Theater in der Umkleidekabine
Im Sport gebe es keine Schwulen, und wenn doch, dann nur in der Stadt. - Das bekam der Theatermacher Reimar de la Chevallerie zu hören, der mit "Steh deinen Mann!" ein Stück über Fußball und Homosexualität inszeniert.
Dieter Kassel: Als der ehemalige Profifußballer Thomas Hitzlsperger Anfang des Jahres in einem Interview öffentlich sagte, dass er homosexuell ist, da bekam er für dieses Outing viel Lob, es gab aber auch Leute, die sich erschreckt haben, Leute in Göttingen nämlich. Das Boat-People-Projekt, ein Theaterprojekt, steckte da schon mitten in den Vorbereitungen für ein Theaterstück zu eben diesem Thema: Homosexualität und Fußball. Und ganz kurz haben sich die Macher damals sogar überlegt, ob sich dieses Projekt erledigt haben könnte, weil doch nun genau ihr Thema mitten in der öffentlichen Diskussion gelandet sei.
Das hat sich als nicht berechtigt herausgestellt, diese Befürchtung, inzwischen ist die Diskussion wieder ziemlich verebbt. Und Gott sei Dank gibt es nun dieses Stück, heute Abend feiert es in Göttingen Premiere, "Steh deinen Mann!" heißt es, und wir wollen darüber mit dem Regisseur des Stücks reden, mit Reimar de la Chevallerie. Schönen guten Tag!
Reimar de la Chevallerie: Hallo!
Kassel: Die Premiere findet heute Abend statt im Jahnstadion in Göttingen, in einer Umkleidekabine. Das kommt mir jetzt vor wie der ideale Ort – ist das der Ort, von dem Sie geträumt haben?
de la Chevallerie: Ja, das ist der Ort, von dem ich geträumt habe, weil wir der Meinung waren, dieses Stück dort zu spielen, wo auch die Menschen sind, die es hören sollen.
Kassel: Es ist ein Theaterstück natürlich, aber es ist, so will mir scheinen, mehr als das. Es ist ein Projekt, das Sie ja eigentlich in Zusammenarbeit mit ganz, ganz vielen Fußballvereinen in Niedersachsen machen wollten. Hat das geklappt?
de la Chevallerie: Nee, überhaupt nicht. Also wir haben angefangen vor einem Jahr ungefähr, dieses Projekt zu beginnen, und da habe ich noch geglaubt, das sei ein Leichtes, Fußballvereine würden sich auf uns stürzen, aber das war jetzt überhaupt nicht der Fall.
Kassel: Sie wollten schlicht und ergreifend es aufführen in ganz vielen Umkleidekabinen, in ganz vielen Stadien. Was haben die gesagt, warum scheint das jetzt nicht zu klappen?
de la Chevallerie: Also gestern erst habe ich ein Gespräch gehabt hier mit einem Göttinger Fußballverein, mit einem Vorstandsvorsitzenden, der mir sagte, dieses Thema spielt in seinem Kopf keine Rolle. Wichtig sei es, Sieg und Niederlage mit den Trainern zu besprechen, aber dieses Thema hat bei ihm in der Kabine keinen Platz.
Kassel: Was sagen Sie, wenn Ihnen jemand so was sagt?
de la Chevallerie: Ja, ich bin erschrocken, ehrlich gesagt, weil jetzt gerade nach Hitzlsperger ich doch der Meinung war, dass da auch in den Vereinen doch eine gewisse Verantwortung herrscht, auch bezüglich, wie Trainer mit dem Thema sensibel umgehen sollten.
Kassel: Gab's denn in Ihren Vorbereitungen, Ihren Kontakten eine Art Zeit vor Hitzlspergers und Zeit danach, hat sich irgendwas verändert auch in Niedersachsen dadurch?
de la Chevallerie: Na ja, also was sich natürlich massiv verändert hat, ist das Medieninteresse. Ansonsten hat sich eigentlich nicht viel verändert, weil auch nachher Kultur sehr interessiert ist, aber der Sport dann nach wie vor immer noch nicht.
Kassel: Man muss leider ganz klar sagen, dass Sie das jetzt im Jahnstadion aufführen, hat auch mehr mit der Stadt und mit der Verwaltung zu tun als mit dem Sport, oder?
de la Chevallerie: Richtig, genau. Also die Stadt, die vermietet die Sportanlagen, und die sind ein toller Kooperationspartner, aber die Sportvereine selbst sind noch kein bisschen auf uns zugekommen.
Kassel: Dann reden wir doch mal über das Stück. Vielleicht, wenn man mal ein bisschen gutmenschlich sein will, hat ja der eine oder andere Verein auch Angst gehabt vor dem Stück und hat sich gesagt, ah, wir wollen da nichts Wildes in unserer Umkleidekabine, "Steh deinen Mann", heute Abend Premiere. Ist das wild, haben die recht, wenn sie Angst davor haben?
de la Chevallerie: Nein, überhaupt nicht. Also erstens Mal ist das Stück ab zwölf, das heißt also, es wird dort nichts verhandelt, was irgendwie anzüglich sein könnte, und es ist auch eher eine Hinterfragung von uns selbst. Im Team ist keiner von uns schwul, und wir haben uns selbst hinterfragt, wie war das damals, als wir Fußball gespielt haben im Verein. Wie sind wir in der Kabine, unter der Dusche, was haben wir da für Sprüche losgelassen? Und das ist das, was wir untersuchen. Und mehr findet in dem Stück eigentlich auch nicht statt.
Kassel: Das fand ich sehr interessant. Ich hatte mir ganz am Anfang vorgestellt, na ja, da steht bestimmt ein schwuler Fußballer auf der Bühne oder meinetwegen in der Umkleidekabine. Das ist aber nicht so, die Hauptfigur ist ein heterosexueller Fußballer.
de la Chevallerie: Ganz genau, also darum geht es auch. Es geht darum, wie verhalte ich mich in der Gesellschaft gegenüber Menschen, die sich dann, wie wir jetzt auch erfahren haben eben, sehr verstecken müssen.
Kassel: Glauben Sie, dass Sie unter diesen Umständen, die Sie nun haben, also diese doch etwas mangelnde Bereitschaft der Vereine, zusammenzuarbeiten, dass Sie mit dem Stück die Leute erreichen, die Sie erreichen wollen?
"Die Lehrer sind da sehr interessiert"
de la Chevallerie: Also was sehr gut funktioniert, ist natürlich, dieses Stück an Schulen zu spielen, also da haben wir jetzt schon etliche Schulen gefunden, die das sehr gerne haben wollen. Ich bin mal gespannt, was passiert jetzt nach der Premiere. Einige wurden jetzt auch seitens des DFB auch ein bisschen drauf gestoßen, doch mal nachzufragen, ob wir es vielleicht dort spielen können. Aber ich bin gespannt, was passiert. Also an Schulen kein Problem, die Lehrer sind da sehr interessiert, aber in den Sportvereinen nach wie vor großes Fragezeichen.
Kassel: Jetzt hab ich einfach gesagt oder die Frage gestellt, glauben Sie, dass Sie die erreichen, die Sie erreichen wollen. Da hab ich ja eigentlich einen Zwischenschritt doch noch so ein bisschen weggelassen, nämlich die Frage, wen Sie erreichen wollen.
de la Chevallerie: Na ja, junge Menschen, also Jugendliche in der Pubertät, die noch gar nicht sich so genau darüber im Klaren sind, wo ihre sexuelle Orientierung eigentlich hingeht. Das ist, glaube ich, genau der Punkt, wo wir anfangen nachzudenken, weil da werden ja schon etliche Weichen gestellt und da ist auch Verhalten zu beobachten, was dann Menschen sehr verletzen kann.
Kassel: Wir reden heute hier im Deutschlandradio Kultur mit dem Regisseur Reimar de la Chevallerie über sein Stück, das Stück des Boat-People-Projektes aus Göttingen "Steh Deinen Mann!" über Homosexualität im Fußball, das heute seine Premiere erlebt in einer Umkleidekabine. Es gab Sportfunktionäre, die haben in dem Zusammenhang gesagt: Das ist eigentlich nichts, was den Sport wirklich angeht – nicht, weil es da keinen Schwulen gibt, sondern weil sich die Gesellschaft verändern muss, und dann verändert sich der Sport von alleine. Umgekehrt funktioniert's nicht. Können Sie mit dem Argument was anfangen?
de la Chevallerie: Na ja, wir haben die Erfahrung gemacht, dass wir sogar direkt darauf hingewiesen wurden, dass es keine Schwulen im Sport gibt. Also ich glaube, das ist noch ein ganzes Stück dramatischer, was dort uns entgegengebracht wurde. Uns wurde gesagt, auf dem Land gibt es keine schwulen Fußballer, wir sollen doch bitte schön in der Stadt bleiben, da könnte es eventuell eine Relevanz haben.
Kassel: Das heißt, die haben gesagt, bei uns nicht, gehen Sie zu Eintracht Braunschweig oder Hannover 96?
de la Chevallerie: Ganz genau.
Kassel: Aber trotzdem zu diesen Argument, da sind ja Leute schon weiter, wenn sie dieses Argument bringen, sagen, es gibt meinetwegen auch Schwule im Fußball, aber das ist kein Problem des Fußballs. Die Gesellschaft muss das Problem lösen und nicht die Vereine, nicht die Fans. Können Sie dem was abgewinnen?
de la Chevallerie: Nicht wirklich, weil der Fußball natürlich einfach einen wahnsinnig breiten Bereich in unserer Gesellschaft einnimmt. Das heißt, Jungs, die in der vierten Klasse in einen Verein gehen, da geht's los, und ich hab erlebt, jetzt in meinem direkten Bereich, von einem Jungen, der sich nach drei Tagen Training die Haare kurz geschnitten hat, weil alle zu ihm "Mädchen" gesagt haben. Also, ich finde das sehr relevant dort.
Kassel: Kommt so was in Ihrem Stück vor? Sie haben ja gesagt, es ist ab zwölf, das heißt, es gibt ja Grenzen, was Formulierungen und Sätze angeht, aber kommt wirklich auch Homophobie, auch ein bisschen ordinärere, schwulenfeindliche Sprüche kommen die vor in "Steh deinen Mann!"?
de la Chevallerie: Ja, aber es gibt eine Stelle, der Protagonist googelt quasi mal, was im Netz denn alles so zu finden ist an Begriffen für Homosexualität. Das geht, finde ich, ein wenig unter die Gürtellinie, aber wenn man Jugendliche und Kinder befragt, für die ist das Alltag.
"Seitens der Funktionäre passiert da relativ wenig"
Kassel: Wir haben gesehen, wie wenig – Sie können mir widersprechen, wenn Sie es anders sehen – wie wenig selbst Hitzlsperger am Ende bewegt hat mit seinem Outing. Es gab ganz großes Presserauschen, es gab Talkshows, gab Lob von Funktionären, die ja heute aber auch nichts weiter machen. Wie viel kann man da in Ihren Augen mit so einem Theaterstück bewegen?
de la Chevallerie: Schwierig. Natürlich muss der DFB natürlich auch reagieren, das heißt, er schickt uns zum Beispiel zur zweiten Vorstellung Jimmy Hartwig, der Integrationsbeauftragte ist, es wird eine Diskussion geben, aber ich glaube schon, dass man dieses Thema tatsächlich wirklich an der Basis angehen muss. Also seitens der Funktionäre passiert da relativ wenig, würde ich sagen.
Kassel: Es gibt in Ihrem Stück so viel ich weiß kein echtes Outing. Es gibt da ... also ein bisschen ist die Handlung ja, dass diese Hauptfigur den schwulen Superfußballer sucht. Und es gibt einen Zettel, auf dem ein Name steht oder auch nicht, der wird ja nicht gezeigt, es gibt nicht am Ende irgendwie als Höhepunkt ein Outing. Wie ist das in der Realität? Hitzlsperger hat sich geoutet, nachdem seine Profikarriere vorbei war – brauchen wir aktive Profifußballer, die sich outen?
de la Chevallerie: Ich glaube auf der einen Seite, natürlich. Weil Vorbildfunktion spielt immer eine große Rolle, aber letztendlich kommen wir mit unserem Projekt am Ende auf den Punkt, dass wir sagen, warum interessiert das uns eigentlich, warum wollen wir das überhaupt wissen. Also dieses Interesse, was auch seitens der Medien besteht, wirft diese ganze Problematik auf, also diese Sensation, wir wollen ihn wissen, wir wollen ihn sehen, verhindert natürlich auch, dass der, der es vielleicht ist, sagt, ich sag mal, ich bin's.
Kassel: Reimar de la Chevallerie war das. Sein Stück, das Stück vom Boat-People-Projekt aus Göttingen, heißt "Steh deinen Mann!", Premiere ist heute Abend in Göttingen im Jahnstadion. Morgen gibt es dann zwei weitere Aufführungen und noch einige mehr Ende des Monats und im Mai, genau nachlesen kann man das im Internet unter boat-people-projekt.de. Herr de la Chevallerie, vielen Dank und viel Erfolg!
de la Chevallerie: Ja, vielen Dank, danke schön!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.