiter. Was können wir machen? Ihr könnt viel machen. Ihr könnt Menschen sein. Es ist sehr schön, ihr sprecht. Aber Worte sind nicht genug. Taten, Taten wollen wir sehen."