Holzweiler

Dorf am Abbruch

Die Kirche St. Cosmas und Damian in Holzweiler (Nordrhein-Westfalen). Der vom Energieriesen RWE betriebene Braunkohletagebau Garzweiler II wird nach dem Willen der rot-grünen Landesregierung verkleinert. Durch die Verkleinerung des Abbaugebietes bliebt die Gemeinde Holzweiler, von der Umsiedlung verschont
Die Kirche St. Cosmas und Damian in Holzweiler (Nordrhein-Westfalen). © picture-alliance / Federico Gambarini
Von Wolfgang Steil |
Holzweiler darf bleiben. Anders als seine Nachbarorte fällt das Dorf nicht dem Braunkohleabbau zum Opfer, der seit 30 Jahren die Region Garzweiler in NRW verschlingt. Die Stimmung der Holzweiler ist kurioserweise trotzdem gespalten.
Holzweiler am Nordrand der Jülicher Börde ist ein Dorf wie viele andere auch. In der Mitte die Kirche, drum herum die Dorfschänke, die Sparkasse, der Bäcker, ein paar kleine Handwerksbetriebe, ein Kriegerdenkmal, an der Hauptstraße eine Tankstelle. Das wär’s denn auch. Knapp 1500 Einwohner wohnen hier, oder besser gesagt, schlafen hier und fahren allmorgendlich nach Köln, Düsseldorf, Rheydt oder Mönchengladbach zu ihren Arbeitsplätzen.
Seit der Gebietsreform von 1972 ist das Dorf ein Stadtteil von Erkelenz, gleichwohl aber ein Dorf geblieben. Rundherum fetter Lößboden, worüber sich die Landwirte freuen, die hier Kartoffeln, Gemüse und Getreide anbauen. Und unter dem Löß liegt sie, die Braunkohle, dick und nur knapp 20 Meter unter der Erdoberfläche.
Holzweiler liegt im Abbaugebiet des Braunkohlentagebaus Garzweiler II. Damit stand seit 1995 fest: Holzweiler wird umgesiedelt, das gesamte Dorf verschwindet bis spätestens 2029 in der Braunkohlengrube. Die Kirche, mittelalterliche Hofanlagen, der Kindergarten, das Eigenheim, die steinernen Lebenserinnerungen, alles weg, abgebaggert, wie viele andere Dörfer im Braunkohlengebiet auch. Eine Untergangsperspektive, mit der die Menschen hier leben mussten.
Die Holzweilerin Brigitte Kaulen: "Sie müssen von der Situation ausgehen, dass die Bewohner von Holzweiler jahrzehntelang mit dem Gedanken gelebt haben, oder mit dem Wissen gelebt haben, wir werden umgesiedelt, Holzweiler wird abgebaggert, hier wird die Kohle aus dem Boden geholt. Und dann kam für alle überraschend, über Nacht, aus heiterem Himmel die Entscheidung, ..."
Johannes Remmel: "Der Tagebau wird verkleinert..."

Kehrtwende im rheinischen Braunkohlentagebau

Der grüne Umweltminister Johannes Remmel verkündet im März 2014 eine neue Leitentscheidung der NRW-Landesregierung, fast eine Kehrtwende im rheinischen Braunkohlentagebau.
"Rot-Grün hat sich darauf verständigt, dass Garzweiler II nicht wie geplant vollständig realisiert wird. Politisches Ziel ist es, die Tagebaufläche entsprechend zu verkleinern."
Ministerpräsidentin Hannelore Kraft konkretisiert die Entscheidung:
"Wir haben dabei das politische Ziel, bei dieser Leitentscheidung, auf die Umsiedlung des Ortsteils Holzweiler der Stadt Erkelenz verzichten zu können."
Doch noch gerettet? Dem lange sicher scheinenden Tod noch einmal von der Schippe gesprungen? Der Umweltminister feiert die Entscheidung - Johannes Remmel.
"Ich glaube, es ist das erste Mal in der Bundesrepublik, dass ein planerisch bestehender Braunkohletagebau verkleinert wird. Ich kenne sonst nur die Diskussionen, dass neue Tagebaue ausgewiesen werden. Das findet in Nordrhein-Westfalen nicht mehr statt. Im Gegenteil. Wir verkleinern bestehende Tagebaue, weil wir der Meinung sind, dass hier insbesondere eine Ortschaft nicht mehr umgesiedelt werden soll."

Holzweiler soll weiterleben

Das Dorf bleibt da, wo es ist. Wohl doch ein Anlass ungetrübter Freude. Vorneweg der Ortsvorsteher, Erkelenz’ Bürgermeister Peter Jansen.
"Also das ist eine tolle Mitteilung, super Entscheidung. Wir haben ja gehofft, seit Monaten, seit wir merkten, dass der Druck da war. Aber in den letzten Wochen ging die Stimmung runter wieder. Wir sind eigentlich jetzt zufrieden, dass das so gekommen ist. Holzweiler ist gerettet, es wird ein Stück kleiner und das ist gut so."
Und die Bürger? Weiterleben am angestammten Ort - eigentlich wunderbar. Aber hatte man sich nicht schon lange damit abgefunden, umgesiedelt zu werden und sich auch darauf eingerichtet? Und jetzt? Orientierungslosigkeit:
Brigitte Kaulen:"Der Tagebau wird verkleinert, Holzweiler bleibt bestehen, wird verschont vom Tagebau und der Ort kann weiterleben. Das war natürlich auf der einen Seite erstmal die große Freude. Für viele war‘s ein Schock, weil manche auch so ein bisschen sich eben schon darauf eingerichtet hatten. Sie wurden also quasi von jetzt auf gleich vom Umsiedlungsort zum Tagebauranddorf. Und das ist eine andere Qualität."

Neue Perspektiven

Brigitte Kaulen hat zusammen mit anderen Holzweiler Bürgern eine Interessengemeinschaft gegründet: "Perspektive für Holzweiler". Die Bürger wollen, dass aus dem "Gerade noch mal gerettet" kein neues Desaster wird. Vera Könen, 49 Jahre alt, hat das ganze Wechselbad der Gefühle rund um die Holzweiler-Entscheidung durchlebt.
"Wo die Nachricht kam, meine Schwester hat mich angerufen und hat gesagt, Vera, Holzweiler bleibt stehen. Ich hab‘ gesagt, das kann nicht wahr sein. Ja, doch, die haben das gerade im Radio gesagt, Holzweiler bleibt stehen.
Da habe ich gedacht, das war mein erster Gedanke, habe ich gedacht, Gott sei Dank. Meine Kinder, ich hab zwei Kinder, die sind vier und sieben, und wir hatten noch Spielbesuch, und dann läuteten auf einmal die Glocken. Und dann habe ich gesagt, hört mal, die Glocken läuten, Holzweiler bleibt stehen. Und dann haben die Kinder geschrien, ja juchhu, Holzweiler bleibt stehen, wir werden nicht abgebaggert.
Und dann habe ich gedacht, für die ist das toll, dass das nicht abgebaggert wird. Für die Kinder ist die Vorstellung, dass das weg kommt, ganz schlimm. Aber für mich ist die Vorstellung, dass wir hier stehen bleiben, eigentlich genau so schlimm."

Wohnen an der Abbruchkante

Angst macht vor allem die Vorstellung, dass man demnächst an der Abbruchkante zum Tagebau sitzt.
"Mir macht Angst, dass alles weg kommt um uns herum, dass wir nachher hier ganz alleine sind. Ich arbeite in Rheydt. Ich fahre jetzt jeden Morgen im Prinzip schon an den Baggern vorbei, … man sieht ja schon, wie die arbeiten und so. Wenn ich denke, was alles auf uns zukommt, dass die Bagger so nahe an Holzweiler ran kommen, dass man im Prinzip dem Baggerfahrer fast bei der Arbeit zusehen kann, das macht mir Angst. Der ganze Dreck, der ganze Staub, alles was dann auf uns zukommt, das macht mir Angst."
Bis auf 400 Meter soll dereinst der Baggerzahn an die Ortsgrenze heranrücken. Ursprünglich sollten es sogar nur 100 Meter Abstand sein. Doch hier hat der Protest schon geholfen.
Brigitte Kaulen: "Es wird kein Zuckerschlecken sein, auf 400 Meter Abstand zum Ortsrand an zwei Seiten den Bagger zu sehen. Wir werden mit Sicherheit mit den ganzen ökologischen Begleiterscheinungen wie Feinstaub, Quecksilber und so weiter leben müssen."
Nachbardörfer werden weggebaggert. Die Autobahn wird verlegt, Landstraßen gekappt, andere Verkehrswege veröden. Zwar soll nach den Plänen eine Insellage für Holzweiler trotz allem vermieden werden, deswegen rückt auch die Grube nur von zwei Seiten an das Dorf heran. Aber auch wenn es de facto keine Insellage wird, so wird sie doch so empfunden.
Schiffer: "Wir sind ‘ne Insel. Wir sind eine Insel in einem großen Loch. Wenn Sie jetzt sehen, wir kommen von allen Seiten nach Holzweiler rein. Wenn Holzweiler stehen bleibt und alle anderen Dörfer sind abgebaggert, von Immerath kommt keiner mehr, von Keyenberg kommt keiner mehr. Leider wird der Eggerather Hof und Roitzer Hof auch abgebaggert. Von der Straße kommt keiner mehr. Von einer Seite sind wir noch zu erreichen."
Noch ist der Tagebau rund zwei Kilometer entfernt. Aber schon heute spürt Holzweiler, wie die Bagger immer näher rücken und die Nachbarschaft wegfressen. An der durch den Ort führenden Landstraße 19 hat Toni von Wirth seit Jahrzehnten eine Tankstelle.

Stammkundschaft komplett weggebaggert

"Ich leb‘ von Stammkundschaft, und die Stammkundschaft haben die komplett weggebaggert. Eine Tankstelle lebt nicht von drei, vier Dörfern. Ein Bäcker, der kann sich ein Verkaufsauto kaufen, kann die Dörfer abfahren. Ein Kumpel von mir, der hat die Kneipe hier, der kann einen Party-Service aufbauen. Aber ich kann mir nicht die Tankstelle auf den Rücken binden und den Leuten hinterherfahren. Dat jeht halt nicht. Ich bin angewiesen auf die Leute, die zu mir kommen."
Und die kommen immer weniger. Von Wirth hält 13 Stunden am Tag seinen Laden offen, samstags sind es zehn Stunden und sonntags noch mal vier. Hin und wieder kommt mal einer eine Zeitschrift kaufen oder einen Lottoschein ausfüllen, Kinder setzen ihr Taschengeld in Süßigkeiten um. Tankkundschaft? Eher selten.
"Ich hatte immer 115, 120 Kunden. Da kommen jetzt noch 15, 20. Also das sehe ich an meinen Umsatzzahlen, dass das von Jahr zu Jahr weniger wird. Immerath ist weg, Borschemich ist weg, Keyenberg, Oberwestrich, Unterwestrich, Kuckum, die kommen weg. Demnächst soll dann noch Geilenberg, die Ecke, das sind auch noch fünf Dörfer. Da fehlen dann noch mal 15.000 Liter Umsatz aus der Ecke. Von daher ist das jetzt wirtschaftlich schwieriger."
Toni von Wirth hat über die Jahre immer wieder in seinen Betrieb investieren müssen. 400.000 D-Mark sind allein für Umbau und die Einhaltung von Umweltauflagen wie flüssigkeitsdichte Fahrbahndecke und doppelwandige Tanks draufgegangen. Eine freiwerdende Lebensversicherung hat er in die Tankstelle investiert. Immer mit dem Blick darauf, dass irgendwann die Leute von der RWE kommen, um ihm seinen Betrieb mit allen wertsteigernden Investitionen abzukaufen.
Die Entschädigungssumme sollte seine Altersversorgung werden, mit ihr wollte er sich zur Ruhe setzen. Eine Rechnung, die jetzt nicht mehr aufgeht, wo Holzweiler bleiben darf und es keine Entschädigung mehr gibt.
"Das war schon ein Schlag, wie die sagten, die kommen jetzt doch nicht. Das stand von Kindesbeinen an fest. Deswegen war ja meine Lebensplanung darauf hin-aus, dass das die Altersversorgung ... Das war ja das happy end, irgendwann kommen die und dann müssen sie es ja abkaufen. Jetzt ist die Tankstelle natürlich schwer an den Mann zu bringen, privat."
Gegenüber der Dorfkirche hat Karl-Josef Krummen seine Gaststätte "Zum krummen Ochsen" – so viel Wortspiel muss auch in Holzweiler sein. Krummen steht gerade auf der Leiter und dekoriert für die "Bayerische Woche". Beim Thema Braunkohle hat er schon gar keine Lust mehr, von der Leiter runterzusteigen.
"Jetzt kommt der Dreck, Staub, Lärmbelästigung durch das Abbauen, wenn die hier näher rücken sollten. Dann ist das schon eine Art Insellage, die wir auch bekommen. Jetzt wird die Straße hier nach Jackerath, die wird noch südlich verlegt. Und dann geht es ja ganz um Holzweiler rum bis westlich Richtung Erkelenz, die sollte auch noch verlegt werden. Dann sind wir schon von drei Seiten vom Tagebau angegriffen worden. Und dann ist da nur noch ein Viertel, sage ich mal, wo man raus und rein kommt."

Entschädigungen beiben aus

Auch Gastwirt Krummen sieht eine fatale Kausalbeziehung: Die Tagebaurandlage klemmt dem Dorf die Lebensader ab.
"Der Bäcker hört jetzt nächsten Monat auf. Das Geschäft hier nebenan floriert nicht, die hört auf. Ob das Metzgereien sind, Gaststätten, Tante-Emma-Läden, die gehen ja alle weg. Die umliegenden Dörfer werden immer mehr weggebaggert und siedeln um. Und dann zieht natürlich alles Richtung Stadt. Wie ich anfing hatten wir vier Kneipen hier oder Gaststätten. Die liefen gut. Und jetzt ist noch eine hier, und da läuft es nicht so berauschend, sage ich mal, wie früher jetzt."
Auch der Wirt und seine Frau haben ihr ganzes Geld ins Gasthaus gesteckt und immer auf die Entschädigung durch RWE gebaut.
"Wenn Sie 30 Jahre geplant haben, dass Sie in vier, fünf Jahren weg müssen und daraufhin Ihre Altersvorsorge aufbauen, dann ist das aus finanzieller Sicht ja nicht gerade einfach, wenn man das dann umschmeißen muss, mit 57."
Knapp zwei Kilometer vom Holzweiler Ortskern entfernt liegt der Eggerather Hof. Vor dem Hof eine Allee mit uraltem Baumbestand. Man betritt die in sich geschlossene Hofanlage durch einen Torbogen. Links die ehemaligen Stallungen, rechts das Herrenhaus aus dem Jahr 1754.
Der Hof ist heute ein intakter Ackerbaubetrieb für Kartoffeln, Weizen und Gemüse. Und er steht unter Denkmalschutz, sowohl als Boden- wie auch als Gebäudedenkmal. Nützt ihm aber nichts. Der Hof soll dem Braunkohlenabbau geopfert werden, obwohl er noch zur Gemeinde Holzweiler gehört, die ja nach der Leitentscheidung der Landesregierung verschont werden soll. Petra Schmitz, die Landwirtin.

Holzweiler ist nicht gleich Holzweiler

"Das soll weg, ja. Eigentlich wussten wir natürlich immer, dass wir im Abbaugebiet Garzweiler II liegen, genauso wie 130 andere Baudenkmäler, die ja zum Teil schon zerstört worden sind.
Es war natürlich für uns im ersten Moment, als es hieß, es wird eine neue Leitentscheidung getroffen, ein Grummeln im Bauch, dass wir gesagt haben, wir haben jetzt die Chance, dass wir stehen bleiben, waren aber sofort doch etwas skeptisch, ob die Höfe, also es ist ja nicht nur der Eggerather Hof, sondern auch 500 Meter weiter der Roitzer Hof, der zu Holzweiler gehört, und der Weyerhof, beides auch alte denkmalgeschützte Höfe, dass wir also schon von Anfang an etwas skeptisch waren, ob wir mit zum Dorf gezählt werden, weil eben die große, freie Ackerfläche hinter uns liegt.
Und wir konnten uns nicht vorstellen, dass RWE darauf verzichten würde. Obwohl wir da auf die Landesregierung gesetzt haben und gehofft haben, dass auch wirklich das Wort gilt: Holzweiler mit den dazugehörigen Höfen bleibt stehen."
Dörfliche Traditionen und uralte Steinzeugen zählen nicht viel, wenn rundum freies und kohleträchtiges Land liegt.
"Am meisten schmerzt eigentlich der Gedanke, wenn hier diese Hofanlage abgebaut wird, dass hier so viele Generationen auf so vieles verzichten mussten, um den Hof zu erhalten für die Familie.
An unserer Hauseingangstür diese alte Blausteinstufe ist so ausgetreten. Oft wenn ich darüber gegangen bin oder auch wenn ich da geputzt habe, habe ich immer gedacht, boh, wie viele Menschen sind hier schon drüber gegangen in Jahrzehnten und Jahrhunderten und haben eine Verbindung mit diesem Hof gehabt.
Es hat auch eine ganz enge Verbindung zum Ort Holzweiler gegeben, weil sehr, sehr viele Bewohner von Holzweiler in früheren Zeiten hier auch Arbeit gefunden haben. Und vor allem die ältere Generation hat noch ganz, ganz viele Erinnerungen an unseren Ringgraben, der heute trocken ist und der früher immer ein ganz beliebter Treffpunkt der Kinder und Jugendlichen war zum Schlittschuhlaufen und zum Eis-hockeyspielen. Also das bekomme ich heute noch ganz oft von den älteren Holzweiler-Bürgern erzählt."
Elisabeth Fröschen hat seit vielen Jahren ein Blumengeschäft am Ortsrand von Holzweiler. Mit ihren Eltern musste sie schon einmal vor der Braunkohle fliehen. Die Familie wohnte ursprünglich in Alt-Garzweiler, ein Ort, der schon lange in der Grube versunken ist. Der Vater von Elisabeth Fröschen beschloss damals, dass die Familie nach Holzweiler zieht mit der Begründung: nach Holzweiler kommen die Bagger nie. Das war 1960. Der Vater sollte Recht behalten. Bis nach Holzweiler kommt der Bagger tatsächlich nicht, aber bis 400 Meter davor.
"Und je näher der Bagger kommt, umso schlimmer wird’s für uns. Also ich hab alleine schon dadurch, dass der Verkehr weniger geworden ist von den Ortschaften Immerath und Borschemich, erhebliche Umsatzrückgänge. Als das Krankenhaus geschlossen wurde in Immerath aufgrund der Umsiedlung, war schon ein Großteil meines Umsatzes weg. Da kann man auch hier am Ort jeden Selbstständigen befragen, die haben alle nicht mehr die Umsätze, die mal waren, aufgrund dessen, dass ja die angrenzenden Ortschaften schon nicht mehr da sind. Und das wird ja schlimmer, wenn Keyenberg, Berverath und so auch noch wegkommen."
Also wäre es doch besser bei der ursprünglichen Entscheidung geblieben? Holzweiler abbaggern genauso wie die vorgelagerten Dörfer und Neuanfang an andere Stelle inklusive Entschädigung durch die RWE?

"Ich wäre lieber abgebaggert worden"

Vera Könen: "Ich wär lieber abgebaggert worden, ja. Eigentlich nich … Das kann man so auch nicht sagen. Aber doch, doch, eigentlich glaube ich schon. Ich wäre lieber mit weggekommen, ja. Aber das ist blöd, das jetzt zu sagen. Aber ich hab wahnsinnige Angst davor. Ich hab gesagt, wie könnt‘ ihr euch darüber freuen, ich hab so ‘ne Angst. Mir macht diese Vorstellung, dass das alles weg kommt, um uns herum, bis 400 Meter, die dann hier nahe sind. Das macht mir persönlich große Angst, ja."
Elisabeth Fröschen: "Stehenlassen, früh genug aufhören, das wäre die richtige Lösung gewesen. Es ist ja nicht wirklich nötig. Man hätte jetzt hier diesen Abschnitt einfach an der Autobahn beenden können. Die Orte sind weg, denen ist auch nicht mehr geholfen mit Stehenbleiben. Aber dann wäre die Verbindungsstraße geblieben. Dann hätte sich für die Orte, die stehen bleiben, nicht wirklich so viel mehr verändert. Dann hätten alle Orte noch eine Chance für einen wirklichen Neuanfang, der sich innerhalb von einigen Jahren verselbstständigt."
In zwei, drei Jahrzehnten – so die derzeitigen Pläne – wären die Nachbardörfer von Holzweiler dann verschwunden, Garzweiler II wäre ausgekohlt. Wenn, ja wenn sich nicht noch mal was ändert. Petra Schmitz vom abbruchgefährdeten Eggerather Hof.
"Wer kann uns sagen, dass in 20 Jahren die Verstromung von Braunkohle noch so rentabel ist, dass weiter Kohle gefördert wird oder liegen nicht in irgendwelchen Schubladen auch schon Unterlagen, dass man sagen kann, wenn es notwendig ist, verkürzen wir den Braunkohletagebau Garzweiler II noch mal."

Hoffnung, dass das Umland bleibt

Also doch noch Hoffnung, dass das letzte Wort noch nicht gesprochen ist, dass die Schaufelbagger doch nicht bis auf 400 Meter an Holzweiler heranrücken werden und dass vielleicht doch mehr vom Umland erhalten bleibt als es jetzt aussieht. Dass das energiepolitisch machbar wäre, lernt man in Holzweiler schon in der Schule.
Philipp Hages: "Wir haben natürlich auch in der Schule darüber gesprochen, im Politikunterricht. RWE ist im Moment vielleicht noch der Hauptstromliefernde in Deutschland. Aber wenn jetzt zum Beispiel RWE von heute auf morgen aufhören würde, würde in Deutschland kein Licht ausgehen, weil wir genug erneuerbare Energie haben."
Schüler Philipp Hages ist 14 Jahre alt und hat offenbar gute Verbindungen in die große Politik.
"Mittwoch war ich ja auch mit meiner Klasse beim Bürgermeister. Ich möchte jetzt nichts vorab sagen, aber er hatte erwähnt, dass da ein neue Leitentscheidung kommt und dass darum gekämpft wird, dass die Insellage von Holzweiler verhindert wird und dass der Eggerather Hof, der Roitzer Hof, der Weyerhof, dass die stehen bleiben.
Da wird noch drum gekämpft. Das Problem ist, das Thema geht unter, weil jetzt die Landtagswahlen sind und da das ein sehr negatives Thema ist, möchte da niemand drüber sprechen und drüber diskutieren. Und deswegen geht das unter."
Das, was im Erkelenzer Rathaus den Schülern erzählt wird, ist das, worauf die Holzweiler sowieso setzen. Petra Schmitz:
"Sobald die Wirtschaftlichkeit nicht mehr gegeben ist, sind Dinge machbar, wo uns heute erzählt wird, nein, das geht nicht, also dass zum Beispiel der Tagebau früher enden kann. Es sind letztendlich wahrscheinlich die wirtschaftlichen Fragen, die das Ganze bestimmen."
Und so wird man in Holzweiler weiter das tun, was man die letzten Jahre immer gemacht hat: Die Bagger sind noch weit und wer weiß, ob sie dereinst wirklich kommen.
"Wir drücken es einfach weg oder versuchen es wegzudrücken, was natürlich sehr schwierig ist und warten einfach ab, was auf uns zukommt. Wir können nichts dran ändern."
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