Homophobie

Schatten unterm Regenbogen

Regenbogenfahne
Sind die Deutschen wirklich so tolerant, wie viele meinen? © dpa / picture alliance / Markus Heine
Von Uwe Bork · 07.02.2014
Heute beginnen die olympischen Winterspiele in Sotschi. Schon seit Wochen wird weniger über Sport gesprochen als über homophobe russische Gesetze. Das ist gut so, kommentiert Uwe Bork. Denn nicht nur in Russland ist Homophobie nach wie vor ein Thema.
Mit der Geografie ist das manchmal so eine Sache. Da liegt dann der Hinterwald plötzlich am Schwarzen Meer und besteht aus subtropischen Palmen. Dass auch sie aber dunkelste Schatten werfen können, das beweist gerade Sotschi.
Hatte die russische Regierung noch im Sommer ein "Gesetz gegen die Homosexuellen-Propaganda" erlassen, das bereits ein offenes Gespräch über Homosexualität zum Delikt machen kann, so hält Sotschis Bürgermeister Anatoli Pachomow derlei Hass und Hetze gegen sexuelle Minderheiten nun für überflüssig. Denn, so erklärt er kurzerhand: "Hier im Kaukasus, wo wir leben, ist das nicht üblich. Hier gibt es sie nicht", die Schwulen und Lesben. Punktum.
Nur wenige Flugstunden weiter in Richtung Nord-Nordwest trifft so viel Wirklichkeitsverleugnung auf stolzes Unverständnis. "Wie rückständig, diese Russen!", stöhnt das gefühlt bessere Deutschland und schüttelt kollektiv sein politisch-korrektes Haupt. Homophobie sei doch hierzulande längst kein Thema mehr. Seit namhafte Politiker und Showgrößen und jetzt auch ein Fußballstar aus ihrer sexuellen Orientierung keinen Hehl mehr machen, kann in unserer toleranten Gesellschaft doch jeder lieben, wen er will.
Schweigsame Mehrheit mit homophoben Vorurteilen?
Sollte man in der Tat meinen, bis - ja, bis ein anderer Hinterwald mit seinen Blättern rauscht. Einer, dessen redaktionelle Förster gern behaupten, hinter besagten Blättern mit ihren drei Buchstaben F, A und Z stecke immer ein kluger Kopf.
Diese Zuversicht vermag man indes nur so lange zu teilen, bis man gelesen hat, was ein gewisser Jasper von Altenbockum in seiner Kolumne für "klare Kanten und grobe Klötze" schreibt. Findet sich dort doch die bange Befürchtung: "Es sollte nicht so weit kommen, dass Mut dazu gehört zu sagen: 'Ich bin heterosexuell, und das ist auch gut so.'"
Die Frankfurter Allgemeine Zeitung greift hier einen Ton auf, der auch in vielen persönlichen Gesprächen wie in den Foren des Internets immer wieder zu hören ist. Die gar nicht so schweigsame Mehrheit in unserem Land scheint Angst davor zu haben, dass statt der Homos nun langsam die Heteros in die Schmuddelecke der gesellschaftlichen Abseitigkeit gedrängt werden.
Da werden dann selbst in hippen Internetforen schon einmal Homophilie und Pädophilie verwechselt: "Ich habe nichts persönlich gegen Homosexuelle. Jedoch würde ich mein Kind nicht von so einem Babysitter betreuen lassen." Oder es wird mit der Lizenz zum Kränken gönnerhafte Großzügigkeit herausgekehrt: "Jedem Tierchen sein Pläsierchen. Die tun doch keinem was. Da gibt's ja nun weiß Gott üblere Zeitgenossen."
Schwule und Lesben dürfen keine Exoten mehr sein
Das "H-Thema" erregt und spaltet offensichtlich immer noch. Die einen legen es darauf an, endlich proporzgerecht schwule oder lesbische Ermittler in Fernsehkrimis unterzubringen, einen Minister mehr samt Partner auf Staatsvisite zu schicken oder noch einen weiteren Sportler zum Outing zu drängen, während es für die anderen darum geht, genau dies zu verhindern. Oder wenigstens Homosexualität so weit aus dem Blickfeld zu drängen, dass sie nicht mehr stört. Und auch in keinem grün-roten Bildungsplan unter dem Zielbegriff "Akzeptanz sexueller Vielfalt" mehr auftaucht.
Auf der Zielgraden sind wir damit noch nicht. Die würden wir erst erreichen, wenn es gelänge, Schwulen und Lesben ihren Exotenstatus zu nehmen. Die Frage nach der sexuellen Orientierung muss letztendlich überflüssig werden, weil als Maßstab für die Qualität einer Beziehung nicht mehr das Geschlecht der Partner, sondern deren gegenseitige Liebe und Fürsorge angesehen wird.
Dann würde endlich auch der homophobe Hinterwald vertrocknen, der jetzt immer noch neue Sprossen treibt.
Journalist Uwe Bork
Journalist Uwe Bork© privat
Uwe Bork, geboren am 14. Juli 1951 im niedersächsischen Verden (Aller), studierte an der Universität Göttingen Soziologie, Wirtschafts- und Sozialpolitik, Verfassungsgeschichte, Pädagogik und Publizistik. Seit 1998 ist er Leiter der Fernsehredaktion "'Religion, Kirche und Gesellschaft" des Südwestrundfunks in Stuttgart. Außer seinen Filmen hat Uwe Bork auch mehrere Bücher veröffentlicht: "Väter, Söhne und andere Irre", "Endlich Platz im Nest: Wenn Eltern flügge werden", "Wer soll das alles glauben? und andere schlaue Fragen an die Bibel", "Die Christen: Expedition zu einem unbekannten Volk". Uwe Bork lebt mit seiner Ehefrau im baden-württembergischen Esslingen. Er ist Vater zweier erwachsener Kinder und Großvater eines Enkels.