Feinstaubschleudern
Sollen Kosten abfangen, verschmutzen aber die Luft: Holzöfen. © IMAGO / Gottfried Czepluch
Wie Holzheizungen unsere Gesundheit schädigen
29:56 Minuten
Elf Millionen Kamin- und Kachelöfen gibt es in Deutschland. Jetzt in der Energiekrise sind sie besonders gefragt. Die Gefahren werden dabei übersehen: giftige Gase, angereichert mit gesundheitsgefährdendem Feinstaub und krebserregenden Stoffen.
„Ich hab genug Brennholz für diesen Winter“, lacht auf der Treppe eines Mietshauses am Berliner Planufer der aus Argentinien eingewanderte Guillermo Frei. Schwer bepackt und keuchend betritt der rüstige ältere Herr seine Wohnung, wo sich Schornsteinfeger Alain Rappsilber am dunkelbraunen Kaminofen aufwärmt.
„Das ist hier Holz aus Paletten, die ich gefunden habe. Auf der Straße. Die wollen sie nicht mehr mitnehmen. Lassen sie einfach auf der Straße stehen; und ich sortiere es, mache mir Holz daraus und verbrenne es im Ofen. Und wenn ich den Ofen heize, verbrauche ich kein Gas.“
„Des einen Freud‘, des anderen Leid“, sagt fast 700 Kilometer entfernt, in einem Neubaugebiet der baden-württembergischen Stadt Stutensee, Professor Achim Dittler. Er ist Leiter der Arbeitsgemeinschaft zur Abgasreinigung und Luftreinhaltung am Karlsruher Institut für Technologie KIT. Viele Bewohner der Siedlung könnten abends ihr Schlafzimmer nicht lüften, sagt Dittler, weil die Kaminöfen der Nachbarn die Luft verpesteten.
„Wenn man mit Betroffenen spricht, dann klagen die an solchen Abenden, wo die Rauchgase in die Wohnräume eindringen über Übelkeit und Kopfschmerzen. Übelkeit und Kopfschmerzen sind Symptome einer leichten Rauchgasvergiftung, die ja sehr häufig durch Kohlenmonoxid hervorgerufen wird, so dass natürlich auch der Rat gegeben ist, Kohlenmonoxid-Warner in solche Wohnräume zu stellen, damit Sie vor solchen Ereignissen bestmöglich geschützt sind.“
Brennholzverbrauch hat sich verdoppelt
Mittlerweile gibt es elf Millionen Kamin- und Kachelöfen in Deutschland. Dazu kommen eine Million Kessel für Pellets und Holzschnitzel. Der Brennholzverbrauch hat sich in den letzten 20 Jahren verdoppelt. Lange Zeit kauften die Deutschen Holzöfen vor allem für ein stimmungsvolles Ambiente an kalten Winterabenden – als sogenannte Komfortkamine. Jetzt sorgen die hohen Energiepreise und die Angst vor Gasknappheit für zusätzliche Nachfrage. Viele schaffen sich Öfen und immer häufiger auch Holzzentralheizungen an, um unabhängiger zu werden von teurem Öl und Gas. Und als nachwachsender Rohstoff galt Holz lange Zeit auch als ökologisch sinnvolle Alternative. Doch das ändert sich gerade.
Denn Holzheizungen stoßen giftige Gase in die Luft, angereichert mit gesundheitsgefährdendem Feinstaub und krebserregenden Verbindungen. Für Asthmatiker und lungenkranke Menschen ist das eine akute Gefahr.
Das Umweltbundesamt, kurz UBA, schreibt auf seiner Webseite: „Das UBA rät von der Verbrennung von Holz in kleinen Feuerungsanlagen ab, da die begrenzte Ressource Holz möglichst in langlebigen Gebrauchsgütern stofflich genutzt werden sollte und klima- und umweltfreundlichere Alternativen zur Raumheizung zur Verfügung stehen.“
Dauerbrandofen im Berliner Altbau
Im Berliner Stadtteil Kreuzberg bin ich unterwegs mit Kiezkehrer Alain Rappsilber, einem ständig unter Strom stehenden Herkules, der mit jedem gleich per Du ist. Auch mit der alten Frau Reimer, die ihren richtigen Namen nicht nennen möchte. Frau Reimer wohnt in einem jener über 100-jährigen Berliner Hinterhäuser, an denen man noch Einschüsse aus dem Zweiten Weltkrieg erkennt.
Die Wohnung im dritten Stock ist klein, verwinkelt, aber urgemütlich. Gehüllt in eine dicke Wolljacke, schnappt sich Frau Reimer ihren Rollator und führt uns ins Schlafzimmer, in der Ecke steht ein schwarzer Blechofen. Ein sogenannter Dauerbrandofen – geeignet eigentlich nur für Kohle. Nur zur Not kann man auch Holz verbrennen. „Wäre schön, wenn der wieder liefe“, sagt die alte Frau. Der neue Gasabschlag von fast 200 Euro pro Monat fresse einfach zu viel von ihrer Rente.
Der Schornsteinfeger nickt nachdenklich. „Wir hatten uns vor ein paar Wochen mal unterhalten, bei den Gaspreisen, ob wir was wieder in Betrieb setzen. Also, es ist machbar, aber der Gesundheitszustand lässt es nicht zu, Geld zu sparen.“ Frau Reimer nickt. „Erst mal kann ich mich kaum bücken. Ja, jetzt soll ich mich auch nicht bücken“, sagt sie. „Oder du musst jemanden finden, der dann bei Dir heizen kommt, um dir die Wohnung warm zu machen“, schlägt Rappsilber vor.
In der Küche steht ein weiterer Ofen, auf dem Frau Reimer auch kochen kann. Alles noch aus der Zeit des Kalten Kriegs, erzählt Alain Rappsilber. Damals mussten Westberliner Haushalte eine Not-Feuerstätte vorhalten, für den Fall einer erneuten sowjetischen Blockade. Frau Reimer überlegt, ob sie die alten Holzöfen wieder in Betrieb nehmen soll. Ganz billig ist Brennholz allerdings auch nicht mehr, der Boom der Holzheizungen hat die Preise in die Höhe getrieben.
In der Jahnstraße besuche ich mit Alain Rappsilber den Laden eines Ofenbauers, der auch Kaminöfen verkauft. 15 schmucke Öfen unterschiedlicher Größe und Preisklasse stehen zur Auswahl. Verkäuferin Claudia aber darf keinen davon hergeben.
Öfen-Lieferzeit: nächstes Jahr Sommer
„Wir verkaufen im Moment nichts mehr, was wir hier im Laden haben, weil ich muss ja was zeigen. Viele Kaminöfen haben wirklich Lieferzeit nächstes Jahr Sommer. Von daher ist diesen Winter von vielen Herstellern nichts mehr zu bekommen.“
Deshalb werden auch alte, längst ausrangierte Öfen wieder reaktiviert. Allerdings müssten die erstmal gründlich gewartet und gereinigt werden. Oft sind die Züge verstopft, die Abluft kann nicht richtig abziehen. Wer so einen Kachelofen einfach in Betrieb nehme, riskiere sein Leben, sagt die Verkäuferin Claudia. Jeden Tag kommen neue Wartungsanfragen bei ihr an. Doch der Terminkalender ist voll, nur einen Bruchteil der Aufträge kann ihre Firma erledigen.
„Ich habe heute auch einen Telefonanruf gehabt von einem aus Kleinmachnow, der sagte er will eine Kachelofen-Reinigung haben. Er hat nur einen Kachelofen zum Heizen. Und da habe ich gesagt, wir können erst im Januar kommen, ob er da draußen nicht einen hat, der das machen kann. Da hat er gesagt: ‚Ja, da kriege ich auch erst Ende Januar einen Termin.‘ Auch diese Leute, die nur eine Ofenheizung haben, haben im Moment kaum noch Chancen, den Kachelofen reinigen zu lassen. Und somit können sie gar nicht heizen. Das tut mir total leid.“
Während viele Berliner auch deshalb nicht heizen können, weil sie kein Brennholz zu bezahlbaren Preisen finden, schauen Guillermo Frei und sein Schornsteinfeger lächelnd auf den Stapel Palettenholz neben dem Kachelofen.
„Das ist auch gutes Holz und das ist halt zum Wegschmeißen zu schade. Guck‘s Dir mal an: Das ist so richtiges Holz, was weggeschmissen wird. Daraus kann der Tischler vielleicht eine Dachlatte machen“, sagt Rappsilber.
„Und die Müllabfuhr“, meint Guillermo Frei, „die sammelt das ein, schmeißt das in den großen Ofen und verbrennt es im Müll. Und warum? Das ist doch kostenlos. Das wäre dumm, wenn ich das nicht sammle. Andere sammeln Flaschen und geben die Flaschen ab für ein paar Pfennige. Ich sammle das hier. Das ist mehr wie ein paar Pfennige, wenn ich mir das Gas spare.“
500 Euro Guthaben bei der Gasag
Guillermo hatte 30 Jahre lang einen Lotto- und Zeitschriftenladen schräg gegenüber. Seine Wohnung steht voller Bücher. Seit die Frau vor 14 Jahren starb, lebt er allein. Ich blicke etwas skeptisch auf sein Holzbündel.
„Wenn jetzt noch anderer Sperrmüll auf der Straße liegt, sagen wir mal, alte, lackierte Schränke“, frage ich. „Nein, nein, nein. Lackierte Schränke, eingeöltes Holz, das ist bei mir tabu. Weil da Gift ist, wenn das aus dem Schornstein rausgeht. Ich will doch nicht meinen Nachbar vergiften. Und mich selber.“
Zufrieden mit sich sitzt Guillermo Frei in seinem Ohrensessel.
„Einmal, es war ein ziemlich harter Winter, habe ich nur mit Holz geheizt. Und dann kam Ende des Jahres die Abrechnung. Die Gasag hat mich angeschrieben, weil ich 500 Euro Guthaben hatte von dem Gas. Dann haben sie mich angeschrieben, da kommt ein Inspektor und guckt sich das an, und dann kommt der Mann mit dem Paket und wechselt den Zähler. Weil das kann doch nicht stimmen, dass der Mann da lebt, harter Winter, und 500 Euro müssen wir zurückzahlen. Da haben sie den Zähler gewechselt.“
Abgasbelastung in Wohnvierteln
Auch Achim Dittler beschäftigt sich derzeit intensiv mit Holzheizungen, aber aus ganz anderen Gründen. Dittler arbeitet am Karlsruher Institut für Technologie KIT. In einem Wohngebiet der Kreisstadt Stutensee hat Dittler die Belastung der Bewohner mit Abgasen von Holzöfen untersucht.
„Es handelt sich um eine sehr, sehr dichte Wohnbebauung, viele Reihenhäuser aneinander, wo auch kaum ein Luftaustausch möglich ist, weil das wie so Riegelbebauung ist. Und wenn hier Emittenten sind, die die Luft verunreinigen, dann sind hier unmittelbar sehr viele Menschen betroffen, und die Schadstoffe können nicht so gut abziehen und verdünnen, wie das in einer lockereren Bebauung der Fall ist.“
Auf den ersten Blick sehe ich sechs, sieben Edelstahlschornsteine, an denen Kamin- oder Kachelöfen hängen. „Wohlfühlaccessoires des Mittelstands“ sagt Dittler – mit katastrophalen Auswirkungen auf die Nachbarschaft.
„Das sind Schadgase, die höchst gesundheitsgefährlich sind. Angefangen beim Kohlenmonoxid bis rüber zu polyzyklisch aromatischen Kohlenwasserstoffen und unverbrannten Kohlenwasserstoffen, die da entstehen. Methan, was rausgeht; Aldehyde, die da rausgehen. Wenn sie Müll mit drin verbrennen, entsteht auch Dioxin in diesen Holzöfen. Neben gasförmigen Schadstoffen natürlich auch Feinstäube, zu denen krebserregender Ruß gehört, der lungengängig ist.“
In Stutensee hat Dittler Feinstaub-Konzentrationen von 200 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft gemessen – um ein Vielfaches mehr als am Stuttgarter Neckartor, wo auf einer vierspurigen Bundesstraße Diesel-LKW vorbeidonnern. In etlichen Wohnzimmern Stutensees brummten denn auch elektrische Luftreiniger, berichtet der Abgasexperte. Sonst sei das Leben dort schier unerträglich.
"Kaminofen-Glocke" in Villen-Gegend
Barbara Hoffmann, Professorin für Umwelt-Epidemiologie an der Universität Düsseldorf, kennt ähnlich stark mit Feinstaub belastete Wohngebiete in ihrer Nachbarschaft.
„Wir sind mit dem Rad, das mit lauter Messgeräten ausgestattet war, hier in Düsseldorf einmal mitten durch die Stadt gefahren, an einer stark befahrenen Straße, und alternativ am Rhein entlang, durch die Wiesen im Süden von Düsseldorf. Also bevorzugte Wohnlage mit schönen Villen. Und an einem Tag, es war ein Montag nach dem ersten richtig kalten Novemberwochenende, hatten wir extrem hohe Werte da in dieser bevorzugten Wohnlage – deutlich höher als das, was wir an der Hauptverkehrsstraße gemessen haben. Und da kam dann natürlich die Vermutung auf, dass das die Überbleibsel der Kaminheizungen am Wochenende gewesen sind. Und das wird ja, wenn wenig Wind ist, auch nicht sofort weggepustet, sondern dann sitzen die Leute in ihrer Kaminofen-Glocke und atmen das noch mal ein paar Stunden und Tage ein.“
Die gesundheitlichen Gefahren, die von der erhöhten Feinstaub-Konzentration ausgehen, seien dramatisch, den meisten aber kaum bekannt, sagt Hoffmann.
„Das führt dazu, dass, zunächst in der Lunge, diese Stoffe Entzündungen, Asthma und Lungenkrebs auslösen können. Aber die Wirkungen gehen noch weit über die Lunge hinaus. Am Herz-Kreislauf-System wissen wir zum Beispiel, dass sich vermehrt Blutklümpchen bilden, die dann zu Herzinfarkten und Schlaganfällen führen können. Im Gehirn können durch chronische Entzündungen der Nervenzellen, die durch diese Schadstoffe ausgelöst werden können, kann eine Demenz entstehen und andere chronische Nervenerkrankungen schneller sich entwickeln. Im Stoffwechsel sehen wir, dass durch diese chronischen Entzündungen, die im Körper ausgelöst werden von diesen Luftschadstoffen, dass es da schneller zur Entwicklung eines Diabetes mellitus, also einer Zuckerkrankheit, kommt. Und sogar das ungeborene Leben wird beeinträchtigt dadurch. Frauen, die zu viele dieser Schadstoffe einatmen, die bringen Babys zur Welt, die weniger wiegen. Das ist ganz ähnlich wie zum Beispiel beim Rauchen.“
Klimaschädliche Emissionen
Die Emissionen von Holzöfen seien zudem auch klimaschädlich, sagt Patrick Huth, Experte für Luftqualität der Deutschen Umwelthilfe, DUH. Extrem klimaschädliche Gase wie Methan und Lachgas würden freigesetzt.
Und: „Wir haben einfach bei diesen Holzöfen einen sehr hohen Rußanteil im Feinstaub. Und Ruß hat eine bis zu 3200-mal stärkere Klimawirkung als CO2, ist auch ein Klima-Schadstoff. Warum? Ganz einfach: Ruß ist sehr dunkel. Diese Rußpartikel sind sehr klein und führen dazu, dass sich die Reflexion und die Wärmeabstrahlung dann einerseits innerhalb der Atmosphäre ändern, aber sie haben auch den Effekt, dass sich Rußpartikel auf Schneeflächen in der Arktis oder aber auch in den Alpen auf Gletschern ablagern. Und dadurch natürlich, dass diese Rußpartikel sehr dunkel sind, wärmt sich eben das Ganze stärker auf und diese Eisflächen schmelzen viel schneller.“
Ja, Holzverbrennung sei eine sehr schmutzige und gefährliche Heiztechnologie, bestätigt Professor Ingo Hartmann, Leiter des Forschungsschwerpunkts katalytische Emissionsminderung am Deutschen Biomasseforschungszentrum in Leipzig. Die Feinstaub-Emissionen aus privater Holzverbrennung lägen inzwischen auf ähnlichem Niveau wie die Emissionen des Straßenverkehrs, sagt er. Dafür gebe es mehrere Ursachen. Erstens: eine verbreitete Fehlbedienung der Öfen.
„Die falsche Betriebsweise eines beschickten Ofens führt zu Faktor drei oder vier höheren Emissionen im Praxisbetrieb. Und gerade wenn wir feuchtes Holz haben oder auch lackiertes Holz, teilweise aber auch falsche Holzgrößen, dass Holz nicht richtig aufliegt, dann kann das eben sehr viel höhere Emissionen verursachen.“
Schadstoffausstoß höher als offiziell angegeben
Das zweite Problem: Neuere Holzöfen emittieren zwar deutlich weniger Schadstoffe als Modelle, die vor 2010 verkauft wurden. Allerdings ist der Schadstoffausstoß in der Praxis sehr viel höher als offiziell angegeben. Denn geprüft werden die Heizungen unter Idealbedingungen im Labor. Tatsächlich blasen die Kaminöfen zwei- bis dreimal mehr Emissionen in die Luft als auf dem Prüfstand, schätzt der Wissenschaftler Hartmann – und überschreiten damit deutlich die gesetzlichen Grenzwerte. Systematisch erfasst werden die tatsächlichen Emissionen und die daraus resultierende Belastung der Bevölkerung nicht. Kein Schornsteinfeger betreibt den Aufwand; und die knapp 500 deutschen Messstationen seien fast ausschließlich an Verkehrsknotenpunkten stationiert – und nicht in Wohngebieten, berichtet Patrick Huth von der Deutschen Umwelthilfe.
„Die Untererfassung der Wohngebiete bei den Luftqualität-Messungen ist ein Riesenproblem. Weil bislang ist es so, dass die Messstationen für die Luftqualität in der Regel verkehrsnah platziert sind. Und das führt dazu, dass diese ganze Belastung durch die Holzöfen in den Wohngebieten völlig unter dem Radar bleibt.“
Drittens schließlich, klagen unisono die Experten, liegen die Grenzwerte für Luftschadstoffe in Deutschland und der EU weit höher, als es die Weltgesundheitsorganisation WHO zum Schutz vor Gesundheitsschäden empfiehlt. Die WHO-Richtlinie für den gefährlichen Feinstaub PM 2,5 zum Beispiel liegt bei fünf Mikrogramm pro Kubikmeter Luft, der Grenzwert der EU bei 25 Mikrogramm, also fünf Mal so hoch. Umweltepidemiologin Barbara Hoffmann hofft, dass dieses Problem mit der anstehenden Reform der EU-Richtlinie für Luftqualität zumindest entschärft wird.
Reform der EU-Richtlinie für Luftqualität
„Diese europäische Richtlinie, die jetzt erarbeitet wird, die muss deutlich niedrigere Grenzwerte vorgeben – sowohl akut als auch die Jahresmittelwerte. Da müssen die Grenzwerte deutlich abgesenkt werden im Vergleich zu dem was wir heute sehen. Ziel muss sein, dass wir die WHO-Leitlinien erreichen und zwar so schnell wie möglich.“
Solange diese Leitlinien nicht auch in Deutschland gelten und umgesetzt werden, müssen sich Schornsteinfeger wie Volker Jobst im nordbadischen Wiesloch tagtäglich Beschwerden über Rauch aus Kaminöfen anhören und darüber mit Kunden sprechen, die solche Öfen betreiben.
„Klar, der Kunde hat erst mal kein Verständnis dafür, weil der ist ja mit seinem Holzofen zufrieden und der nimmt den Qualm nicht wahr. Ein Kunde nebendran, der keinen Holzofen hat, eine saubere Ölheizung, der wird auch kein Verständnis dafür haben. Und da gibt es dann oft auch Krach, da gehen anonyme Anrufe beim Schornsteinfeger ein. „Bitte gucken Sie da mal nach. Oder kann das sein, dass der schlechte Feuerstellen hat oder schlechtes Holz?“
Verfeuert werde vieles, sagt Jobst. Feuchtes Holz zum Beispiel oder sogar Spanplatten, Laminat und alte Möbel. Kurz alles, was in den Ofen reinpasse. Derlei ist eigentlich streng verboten. Aber die Möglichkeiten der Schornsteinfeger, gegen solchen Missbrauch vorzugehen, seien begrenzt, sagt Jobst.
„Wenn ich mich anmelde zur Feuerstättenschau, dann wissen die Leute ja schon, was geschlagen hat. Da wird die Holzfeuchte überprüft. Seit 2010 wird es gemacht und immer wiederkehrend. Also sind die Leute vorbereitet. Und dann kommt es nicht selten vor, dass das schlechte Holz weggeräumt wird. Und das Beispielholz nach vorne. Wer betrügen will, der betrügt halt. Aber wenn es zu Lasten der Umwelt geht und zu Lasten anderer, dann kommt auch schon mal das Umweltamt ins Spiel.“
Komplizierte Lage für Schornsteinfeger
Für Schornsteinfeger wie Volker Jobst ist das eine komplizierte Lage: Einerseits prüft er als Feuerpolizist, ob alles den Vorschriften entspricht. Andererseits muss er als Unternehmer seine Kunden zufrieden stellen, sonst suchen sie sich einen anderen Kaminkehrer. Der Schornsteinfeger stecke ständig in Interessenkonflikten, sagt Stefan Musiol, ein Rechtsanwalt im schleswig-holsteinischen Lütjensee, der schon mehrere Rauchopfer vertreten hat.
„Das ist ein Grundproblem. Und das zeigt ja auch, dass politisch eine Kontrolle gar nicht gewollt ist. Der hat eine öffentlich-rechtliche Funktion, und er ist gleichzeitig privater Dienstleister. Also absurder geht's ja nicht. Und im Prinzip müsste er sich ja selbst kontrollieren. Und so kommt es dann dazu, was wir ja regelmäßig sehen, dass offensichtlich rechtswidrige Zustände abgenommen werden und freigegeben werden vom Schornsteinfeger.“
Im Berliner Stadtteil Kreuzberg hält sich zwischen den meist hohen Gebäuden die Rauchbelästigung der Bürger bislang in Grenzen. Und Kiezkehrer Alain Rappsilber muss sich weniger mit Komfortkaminen auseinandersetzen als mit uralten Kachelöfen und Dauerbrandöfen in Hinterhofhäusern, die unter Bestandsschutz stehen. Sowieso würde er – schon aus sozialen Gründen – Öfen in der aktuellen Situation nicht einfach verbieten, sagt Rappsilber.
„Ich persönlich sage jetzt keinem Mieter in der Lage in der Stadt, also in der unsicheren Lage: „Reiß den Ofen raus, weil er nicht der Feinstaub-Verordnung mehr entspricht.“ Weil sie kriegen auch keine neuen zurzeit. Und es ist unverantwortbar, jetzt so was zu machen. Deshalb drücke ich da ein Auge zu. Und solange diese Lage so herrscht und keine Öfen da sind, wird von mir auch keiner die Aufforderung kriegen, diesen Ofen so rauszuschmeißen, weil der hat dann nichts. Wenn dann wirklich mal jetzt das wirklich knapp wird oder Strom ausfällt, ist der Ofen die einzige Möglichkeit, ohne Gas und ohne Strom heizen zu können.“
Vom Schornsteinfeger enttäuschte Rauchopfer wenden sich derweil oft an ihre Kommunalverwaltung. Meist ohne Erfolg: Sie würden an den Schornsteinfeger zurückverwiesen, berichten Betroffene und auch Kommunalpolitiker wie John Ehret, Bürgermeister der nordbadischen Gemeinde Mauer. Kürzlich habe ihn eine Mitbürgerin auf einen Rußfilm hingewiesen, den die Abgase eines Kaminbetreibers auf ihrer Terrasse hinterlassen hätten, sagt Ehret. Er habe den Vorgang dokumentiert und ans Landratsamt weitergeleitet. Ohne großen Erfolg.
„Der Kaminfeger ist ja dafür zuständig, der Bezirksschornsteinfeger. Und der hat dann mit mir Kontakt aufgenommen und hat mir auch die Rechtslage erklärt, dass es unheimlich schwer ist, nachzuweisen, was verbrannt wird. Und deswegen hat er sich dann den Ofen angeguckt und hat da jetzt keine offensichtlichen Sachen feststellen können, die da sozusagen anhaften am Kaminofen.“
Bürgermeister möchte Bürger schützen
John Ehret hat sich und seinen Gemeinderat über die Gefahren des Heizens mit Holz informiert. Und er will die Bürger seiner Gemeinde, so weit wie eben möglich, davor schützen. In neuen Wohngebieten kann die Kommunalverwaltung das Heizen mit Holz von vornherein ausschließen – mittels privatrechtlicher Verträge, die Grundstückskäufer unterschreiben müssen.
„Wir haben das auch durchgeführt am Karlsbrunnen. Also wir haben dort einen sogenannten Anschlusszwang. Wir haben dort ein Nahwärme-Netz aufgebaut. Und die Nahwärme inkludiert Verträge, die wir auch gemacht haben mit den Leuten: Grundstückserwerb war daran gekoppelt, dass man eben sich bereit erklärt, keine Feuerungsanlage zu machen. Deswegen werden sie dort am Karlsbrunnen keinen Kamin finden; und die, die Holzöfen betreiben wollten am Karlsbrunnen, mussten leider woanders dann ein Grundstück erwerben.“
In bestehenden Wohngebieten dagegen gibt es kaum Möglichkeiten, den Einbau von Holzöfen zu verhindern. Die Beschwerden von Betroffenen, denen der hohe Feinstaubgehalt in der Luft zu schaffen macht, bleiben meist wirkungslos. Ihnen bleibt nur noch, die Wohnung zu wechseln oder den Rechtsweg zu beschreiten. Der jedoch sei kompliziert, zeitaufwendig und teuer, warnt Rechtsanwalt Stefan Musiol.
„Im Prinzip muss schon derjenige, der so einen Ofen betreibt, beweisen, dass von seinem Ofen keine Beeinträchtigung ausgeht. In der Praxis sieht es natürlich anders aus, weil man vor Gericht wenig Aussichten haben wird, wenn man kommt und sagt. ‚Der Ofen stinkt.‘ Dann sagt der Richter: ‚Na ja, sind sie halt besonders empfindlich. Schauen Sie ins Gesetz rein. Wenn die Grenzwerte eingehalten sind, haben Sie keinen Anspruch.‘ Ja, und da geht es eben los. Das heißt, was wir auch den Betroffenen empfehlen, ist schon zumindest mal sich ein kleines, billiges Messgerät zu kaufen, um mal selbst eine Messung durchzuführen, damit es einen Anhaltspunkt gibt. Dann kann ich damit schon mal dann zu dem Ofenbetreiber hingehen und sagen: ‚Guck mal, du verdreckst hier meine Atemluft, ja, du musst hier was machen.‘ Und wenn der dann nicht drauf eingeht, dann kann ich zum Amtsgericht gehen und kann sagen: ‚Hier führt mal ein Beweissicherungsverfahren zumindest durch.‘“
Im Moment sehr gefragt: Pelletöfen
Viele Konflikte könnten vermieden werden, wenn die richtige Technik zum Einsatz käme, sagt Volker Jobst, der Schornsteinfeger im nordbadischen Wiesloch. Zum Beispiel Pelletöfen, die sich zurzeit verkaufen wie warme Semmeln. Ein moderner Pelletofen stoße deutlich weniger Schadstoffe aus als ein mit Holzscheiten betriebener Kaminofen, sagt Jobst, der gerade den Schornstein des Rentners Manfred Mros fegt. Mros nutzt einen Pelletofen zum Heizen seiner Wohnetage. Einen Ofen mit vollautomatischer Zündung, Luft- und Brennstoffzufuhr.
„Das ist der Vorteil bei dem Pelletofen, dass da der Betreiber relativ wenig Einfluss hat. Der macht im Prinzip alles selber. Man muss bloß die Temperatur vorgeben. Der legt selber Holz nach, dann, wenn er es braucht. Und der Pellet-Brennstoff ist genormter Brennstoff.“
Ein Brennstoff, den Mros in 15-Kilo-Säcken kauft. Alle zwei, drei Tage schüttet er einen Sack in den Vorratsbehälter des Ofens. Pellets seien immer noch deutlich billiger als Gas, sagt Mros, der vor zehn Jahren 8000 Euro bezahlte für seinen Ofen und die Anpassung des Schornsteins.
Natürlich gebe es kleine Haken, gibt der Rentner zu: So hat ein Pelletofen kein gemütliches Feuer wie ein Kamin, eher eine Art Gasflamme. Für die Elektronik, fürs Gebläse und für die Pellets-Förderschnecke braucht er Strom. Alle drei Tage muss man den Ofen reinigen, und einmal pro Jahr kommt für 200 Euro die Wartungsfirma.
Trotzdem: „Das war eine unserer besten Entscheidungen, die wir getroffen haben. Ich bin nach wie vor begeistert von meinem Gerät.“ Und seine Frau ergänzt: „Innerhalb von 10, 15 Minuten hat man angenehme Wärme. Und der kleine Ofen wird ziemlich warm und man kann nach einer Stunde oder zwei schon wieder ausmachen, weil der speichert ja auch die Wärme und strahlt dann die Wärme ab.“
Feinstaubexperte Professor Achim Dittler sieht allerdings auch Pelletöfen kritisch. Ja, eine Pelletheizung sei sicher sauberer als ein Kaminofen; aber auch die Pelletheizung stoße mehr Feinstaub aus als ein mit laufendem Motor vor dem Haus stehender Diesel-Lkw.
„Ja natürlich, der Pelletofen macht mehr Schadstoffe; der hat ja gar keine Abgasreinigung. Das Nutzfahrzeug, das ich vor die Tür stelle, hat hochwirksame Partikelfilter, hat eine Stickoxidminderung, hat einen Oxidationskatalysator drin. Die Katalysatoren setzen weit über 90 Prozent CO aus der Verbrennung um. Die Katalysatoren reduzieren Stickoxide, und vor allem scheiden die Katalysatoren hochwirksam Partikeln ab. Also, was hinten aus dem modernen LKW rauskommt, ist allemal besser als das, was aus jeder Holzheizung rauskommt. Holzheizungen haben keine Abgasnachbehandlung.“
Strenges Qualitätssiegel des Umweltbundesamtes
Das Heizen mit Holz sei gesundheits- und umweltpolitisch nur vertretbar, wenn für alle Holzöfen die Anforderungen des sogenannten Blauen Engels gelten, resümiert Patrick Huth. Dieses strenge Qualitätssiegel des Umweltbundesamtes für besonders umweltfreundliche Technologie bekommen Öfen, die über eine hochwirksame, aktive Staubabscheidertechnik verfügen.
„Diese Staubfilter oder Partikelabscheider sind ein besonders gutes Mittel, um gerade diese ultrafeinen Partikel deutlich zu reduzieren. Also das, was wir bislang so in Messungen gesehen haben, ist, dass diese Staubabscheider die Anzahl der ultrafeinen Partikel um 90 bis 95 Prozent reduzieren.“
Kaminöfen, die über den Blauen Engel verfügen, kosten zwei- bis dreitausend Euro mehr als vergleichbare Öfen. Pelletheizungen mit dem Blauen Engel sind, so das Umweltbundeamt, derzeit nicht verfügbar. Das aber dürfte sich ändern, und auch die Preise dürften sinken, wenn der Gesetzgeber Blaue Engel-Technik für alle Holzfeuerstätten vorschreibt. Dafür allerdings sieht Abgasexperte Achim Dittler im Moment keine Chance. Als Mitglied einer Leopoldina-Arbeitsgruppe hat er 2019 ein Gutachten zur Luftverschmutzung vorgelegt, das auch die Situation in Wohngebieten kritisiert.
„Im Moment, wo wir gerade Gaskrise haben, das Thema ‚Holzheizen‘ in der Politik anzubringen, das ist ein ungünstiger Zeitpunkt. Das hätte man vor Jahren schon angehen müssen. Wir haben 2019 der damaligen Bundesregierung schon gesagt: ‚Kümmere dich um die Holzheizungen, mache eine ressortübergreifende Strategie zur Luftreinhaltung.‘“
Auf solche Appelle seien weder die frühere noch die aktuelle Bundesregierung wirklich eingegangen, beklagt Dittler. Dafür tut sich in der Zivilgesellschaft einiges. Angesichts des aktuellen Holzheizungsbooms fordern immer mehr Umweltverbände, Verbraucherschützer und Wissenschaftler einen wirksamen Schutz der Atemluft in Wohngebieten. Möglich wäre das, sagt Dittler. Wenn zum Beispiel der Blaue Engel für alle Holzöfen Pflicht werde; die strengen WHO-Leitlinien zur Luftqualität zum Standard avancierten; und Messgeräte nicht nur an vielbefahrenen Straßen, sondern auch in Wohngebieten aufgestellt würden, um die Luftqualität zu messen. Dann wäre schon viel gewonnen.