Eine gefährliche Allianz in der Coronakrise
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Nicht nur Verschwörungstheoretiker und Impfgegner verbreiten Falschaussagen über Covid-19. Auch Deutschlands führende Homöopathie-Organisation, die Hahnemann-Gesellschaft, hat auf ihrer Homepage Corona-"Informationen", die mehr als fragwürdig sind.
In der Coronakrise dominiert die Schulmedizin. Beatmungsgeräte retten auf Intensivstationen Menschen mit schweren Covid-19-Verläufen. Impfungen, die auf einer neuartigen Hightech-Technologie beruhen, versprechen das Ende der Pandemie. Alternative Behandlungsmethoden wie die Homöopathie sind machtlos gegen ein so unberechenbares Virus wie Sars-CoV-2. Sollte man meinen. Doch die Hahnemann-Gesellschaft informiert Interessierte in ihrem "Corona Newsticker" darüber, wie die Homöopathie auch bei schweren Covid-19-Verläufen helfen kann.
"Die Homöopathie-Bewegung ist ja grundsätzlich skeptisch gegenüber der direkten Intervention in den Körper, das ist sozusagen medizinisch-technisch", erklärt Urban Wiesing, Direktor des Instituts für Ethik und Geschichte der Medizin der Universität Tübingen.
"Sie geht davon aus, dass sie eher den ganzen Körper betrachtet, dass sie ihn besser sieht im Rahmen der Natur und dass sie sozusagen den Körper reizt durch bestimmte Stoffe. Und nicht direkt beeinflusst. Das ist die Grundhaltung, die hat sie immer schon gehabt. Sie war schon immer skeptisch gegenüber der Schulmedizin, obwohl man ja auch Unterschiede kennt bei den Homöopathen. Und die Situation ist jetzt die gleiche. Wir sind in einer bedrohten Ordnung, wir stehen in einer Krise und jetzt wird diese Interventionsweise bevorzugt. Das ruft natürlich die Homöopathen auf den Plan, das zu sagen, deutlich zu sagen, was sie eigentlich immer schon gesagt haben."
In der jüngsten Ausgabe des Corona-Tickers der Hahnemann-Gesellschaft werden jedoch Behauptungen aufgestellt, die einer wissenschaftlichen Überprüfung nicht standhalten können. Unter der Überschrift "wir werden zunehmend 'immunkompetent' für das neuartige Coronavirus" steht beispielsweise, dass die Schutzmaßnahmen zur Eindämmung des Virus wirkungslos seien und dass Impfungen unnötig seien, da sich Infektionsgeschehen selbst limitieren. Leif-Erik Sander, der an der Berliner Charité eine Arbeitsgruppe zur Impfstoffentwicklung leitet, hält solche Aussagen für fahrlässig:
"Wenn Sie jede Infektionskrankheit ihren natürlichen Verlauf nehmen lassen, dann sterben eben ein paar Leute und ein paar Menschen haben irreversible Langzeitschäden. Wenn das etwas ist, was man gern in Kauf nehmen möchte, kann man das tun. Natürlich können Sie eine Lungenentzündung auch ohne Antibiotika überleben. Aber ein großer Teil wird eben auch versterben oder vielleicht schwere Schäden an der Lunge haben. Das ist, glaube ich, einfach eine Entscheidung gewesen, die die meisten individuell dann doch für sich treffen, dass sie lieber nicht versterben oder lieber keine schweren Organschäden davon tragen. Von daher ist diese Aussage ganz, ganz stark verkürzt."
Die Hahnemann-Gesellschaft stand auch nach mehrmaligen Anfragen zu keiner Stellungnahme zur Verfügung.
"Erschrocken, wie viel Unbewiesenes auf der Homepage steht"
Urban Wiesing hält es für zynisch, zu behaupten, dass sich das Infektionsgeschehen bei Sars-CoV-2 von selbst reguliere.
"Das sind ja immerhin drei Ärzte, die das unterschrieben haben", sagt er. "Ich finde, es gehört zur Ausbildung eines wissenschaftlichen Berufs, dass man sich auf wissenschaftliche Tatsachen beruft. Und wenn ich mir diese Seite durchlese, dann sind da viele Aussagen drin, wo ich sagen würde: Dafür gibt es überhaupt keinen wissenschaftlichen Hinweis und das Gegenteil ist richtig.
Wenn da steht: 'Eine jede Pandemie beendet sich von selbst, die läuft irgendwann aus'. Ja, das tut sie auch, das ist völlig richtig, spätestens wenn alle Menschen gestorben sind, gibt es sowieso keine Pandemie mehr. Natürlich hört die irgendwann auf, die Frage ist nur, wie viele Menschen sterben bis dahin und wie viele Menschen können wir bis dahin retten. Ich bin schon ziemlich erschrocken, wie viel Unbewiesenes dort auf der Homepage steht."
Symptomlose können niemanden anstecken? Doch!
Ob sich Menschen bei einer Infektion mit homöopathischen oder schulmedizinischen Heilmitteln behandeln lassen wollen, ist eine Entscheidung, die jede und jeder für sich selbst treffen kann. Bedenklich sind jedoch Aussagen, die Menschen dazu bringen, sich leichtsinnig zu verhalten und andere anzustecken. So wird im Newsticker der Hahnemann-Gesellschaft beispielsweise behauptet, dass symptomlose Menschen nicht ansteckend seien.
"Das ist schlichtweg eine Falschaussage", sagt Leif-Erik Sander. "Wir wissen ganz gut, dass symptomlose Personen hochansteckend sein können und auch so genannte Superspreading Events häufig durch asymptomatische Personen ausgelöst werden."
Ebenso fahrlässig sei die Behauptung, eine Impfung sei keine Antwort auf eine laufende Pandemie und käme immer zu spät. Denn Experten sind sich einig, dass sich die Ausbreitung des neuartigen Coronavirus auf Dauer nur verlangsamen lässt, wenn ausreichend viele Menschen geimpft werden. Zwar werden Personen auch immun, wenn sie eine Infektion mit Sars-CoV-2 durchgemacht haben, zumindest für eine gewisse Zeit. Doch wer eine natürliche "Durchseuchung" der Bevölkerung zulässt oder gar forciert, riskiert, dass noch mehr Menschen sterben oder bleibende Organschäden davontragen, gibt Leif-Erik Sander zu bedenken:
"Herdenimmunität kann sich natürlich über verschiedene Wege aufbauen und es gibt auch Bereiche, in denen große Teile der Bevölkerung vielleicht schon infiziert waren und dadurch dann weniger Personen noch empfänglich für das Virus sind. Vielleicht auch ein großer Teil der Personen, die sehr vulnerabel waren, schon daran verstorben sind. Das muss man sich klarmachen. Es ist letzten Endes so, dass schon über Impfungen ein sehr effektiver und vor allem sicherer Weg besteht, eine Herdenimmunität aufzubauen. Dass es nicht nötig sei, über Impfungen eine Herdenimmunität herzustellen, lässt sich schon dadurch entkräften, dass es erst durch den Pocken-Impfstoff gelungen ist, die Pocken auszurotten."
"Sie kommen mit Argumenten nicht weiter"
Doch obwohl sich Wissenschaftssendungen momentan bemühen, Menschen mit wissenschaftlichen Fakten zu versorgen und ihre Zweifel auszuräumen, haben diverse Foren von Impfgegnern weiterhin starken Zulauf. Gerade bei digital verbreiteten Verschwörungsideologien wird oft jede Faktenäußerung an sich relativiert und mit vermeintlichen Gegenargumenten konfrontiert. Was bleibt, ist eine permanente Haltung des Misstrauens.
"Wir befinden uns in einer Ausnahmesituation, wir befinden uns in einer Krise, einer bedrohten Ordnung", erklärt Urban Wiesing. "In solchen Situationen kommen üblicherweise bestimmte Haltungen deutlicher zu Tage als in Zeiten des normalen Lebens. Insofern glaube ich, dass das immer schon angelegt war, dass es immer schon eine Skepsis gab gegenüber Wissenschaft, gegenüber medizinisch-technisch-wissenschaftlicher Beeinflussung des Menschen. Das kommt jetzt in dieser Situation viel, viel deutlicher zum Tragen."
Ausgerechnet in einer Zeit, in der sich die Politik stark auf die Expertise von Wissenschaftlern verlässt und die Medien kaum ein anderes Thema behandeln, halten sich Gerüchte und Falschinformationen über Impfungen und die Gefährlichkeit von Sars-CoV-2 hartnäckig.
"Es ist gut, dass man skeptisch ist und das möchte ich auch ganz deutlich sagen: Man darf auch kritisch sein, man darf Wissenschaft hinterfragen", betont Wiesing. "Aber wenn es eine Gruppe von Menschen gibt, die steif und fest behauptet: Mit dem Impfstoff werde ein Chip in den Körper eingeführt, damit Bill Gates oder sonst irgendjemand gucken kann, wie ich laufe und was ich so den ganzen Tag tue, und man mit Argumenten da nicht mehr ankommt, dann glaube ich, sind wir an einem sehr, sehr schwierigen Punkt angelangt. Weil wir die Bedingung der Möglichkeit für eine vernünftige Gesundheitspolitik oder Impfpolitik einfach nicht mehr haben. Sie kommen ja bei diesen Menschen nicht mit Argumenten weiter."