Homosexualität

"Dieser Weg wird steinig sein"

Moderation: Philipp Gessler |
Die Bewertung von Homosexualität ist in christlich-bürgerlichen Kreisen derzeit ein großes Thema. Homosexuelle würden oft als Schuldige für die Erosion der klassischen Familie gesehen, meint der "taz"-Redakteur Jan Feddersen. Doch er gibt die Hoffnung nicht auf, dass sich selbst in der katholischen Kirche die Bewertung verändert.
Philipp Gessler: Die rot-grüne Landesregierung von Baden-Württemberg will in der Schule künftig stärker die sexuelle Vielfalt darstellen lassen – auch, welche unterschiedliche Formen des Zusammenlebens von Frauen und Männern es gibt. Dagegen wurde von einem Realschullehrer eine Online-Petition initiiert, die bereits rund 200.000 Unterstützer gefunden hat. Auch die beiden Volkskirchen protestieren gegen die Pläne Baden-Württembergs, das Thema Homosexualität im Unterricht aufzuwerten. Ähnliche Proteste christlicher Gruppen gab es gegen eine als Schullektüre verbreitete Novelle des Journalisten und Schriftstellers Dirk Kurbjuweit. Darin gibt es Sexszenen unter Jugendlichen – und nicht erheblich schien es dem Autor, ob sie nun hetero- oder homosexueller Natur sind.
Mit Jan Feddersen habe ich vor der Sendung darüber gesprochen, warum die Bewertung von Homosexualität – erinnert sei auch an das umstrittene Familienpapier der EKD im vergangenen Jahr – gerade in christlich-bürgerlichen Kreisen derzeit so ein großes Thema ist. Feddersen ist Redakteur der "taz" in Berlin, er ist Publizist und Kuratoriumsmitglied der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld. Der Zweck der Stiftung ist die Förderung von Bildung, Wissenschaft und Forschung, um unter anderem einer gesellschaftlichen Diskriminierung homosexueller Männer und Frauen in Deutschland entgegenzuwirken. Meine erste Frage an Jan Feddersen war: Warum ist Homosexualität für christliche Gruppen derzeit offenbar so ein rotes Tuch?
Jan Feddersen: Ich würde nicht sagen, dass es für christliche Gruppen ein rotes Tuch ist. Ich kenne so viele Christen und Christinnen in diesem Land, überhaupt sehr viele religiös inspirierte Menschen, die diese sehr unbehagliche Attacke einiger christlicher Gruppen in Baden-Württemberg ohnehin nicht gutheißen, auf jeden Fall missbilligen. Das ist eine Form von Zwiespalt in die Gesamtgemeinde hineintragen, die Menschen nicht guttut, sowohl den Zwiespaltern nicht als auch jenen, die sie meinen. Das sind Schwule, Lesben und Transsexuelle. Sie sprechen aber tatsächlich ein zutreffendes Problem an: Also, es gibt Menschen, die ein sehr starkes Unwohlsein empfinden. Denken Sie daran, dass ihre klassische Mann-Frau-Vater-Mutter-Kind-Funktionen als Familie, dass sie die bedroht sehen und dass sie das auf keinen Fall weiter bedroht sehen möchten. Und sie glauben, in Schwulen und Lesben Schuldige gefunden zu haben.
Und ich schätze aber, dass auf nächsten Kirchentagen, überhaupt in Gemeinden dieses Thema dringend erörtert werden muss, auch von jenen, die in der Kirche sind, sich engagieren im Namen Jesu Christi, die einfach finden, dass diese Initiative im Namen von ChristInnen nicht gutgeheißen werden kann. Man muss jetzt einen friedlichen Dialog finden und auch das müssen die Initiatoren der Petition in Baden-Württemberg dringend lernen. Sie müssen im Grunde genommen begreifen, dass man auch Darwins Evolutionslehre nicht einfach in den Schulfächern hinterfragen kann, sondern dass man … Man muss das vielleicht nicht religiös teilen, aber man muss wenigstens akzeptieren, dass die wirkliche säkulare Welt genau diesen Stoff auch unterbreiten muss.
"Man darf dem Verzagten nicht nachgeben"
Gessler: Wie kommt es, dass im Augenblick Homosexualität in christlichen Kreisen so ein großes Thema ist?
Feddersen: Das ist eine Bedrohung einer bestimmten – muss ich ja tatsächlich sagen, aber das ist das deutsche Normmodell –, einer bestimmten kleinbürgerlichen Vorstellung, die ungefähr in den frühen 50er-Jahren zu verorten ist. Also, ich berufe mich da eher auf meine christlichen Freundinnen und Freunde aus der schwedischen Kirche. Es gibt in Schweden seit fünf Jahren keine heterosexuelle Trauformel mehr und ich lehne auch im Grunde genommen das Sonderrecht, das der Bundestag Anfang dieses neuen Jahrtausends verabschiedet hat zu Partnerschaft, ab. Ich bin verheiratet und ich bin mit einem Mann verheiratet und ich kann nicht erkennen, was an einer Heirat von einem Mann mit einem anderen Mann oder von einer Frau mit einer Frau anders sein soll, als von einem Mann mit einer Frau oder umgekehrt.
Dass da jetzt Kinder dran hängen sollen, meinetwegen als – man könnte das lateinisch sagen – Potentialis, das muss ich zurückweisen, denn das hieße ja, wenn es nicht der Fall wäre, unsere Bundeskanzlerin Angela Merkel also für eine biblisch geurteilt Verfehlte zu halten, denn sie hat mit ihrem Mann nach allem, was man hört, eine gelingende Ehe, aber sie hat keine Kinder. Und auch das ist zu respektieren, wie auch Menschen, die sehr viele Kinder miteinander haben, in der Regel ja als Mann mit einer Frau, oder umgekehrt als Mutter mit einem Vater. Aber solche klassischen Familienmodelle gibt es selbstverständlich im schwulen oder im lesbischen Bereich auch.
Gessler: Manchmal hat man ja den Eindruck, es liegt auch eine gewisse Stadt-Land-Diskrepanz vor. Da es in der Stadt wahrscheinlich, weil es mehr Schwule gibt, die öffentlich auftreten, etwas leichter ist, sich an den Gedanken zu gewöhnen, dass es eben schwule Ehen gibt oder lesbische Ehen. Sehen Sie diese Diskrepanz auch?
Feddersen: Ich sehe die Diskrepanz, aber ich sehe sie nicht überall und ich kenne, wenn man so will, ängstliche, verzagte christliche Bedenken, geäußert in Metropolenzusammenhängen, und ich kenne das ganz aufreizend Aufbrüchige auch aus der Provinz. Ich habe sehr viele christliche Freunde und Freundinnen, die gerade aus dem kommen, wo sie leben, was Sie Provinz nennen, und das ist ganz vorzüglich, wie ein christliches Miteinander auch dort möglich sein kann. Übrigens auch über diese christlichen Gemeinden hinaus. Denn wir reden hier nicht von Sekten, wir reden hier von verantwortlichen, gemeindlichen Trägern in Dörfern, in, sagen wir mal, Nichtmetropolenverhältnissen, die tragen oft auch Verantwortung für ein ganzes Dorfleben. Und auch in diesen Dorflebenstrukturen können Schwule und Lesben sehr wohl integriert nicht nur werden, sondern auch bereits sein. Und dafür tragen viele Christinnen und Christen mit gerne Verantwortung.
Die Solidarität und auch das Äußern des Öffentlichen ist ja schließlich nicht alleine die Aufgabe von Schwulen und Lesben, sondern das Einstehen auch für die möglicherweise schwulen und lesbischen Kinder ist ja Aufgabe auch von klassisch biologischen Vätern und Müttern. Und ich kenne sehr viele Beispiele, wo das auch gelingt. Ich habe großen Respekt und es wärmt mein Herz auf, wenn ich denn den Ratsvorsitzenden Nikolaus Schneider höre, der die Angriffe, die teilweise sehr giftigen Angriffe gegen das EKD-Familienpapier zurückgewiesen hat. Und so, wie das eben für einen guten Vater einer großen Kirche gehört – es könnte ja auch eine Mutter sein, aber in dem Fall ist es ein Vater – hat er auf jeden Fall diesen giftigen Angriffen sich erwehren können. Und das hat mir sehr gut gefallen. Aber da gibt es ganz viele andere.
Und ich finde, man muss sich nicht nur immer mit dem Verzagten aufhalten, man darf dem Verzagten nicht nachgeben, das wäre ganz und gar gegen Jesus Christus. Das Verzagte ist eine Übung, die wir unbedingt auch in heutiger Zeit überwinden müssen. Und ich glaube, das wäre eine gute Botschaft, die man überall in unseren christlichen Zusammenhängen verbreiten könnte.
"Das Leben ist doch keine Generalprobe!"
Gessler: Manche Experten schätzen ja, dass ein Drittel, vielleicht sogar die Hälfte aller katholischen Priester homosexuell sind. Trotzdem ist gerade in der katholischen Kirche ja Homophobie weit verbreitet. Man kann das vielleicht auch in der Lehre so sehen. Wie erklären Sie sich das? Ist das im Grunde Hass auf etwas, was man verdrängen muss?
Feddersen: Aus einer protestantischen Tradition, aus der ich als Hamburger schon eher komme, nimmt man ja das Katholische – ich will jetzt hier nicht als katholenfeindlich begriffen werden, aber … – nimmt man das Katholische mit all diesem wunderbaren nachgerade postbarocken Pomp schon wahr als kaum unterscheidbar von dem, was man gewöhnlich Karneval nennt. Aber man muss auf jeden Fall die große Not um das Sexualmoralische in der katholischen Kirche ernst nehmen, übrigens auch in evangelikalen Kontexten in Afrika oder in den USA oder auch in Brasilien. Aber kommen wir jetzt auf die katholische Kirche zurück: Ja, der Stand des Priesters ist für viele Familien vor vielen Jahrzehnten, man könnte sagen, vor unserer heutigen Zeit, eine Möglichkeit gewesen, den irgendwann mal schwulen Söhnen ein würdiges Leben im klösterlichen Leben zu ermöglichen.
Und auch heute muss man sagen: Die Anwart auf Priesterschaft ist über sehr viele Jahrzehnte, gerade in der Nachkriegszeit, eine Möglichkeit gewesen, ein psychisch gesundes Coming-out nicht haben zu müssen. Man konnte quasi unter die Soutane schlüpfen und sagen, es geht mich irgendwie alles nicht an. Das sind natürlich auch Formen, gerade bei vielen Priestern, der Selbsthomophobie, des Selbsthasses. Und ich erlebe durch unseren neuen Papst Franziskus eine Form von Lockerung, man könnte sagen, eine Form von Basisbefühlung, die mir als Protestant jetzt auch gut gefällt. Aber die katholische Kirche hat auf jeden Fall einen starken Weg noch vor sich. Und ich glaube, dieser Weg wird steinig sein, aber diese Steine zu fühlen, wird gut sein für alle Beteiligten. Dann merkt man, welchen Weg man auch als Christ heute noch vor sich haben kann.
Gessler: Haben Sie wirklich Hoffnung, dass sich da etwas ändert, auch in Bezug auf den Vatikan, trotz dieser Worte des neuen Papstes? Weil, bisher sind es tatsächlich nur wenige Bemerkungen gewesen, die mit sehr viel Hoffnung dann aufgeladen wurden.
Feddersen: Konnte Jesus Christus hoffen? Hatte er nicht alle Gründe, die Hoffnung einzustellen? Nein, wir nähren uns von Hoffnung. Wir sollten nicht über Nahrung reden in einem engen ernährungswissenschaftlichen Sinne, sondern wir müssen hoffen und wir müssen eintreten. Und dafür ist ein Leben gut. Und man muss ja doch wirklich immer wieder sagen: Das Leben ist doch keine Generalprobe! Wir leben hier und wir haben für ein christliches Werk einzustehen. Und da hat man doch mindestens zu hoffen, was denn sonst?
Gessler: Herr Feddersen, Sie sind ja der führende Experte hierzulande für den Eurovision Song Contest. Und ich kann der Frage nicht widerstehen, Sie zu fragen: Was wäre denn ein guter Song aus der großen Tradition des Eurovision Song Contest, der unsere Situation vielleicht ganz gut beschreibt?
Feddersen: Ich würde sagen, dass man sich vielleicht in der Tradition der Nicole aus dem Saarland, die 1982 "Ein bisschen Frieden sang" und viele Deutsche zum Fremdschämen brachte damit und unseren ehemaligen Bundespräsidenten Johannes Rau übrigens zum Weinen, weil er so ergriffen war. Aber man sollte sich vielleicht an das Lied der Serbin Marija Serifovic halten, sie ist ein auch religiös, man könnte sagen, multikulturelles Produkt. Sie ist eine wunderbare Frau, sie hat 2007 in Helsinki mit dem Titel "Molitva" gewonnen. "Molitva" ist eine serbische Vokabel, die aber auch in allen anderen osteuropäischen Sprachen verstanden wird, und diese Vokabel heißt "Gebet". Ich würde sagen, ein deutsches Lied, das "Gebet" heißt, wäre schon alleine von der Sprachmelodie im europäischen Kontext ein bisschen, nun ja, sperrig. Aber ich glaube, dass Lieder, die auf ein Transzendentes verweisen, immer eine gute Chance haben auch bei diesem europäischen Wettstreit um das, was man die beste Tonspur nennen könnte. Was aber ganz sicher ist, dass eine Art von Hoffnung in jedem Lied liegt, das wir jeden Tag und jeden Morgen in uns tragen.
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