Homburger: Vom Friedensprozess "sehr weit entfernt"
Die sicherheitspolitische Sprecherin der FDP-Bundestagsfraktion, Birgit Homburger, hat die zunehmende Radikalisierung im Nahen Osten beklagt. Die derzeitige Entwicklung sei kontraproduktiv für einen Friedensprozess, sagte Homburger.
Leonie March: Tausende Häuser sind vollkommen zerstört, fließend Wasser gibt es nur an wenigen Orten, vieles ist nur auf dem Schwarzmarkt zu bekommen. Sechs Wochen nach dem Ende des Krieges im Gazastreifen beraten Vertreter von 45 Staaten heute im ägyptischen Scharm el-Scheich bei einer Geberkonferenz über die Unterstützung beim Wiederaufbau und humanitäre Hilfe. Ein Bild von der Situation der Menschen im Gazastreifen hat sich am Wochenende die sicherheitspolitische Sprecherin und stellvertretende Vorsitzende der FDP-Fraktion im Bundestag, Birgit Homburger, gemacht. Ich habe sie gefragt, was sie bei ihrem Besuch besonders beeindruckt oder bestürzt hat.
Birgit Homburger: Wir haben eine Schule gesehen, die komplett zerstört wurde, bei der nachweislich keine Waffen gelagert wurden, von der aus auch keine Raketen abgefeuert wurden, und diese Schule ist eine amerikanische Schule, die von der Hamas in der Vergangenheit auch angefeindet wurde. Ausgerechnet diese Schule wurde jetzt zerstört. Das sind natürlich schon auch tragische Bilder. Aber auch die Tatsache, dass man viele Familien obdachlos sieht, die jetzt in provisorischen Zelten untergebracht sind – und es ist sehr kalt geworden dort -, dass man einfach sagen muss, die Zivilbevölkerung braucht dringend Hilfe.
March: Internationale Hilfe in Milliarden-Höhe soll ja heute bei der Geberkonferenz in Scharm el-Scheich beschlossen werden. Wie sollte die deutsche Unterstützung denn konkret aussehen?
Homburger: Die Unterstützung, die jetzt zu allererst benötigt wird, ist natürlich eine Unterstützung in der aktuellen Situation mit Lebensmitteln. Vor allen Dingen muss aber sichergestellt werden, dass diese Hilfsgüter die Menschen im Gazastreifen erreichen. In der Vergangenheit wurden ja sehr viele Hilfsgüter nicht reingelassen von Israel und es gab gerade in den letzten Tagen einen kuriosen Streit, in den sich sogar die amerikanische Außenministerin am Ende eingeschaltet hat, über die Frage, ob Nudeln im Gazastreifen zugelassen werden oder nicht. Das sind einfach Dinge, die die Menschen dort auch nicht verstehen.
March: Trotzdem muss ja sichergestellt werden, dass die Hamas Teile der Hilfsgelder und Hilfsgüter nicht für sich abzweigen kann. Wie kann denn das gewährleistet werden?
Homburger: Das ist ganz essenziell. Die Hilfsgüter müssen die Zivilbevölkerung erreichen. Das bedeutet, dass man hier kein Geld an die Hamas geben darf, sondern dass Hilfsgüter geschickt werden müssen. Ich hatte Gelegenheit, mit dem Leiter der UNDP vor Ort zu sprechen, der mir aufgezeigt hat, dass es hier ein Verteilungssystem der UNO bereits gibt, das sehr gut für die Verteilung der Hilfsgüter an die Zivilbevölkerung genutzt werden kann und auch genutzt werden muss.
March: Sie haben gerade gesagt, das ist wichtig, dass die Hilfsgüter die Menschen auch erreichen. Von Israel fordert ja unter anderem das Internationale Rote Kreuz ein Ende der Blockade des Gazastreifens, weil nur so eine wirtschaftliche Entwicklung möglich ist. Aber kann Israel diese Forderung überhaupt erfüllen, wenn die Hamas weiterhin Raketen auf Israel feuert?
Homburger: Es wird mit Sicherheit noch erheblicher Verhandlungen bedürfen, um tatsächlich zu einem Ende der Blockade zu kommen. Wir müssen jetzt die Möglichkeiten, die sich bieten, nutzen, um Gespräche zu führen und den Versuch zu machen, hier zu einer Stabilisierung zu kommen. Wichtig ist zunächst einmal, dass jetzt die Hilfsgüter tatsächlich auch den Gazastreifen erreichen, und wichtig ist aus meiner Sicht auch, dass Güter, die den Aufbau, den Wiederaufbau beispielsweise von Häusern ermöglichen, dass diese auch reingelassen werden in den Gazastreifen. Der Leiter der UNDP hat mir erklärt, dass seit zwei Jahren keinerlei Baumaterial mehr in den Gazastreifen hineinkommt und damit auch erhebliche internationale Hilfsgelder, die zur Verfügung stehen, um bestimmte Dinge wieder aufzubauen, im Augenblick überhaupt nicht genutzt werden können, weil einfach überhaupt kein Material in den Gazastreifen kommt. Das ist das, was jetzt zunächst einmal auch von Israel gefordert ist und was zunächst einmal erreicht werden muss.
March: Sie haben ja in den vergangenen Tagen auch Gespräche in Israel geführt. Haben Sie das Gefühl, dass man dort gesprächsbereit ist?
Homburger: Es ist so, dass sich die Lage aus meiner Sicht dort sehr schwierig darstellt. Wir hatten die Parlamentswahlen in Israel mit einer jetzt im Augenblick sehr schwierigen Regierungsbildung. Wir haben auf der anderen Seite eine Situation, dass Gaza und das Westjordanland getrennt sind, dass die Palästinenser keinerlei Einigkeit haben. Hier gab es ja diesen Verhandlungsprozess in Kairo, wo man jetzt eine gewisse Hoffnung hat, wieder über Verhandlungen zu einer Einigkeit unter den Palästinensern zu kommen. Das sind alles Ansätze, die einen gewissen Hoffnungsschimmer vielleicht darstellen, aber von einem eigentlichen Friedensprozess sind wir nach meiner persönlichen Einschätzung noch sehr, sehr weit entfernt.
March: Und Israel hat ja nach dem Raketenbeschuss der letzten Tage mit einer schmerzhaften und kompromisslosen Antwort gedroht. Inwiefern kann denn in Scharm el-Scheich bei der Geberkonferenz losgelöst vom politischen Stillstand über den Wiederaufbau beraten werden?
Homburger: Die Konferenz in Scharm el-Scheich ist ja dazu da, zunächst einmal den Menschen im Gazastreifen zu helfen und dort zu einem Wiederaufbau zu kommen. Aber das alleine wird natürlich nicht reichen. Es geht jetzt nicht nur um Geld, sondern es geht um einen politischen Prozess, der in Gang gesetzt werden muss, und dazu bedarf es auf der einen Seite, dass die Hamas auch abrückt von ihrer Position, dass sie Israel vernichten will, dass auf der anderen Seite der Versuch gemacht wird, zwischen den Palästinensern zu weiteren Gesprächen zu kommen, um auch in diesem Verhältnis weiterzukommen, und zum dritten ist natürlich das auch so, dass die internationale Gemeinschaft auch auf Israel Einfluss nehmen muss, dass Israel auf der einen Seite Hilfe für die Zivilbevölkerung im Gazastreifen zulässt, auf der anderen Seite sich aber auch an die Zusagen hält, die es international gemacht hat, nämlich beispielsweise was das Westjordanland betrifft, dass dort Zusagen gemacht worden sind, dass es keine weitere Siedlungstätigkeit gibt, dass die Kontrollpunkte reduziert werden. Das Gegenteil ist der Fall und was ich im Augenblick bei meiner Reise dort gespürt habe ist, dass es zu einer zunehmenden Radikalisierung kommt. Das ist für einen Friedensprozess natürlich kontraproduktiv.
March: Birgit Homburger, sicherheitspolitische Sprecherin und stellvertretende Vorsitzende der FDP-Bundestagsfraktion. Herzlichen Dank für das Gespräch.
Homburger: Bitte sehr.
Das Interview mit Birgit Homburger können Sie bis zum 2. August 2009 in unserem Audio-on-Demand-Angebot nachhören. MP3-Audio
Birgit Homburger: Wir haben eine Schule gesehen, die komplett zerstört wurde, bei der nachweislich keine Waffen gelagert wurden, von der aus auch keine Raketen abgefeuert wurden, und diese Schule ist eine amerikanische Schule, die von der Hamas in der Vergangenheit auch angefeindet wurde. Ausgerechnet diese Schule wurde jetzt zerstört. Das sind natürlich schon auch tragische Bilder. Aber auch die Tatsache, dass man viele Familien obdachlos sieht, die jetzt in provisorischen Zelten untergebracht sind – und es ist sehr kalt geworden dort -, dass man einfach sagen muss, die Zivilbevölkerung braucht dringend Hilfe.
March: Internationale Hilfe in Milliarden-Höhe soll ja heute bei der Geberkonferenz in Scharm el-Scheich beschlossen werden. Wie sollte die deutsche Unterstützung denn konkret aussehen?
Homburger: Die Unterstützung, die jetzt zu allererst benötigt wird, ist natürlich eine Unterstützung in der aktuellen Situation mit Lebensmitteln. Vor allen Dingen muss aber sichergestellt werden, dass diese Hilfsgüter die Menschen im Gazastreifen erreichen. In der Vergangenheit wurden ja sehr viele Hilfsgüter nicht reingelassen von Israel und es gab gerade in den letzten Tagen einen kuriosen Streit, in den sich sogar die amerikanische Außenministerin am Ende eingeschaltet hat, über die Frage, ob Nudeln im Gazastreifen zugelassen werden oder nicht. Das sind einfach Dinge, die die Menschen dort auch nicht verstehen.
March: Trotzdem muss ja sichergestellt werden, dass die Hamas Teile der Hilfsgelder und Hilfsgüter nicht für sich abzweigen kann. Wie kann denn das gewährleistet werden?
Homburger: Das ist ganz essenziell. Die Hilfsgüter müssen die Zivilbevölkerung erreichen. Das bedeutet, dass man hier kein Geld an die Hamas geben darf, sondern dass Hilfsgüter geschickt werden müssen. Ich hatte Gelegenheit, mit dem Leiter der UNDP vor Ort zu sprechen, der mir aufgezeigt hat, dass es hier ein Verteilungssystem der UNO bereits gibt, das sehr gut für die Verteilung der Hilfsgüter an die Zivilbevölkerung genutzt werden kann und auch genutzt werden muss.
March: Sie haben gerade gesagt, das ist wichtig, dass die Hilfsgüter die Menschen auch erreichen. Von Israel fordert ja unter anderem das Internationale Rote Kreuz ein Ende der Blockade des Gazastreifens, weil nur so eine wirtschaftliche Entwicklung möglich ist. Aber kann Israel diese Forderung überhaupt erfüllen, wenn die Hamas weiterhin Raketen auf Israel feuert?
Homburger: Es wird mit Sicherheit noch erheblicher Verhandlungen bedürfen, um tatsächlich zu einem Ende der Blockade zu kommen. Wir müssen jetzt die Möglichkeiten, die sich bieten, nutzen, um Gespräche zu führen und den Versuch zu machen, hier zu einer Stabilisierung zu kommen. Wichtig ist zunächst einmal, dass jetzt die Hilfsgüter tatsächlich auch den Gazastreifen erreichen, und wichtig ist aus meiner Sicht auch, dass Güter, die den Aufbau, den Wiederaufbau beispielsweise von Häusern ermöglichen, dass diese auch reingelassen werden in den Gazastreifen. Der Leiter der UNDP hat mir erklärt, dass seit zwei Jahren keinerlei Baumaterial mehr in den Gazastreifen hineinkommt und damit auch erhebliche internationale Hilfsgelder, die zur Verfügung stehen, um bestimmte Dinge wieder aufzubauen, im Augenblick überhaupt nicht genutzt werden können, weil einfach überhaupt kein Material in den Gazastreifen kommt. Das ist das, was jetzt zunächst einmal auch von Israel gefordert ist und was zunächst einmal erreicht werden muss.
March: Sie haben ja in den vergangenen Tagen auch Gespräche in Israel geführt. Haben Sie das Gefühl, dass man dort gesprächsbereit ist?
Homburger: Es ist so, dass sich die Lage aus meiner Sicht dort sehr schwierig darstellt. Wir hatten die Parlamentswahlen in Israel mit einer jetzt im Augenblick sehr schwierigen Regierungsbildung. Wir haben auf der anderen Seite eine Situation, dass Gaza und das Westjordanland getrennt sind, dass die Palästinenser keinerlei Einigkeit haben. Hier gab es ja diesen Verhandlungsprozess in Kairo, wo man jetzt eine gewisse Hoffnung hat, wieder über Verhandlungen zu einer Einigkeit unter den Palästinensern zu kommen. Das sind alles Ansätze, die einen gewissen Hoffnungsschimmer vielleicht darstellen, aber von einem eigentlichen Friedensprozess sind wir nach meiner persönlichen Einschätzung noch sehr, sehr weit entfernt.
March: Und Israel hat ja nach dem Raketenbeschuss der letzten Tage mit einer schmerzhaften und kompromisslosen Antwort gedroht. Inwiefern kann denn in Scharm el-Scheich bei der Geberkonferenz losgelöst vom politischen Stillstand über den Wiederaufbau beraten werden?
Homburger: Die Konferenz in Scharm el-Scheich ist ja dazu da, zunächst einmal den Menschen im Gazastreifen zu helfen und dort zu einem Wiederaufbau zu kommen. Aber das alleine wird natürlich nicht reichen. Es geht jetzt nicht nur um Geld, sondern es geht um einen politischen Prozess, der in Gang gesetzt werden muss, und dazu bedarf es auf der einen Seite, dass die Hamas auch abrückt von ihrer Position, dass sie Israel vernichten will, dass auf der anderen Seite der Versuch gemacht wird, zwischen den Palästinensern zu weiteren Gesprächen zu kommen, um auch in diesem Verhältnis weiterzukommen, und zum dritten ist natürlich das auch so, dass die internationale Gemeinschaft auch auf Israel Einfluss nehmen muss, dass Israel auf der einen Seite Hilfe für die Zivilbevölkerung im Gazastreifen zulässt, auf der anderen Seite sich aber auch an die Zusagen hält, die es international gemacht hat, nämlich beispielsweise was das Westjordanland betrifft, dass dort Zusagen gemacht worden sind, dass es keine weitere Siedlungstätigkeit gibt, dass die Kontrollpunkte reduziert werden. Das Gegenteil ist der Fall und was ich im Augenblick bei meiner Reise dort gespürt habe ist, dass es zu einer zunehmenden Radikalisierung kommt. Das ist für einen Friedensprozess natürlich kontraproduktiv.
March: Birgit Homburger, sicherheitspolitische Sprecherin und stellvertretende Vorsitzende der FDP-Bundestagsfraktion. Herzlichen Dank für das Gespräch.
Homburger: Bitte sehr.
Das Interview mit Birgit Homburger können Sie bis zum 2. August 2009 in unserem Audio-on-Demand-Angebot nachhören. MP3-Audio