Holotropes Atmen

Der körpereigene Rausch

Mann breitet seine Arme aus. Seine Silhouette hebt sich gegen einen farbigen Himmel ab.
Lassen sich nur über die Atmung andere Bewusstseinszustände erreichen? © imago / szefei / Panthermedia
Von Katharina Kühn |
High werden ohne Hilfsmittel? Das geht, sagen die Anhänger des holotropen Atmens. Sie berichten von psychedelischen Erfahrungen und tranceähnlichen Zuständen. Ein Psychiater hat die Atemtechnik in den Siebzigern erfunden – als Alternative zu LSD.
Hören Sie diesen tiefen Atmer? Das könnte mein Weg zum Rausch sein. Nur mit meinem Atem will ich in einen tranceähnlichen Zustand kommen. Deswegen bin ich nach Leipzig gefahren, zu einem Seminar, um das holotrope Atmen zu lernen.
Liane Adam leitet das Seminar in Leipzig und erklärt, dass durch diese besondere Atemtechnik mehr Kohlendioxid im Blut abgeatmet werde.
"Der PH-Wert steigt und das Blut wird sozusagen ein wenig alkalischer, also basisch. Und das scheint eine Bewusstseinsveränderung zu erleichtern."
Dabei hecheln wir nicht wie Hunde. Es ist ein tiefes Atmen in den Bauch. Und: Man lässt keine Pause zwischen Ein- und Aus- und wieder Einatmen. Die sogenannte Kreisatmung.

Manche denken, sie würden fliegen oder schwimmen

Mit mir sind ein gutes Dutzend weiterer Teilnehmer zum Seminar gekommen. Hauptsächlich junge Menschen zwischen 20 und 40, Studenten, Wissensarbeiterinnen, mehr Frauen als Männer. Nur wenige haben schon mal geatmet – so heißt das hier – und wollen es wieder machen.
Manche Menschen denken im Rausch, sie würden fliegen oder schwimmen, andere sehen Farben oder durchleben Teile ihrer Vergangenheit nochmal. Liane Adam sagt, dass mit dieser Atemtechnik ein Heilungsprozess gefördert werden kann:
"In unserem Alltagsbewusstsein identifizieren wir uns nur mit einem gewissen Bruchteil davon, was wir wirklich sind, und erfahren nicht ganz den vollen Umfang unseres Daseins. Und in diesem Trancezustand kann man alle Ebenen des Seins erfahren: Das heißt, auf körperlicher, emotionaler, wie auch geistig oder auch spiritueller Ebene."

"Das hat sich angefühlt wie ein Vollwaschgang"

Erfunden wurde die Atemtechnik in den 1970er-Jahren. Ursprünglich hatte der Psychiater Stanislav Grof bei seinen Patienten mit LSD nachgeholfen, um ihre unterbewussten Gedanken zutage zu bringen. Da die Droge aber verboten wurde, entwickelte Grof das holotrope Atmen – als Alternative. Die Teilnehmerin Franka hat vor einem halben Jahr diese Atemtechnik kennengelernt:
"Das letzte Mal, das hat sich angefühlt wie ein Vollwaschgang. Ich bin alle Emotionen einmal durchgegangen, aber so richtig, also: Ich war so richtig traurig, ich war so richtig wütend und dann war ich so richtig fröhlich. Und letztendlich ist es für mich immer so ein Prozess von sich freimachen, also dass ich mit all dem, was ich bin und was ich fühle, da sein kann und mich da total frei drin fühlen. Und das ist eigentlich das Schöne."
Jetzt ich bin doch gespannt, während ich mit einer Schlafmaske über meinen Augen auf einer Matte liege und mich erst einmal entspannen soll, bevor ich mit schneller werdender Musik versuche, diese Kreisatmung hinzubekommen.
"Mach dich auf deine Reise" – zur Musik wippe ich von einer Seite zur anderen. Dabei werde ich von einer sogenannten Sitterin, wie im Wort Babysitter, unterstützt. Während der zweieinhalb Stunden soll sie mir helfen, wenn ich etwas zum Trinken brauche zum Beispiel – ich sehe ja nichts.
Wir sollen uns jetzt schwierige Situationen vorstellen, daran abarbeiten. Ich bin nach den vielen tiefen Atemzügen emotional aufgewühlt und fange schnell an zu weinen bei dem Gedanken an ein Problem.

Ein Sitter passt während der "Reise" auf

Vor dem Seminar habe ich zwar einen Anmeldebogen ausgefüllt: "Hast du Erkrankungen wie Bluthochdruck, Epilepsie, warst du jemals in einer Psychiatrie, nimmst du Medikamente?" Alles Ausschlussgründe für die Teilnahme. Kritiker fürchten zudem, dass in der Trance Traumata hochkommen könnten. Während des Atmens kann es zu heftigen Reaktionen kommen, plötzliche Bewegungen, Zuckungen und starke Emotionen, manchmal schreien die Atmer.
Ich fange schnell an zu schwitzen, meine Arme und Füße kribbeln, als würden sie einschlafen. Zum Ende hin normalisieren wir langsam wieder den Atem. Wer will, malt danach auf großen Papierbögen mit Wachsmalfarben. Kreativzeit. Später sprechen wir in der Gruppe über die Eindrücke. Was in Leipzig bei den anderen Teilnehmern passiert, darf ich nicht im Radio erzählen.

Gern würde ich Ihnen jetzt im Detail erzählen, welche Welten sich mir aufgetan haben. Aber unentdeckte Gedanken oder neue Sphären meines Bewusstseins habe ich nicht gefunden. Dafür sind die zweieinhalb Stunden wie im Flug vergangen und als ich später nach Hause fahre, bin ich noch so in Gedanken an den Abend, dass ich den Zug verpasse. Nicht bei jedem klappt es beim ersten Mal, werde ich getröstet. Auch Atmen will gelernt sein.
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