Hommage an Buchpreisgewinner

Der Narrheit des Frank Witzel auf der Spur

Autor Frank Witzel erhält den Deutschen Buchpreis 2015 (12.10.2015).
Autor Frank Witzel erhielt im Oktober den Deutschen Buchpreis 2015. © dpa / picture-alliance / Arne Dedert
Von Gerd Brendel |
Wie steht Autor Frank Witzel zur historischen Wahrheit? Wann gewann Witzel erstmals berufliche Anerkennung? Das Haus der Berliner Festspiele hat dem Buchpreisgewinner im Rahmen der Veranstaltungsreihe "Ein Tag mit ..." ein umfassendes Programm gewidmet.
Ja , er erinnere sich gut an das Show-Format "Das ist ihr Leben", sagt Frank Witzel vor seinem Auftritt in der Garderobe. Aber im Gegensatz zu den damals porträtierten Prominenten müsse er nicht damit rechnen, mit irgendwelchen Schulkameraden konfrontiert zu werden. Einen quasi Zeitgenossen aus der alten BRD hätte er sich allerdings gewünscht: Den Schauspieler Peter Fricke als Vorleser:
"Der ewige Knabe, der nicht erwachsen werden will. Das soll ich sein? - etwa nicht ? Wie alt sind sie? So alt wie die Bundeswehr. Doppelt so alt wie die RAF."
Gleich zu Beginn des Abends ließt der einstige intellektuelle Darsteller-Schönling der BRD aus einem der "Befragungs"-Kapitel aus Witzels preisgekröntem letzten Buch: "Die Erfindung der Roten Armee Fraktion durch einen manisch-depressiven Teenager im Sommer 1969" .
Jonglieren mit Mythen und Verschwörungstheorien
Witzels Held teilt mit seinem Erfinder das Alter und das soziale Milieu - Wiesbaden in den 60er- und 70er-Jahren, die katholische Diaspora. Der Rest ist hanebüchene Erfindung, die souverän mit Verschwörungstheorien und modernen Mythen jongliert. Beispiel Kapitel 71 -. "Befragung zum Teenagerkreuzzug":
"Die wirklichen Attentate finden in aller Stille statt. John F. Kennedy wurde von seinem Bruder Robert gedoubled. Aber der wurde doch auch umgebracht ... von seinem Double."
"Ich kann das einfach nicht ernst nehmen!"
"Weil Sie bisher dachten, die Realität sei der Literatur nachgeordnet, und jetzt feststellen müssen, dass Sie sich noch nicht einmal ansatzweise vorstellen können, was in Wirklichkeit los ist."
Die biografische Lebenswirklichkeit des Autors zu erhellen, versuchte nach der Pause der Schriftsteller-Kollege Ingo Schulze.
"Du hast sehr früh Anerkennung erfahren: Du erhieltest 1964 den zweiten Preis beim Lesewettbewerb Wiesbadener Volksschulen. Dann hat es mit dem darauffolgenden Preis sehr viel länger gedauert."
"Nie ohne Bundeswehr und KPD-Verbot gelebt"
Die Zeit dazwischen bis zum deutschen Buchpreis 2015 lassen Witzel und Schulze im launigen Zitate-Austausch vorüber ziehen. Witzel studiert am Konservatorium Klavier, wird Illustrator und veröffentlicht mit Anfang 20 einen ersten Band mit Gedichten.
"Nie in der Mitte der Bewegung gestanden, kein Kind von MarxCola , die Trümmer waren weggeräumt, Kaugummi keine Neuentdeckung, nie ohne Bundeswehr und KPD-Verbot gelebt."
Ein bisschen peinlich ist dem 60-Jährigen dann doch die Begegnung mit der eigenen Teenager-Lyrik. In den 2000er-Jahren werden die ersten Romane verlegt. Schulze fragt nach dem Wahnsinn als roten Faden.
"Ich gehe, glaube ich, nie sie weit ,dass ich den Wahnsinnigen als den neuen schönen Wilden darstellen möchte, aber -"
Ganz gleich, ob Witzel von manisch-depressiven Teenagern schreibt , von knochenlosen Spionen wie in "Bluemoon Baby" oder über eine fiktive Schriftsteller-Kollegin mit Knebel-Vertrag - kein Buch länger als 128 Seiten, kein Satz mehr als sieben Worte - wie in Vondenloh.
"Das Wahnhafte spielt immer eine gewisse Rolle."
Der Rest steht in seinen Büchern
Und wie steht Witzel zur historischen Wahrheit? Bei gemeinsamen Lesungen, erinnert sich Olaf Schulze, hätten immer wieder enttäuschte Zuhörer den Raum verlassen, weil sie die historischen Fakten zu RAF und BRD-Geschichte vermissten. Dabei kennt der gelernte Katholik Frank Witzel die Antwort auf die alte Frage des Pontius Pilatus:
"Was ist Wahrheit? Ich glaube, die Wahrheit gibt es natürlich nicht, aber trotzdem gibt es diese Sehnsucht nach einer Wahrheit, und auf dem Weg diese Sehnsucht zu erfüllen, kann man der Narrheit, ähh, der Wahrheit manchmal etwas näher kommen."
An diesem Tag konnte man der Wahrheit und der Narrheit der Person des Schriftstellers Frank Witzel ein kleines bisschen näher kommen. Der Rest, vor allem die Narrheit, steht in seinen Büchern.
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