Ein schwerer Weg bis hin zur Akzeptanz
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Homosexuelle wurden in der Bundeswehr jahrzehntelang diskriminiert. Es gab unehrenhafte Entlassungen, Erpressungen, die Eignung als Vorgesetzte wurde ihnen abgesprochen. Die völlige Gleichstellung kam erst im Jahr 2000 – das Umdenken dauert an.
Dierk Koch war 20, als er 1962 zur Marine ging. Er hatte große Pläne, er wollte Berufssoldat werden. (*) Während seiner Ausbildung schaffte er einen Lehrgang nicht.
"Da ist dann dieser Obermaat zu mir gekommen, hat mir Hilfe angeboten. Und diese Hilfe entpuppte sich sehr schnell auf körperliche Zuneigung. Ich hatte bis dahin keinerlei Erfahrungen, aber irgendwie steckte es schon in mir drin, und ich habe es genossen."
Homosexualität als amtliche Krankheit
Doch bald schon gab es Probleme zwischen den beiden, erinnert sich der heute 78-Jährige. Dierk Koch ging zu seinem Kompaniechef, erzählte ihm alles und bat um Versetzung. Kurz darauf wurde er zu seinem Standortkommandanten befohlen.
"Der mir kurz und knapp sagte: ‚Soldaten der Marine, die in so etwas verwickelt sind, können wir nicht in die Welt hinausschicken.‘ ‚In so etwas verwickelt‘, das Wort Homosexualität kam ihm nicht über die Lippen. ‚Und übrigens werden Sie degradiert und unehrenhaft aus der Armee entlassen‘ An diesem Freitag um 12 Uhr mittags war ich obdachlos, mittellos und degradiert von der Bundeswehr."
Mit der geplanten Karriere bei der Marine war es damit schlagartig vorbei.
Homosexualität wurde in der Bundesrepublik der 60er-Jahren nicht nur im Militär medizinisch als Perversion angesehen, eine amtliche Krankheit. Das änderte sich mit der Strafrechtsreform 1969. Einvernehmlicher Sex erwachsener Männer, das Erwachsenenalter war damals 21, wurde entkriminalisiert. Aber nur im Zivilleben.
In der Bundeswehr sah das weiter anders aus, sagt Militärhistoriker Klaus Storkmann vom Zentrum für Militärgeschichte Potsdam und Autor der Studie "Tabu und Toleranz" zur Homosexualität in der Bundeswehr. "Da waren die Juristen der Meinung, die Entkriminalisierung des $ 175 ändert erst mal nichts an unserem Disziplinarrecht."
Eignung zum Vorgesetzten abgesprochen
Ab den 70er-Jahren galt dann bis zum Jahr 2000: Wehrpflicht ja, Karriere nein.
"Die Bundeswehr sprach also homosexuell erkannten Männern generell die Eignung zum Vorgesetzten ab. Und zwar pauschal und ohne Bewertung des Einzelfalls. Ausschlaggebend dafür war ein antizipierter, also angenommener Autoritätsverlust des als homosexuell bekannten Vorgesetzten."
Thomas Dein kam 1977 zur Bundeswehr, mit 19. Er verpflichtete sich und studierte Pädagogik, Psychologie und Politikwissenschaft an der Bundeswehrhochschule in München. 2018 schied er als Oberstleutnant nach fast 40 Jahren aus der Bundeswehr aus. Dass er homosexuell war, verschwieg er fast bis zum Schluss.
"Ich habe ein Doppelleben geführt, strikt zwischen Privat und Bundeswehr. Ich habe vermieden, mich zu sexuellen Orientierungen mich irgendwie zu äußern, und es war immer das Damoklesschwert über mir, so habe ich es empfunden, entdeckt zu werden, geoutet zu werden durch andere oder durch Vorgesetzte."
Möglichkeit zu Erpressung
Wenn man allerdings wie Thomas Dein als homosexueller Soldat in der Bundeswehr diente, ohne sich als solcher offen zu bekennen, sah der MAD, der militärische Abschirmdienst, eine Möglichkeit zu Erpressung für ausländische Dienste, erklärt Klaus Storkmann.
"Sie hatten im Grunde nur die Wahl, sich als Sicherheitsrisiko zu definieren, indem sie sich nicht outen, oder aber das Sicherheitsrisiko auszuschließen und sich offen bekennen, aber dafür dann den Job als Vorgesetzter zu verlieren."
Das absurde Verhalten der Bundeswehr zum Thema Homosexualität kulminierte dann 1983-84 in der sogenannten Kießling-Affäre. Innerhalb des Militärischen Abschirmdienstes kursierte das Gerücht, dass Günter Kießling, Vier-Sterne-General und stellvertretender Nato-Oberbefehlshaber homosexuell sei. Man habe ihn in einschlägigen Bars gesehen, hieß es.
Der General versicherte dem damaligen Verteidigungsminister Wörner, dass dem nicht so sei, was sich Jahre später auch herausstellte. Es nützte ihm nichts. Der General musste gehen. Spätestens jetzt war jedem Homosexuellen in der Truppe klar, wenn man sich hier outet, kann man nicht auf Verständnis hoffen.
Tabuisierung von Homosexualität
Trotzdem, oder gerade wegen der Kießling-Affäre, gab es aber ab Mitte der 80er-Jahre eine Art Blinde-Kuh-Spiel innerhalb der Bundeswehr. Der MAD hatte sich bei der Affäre so die Finger verbrannt, dass man das Thema Homosexualität möglichst vermeiden wollte. Es gab tausende Homosexuelle in der Armee, die auch Karriere machten. Es wusste auch jeder. Nur reden durfte man eben nicht darüber.
Bis zum Frühjahr 2000. Ein Leutnant der Luftwaffe, der auf Grund seiner homosexuellen Orientierung als Vorgesetzter abgelöst wurde, hatte geklagt und eine Verfassungsbeschwerde eingelegt. Das Bundesverfassungsgericht würde ihm Recht geben, das war klar. Die Militärführung allerdings, das zeigt die aktuelle Studie, beharrte auch in dieser Situation immer noch auf ihren diskriminierenden Regeln, erklärt Militärhistoriker Klaus Storkmann.
"Die Generäle, konkret der Generalinspekteur und die drei Inspekteure von Heer, Luftwaffe und Marine, haben dagegengehalten und haben vehement auf der Beibehaltung der bisherigen alten restriktiven Linie beharrt."
So blieb dem Verteidigungsminister angesichts der zu erwartenden Niederlage in Karlsruhe nichts anderes übrig, als sich gegen die Generäle zu stellen. In einer Rede vor dem Bundestag im März 2000 verkündete er die sofortige völlige Gleichstellung homosexueller Soldaten.
Erst 2017 begann ein Umdenken
Formal war damit die jahrzehntelange Diskriminierung abgeschafft. Die Wirklichkeit in der Truppe aber sah noch lange anders aus. Erst mit einem Seminar, das Verteidigungsministerin von der Leyen 2017 auf höchster Ebene ansetzte, begann ein wirkliches Umdenken, meint Fregattenkapitän Alexander Schüttpelz, einer der derzeit höchstrangigen Soldaten, der sich als aktiver Soldat offen zu seiner Homosexualität bekennt.
"Die Ministerin hat letztendlich die Inspekteure und zwar alle Inspekteure in gewissen Sinne kann man sagen gezwungen, an dem Tag anwesend zu sein und sich mit dem Thema ernsthaft auseinanderzusetzen. Das war tatsächlich ein Novum."
Und jetzt kündigte Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer ein Gesetz an, dass betroffene Soldaten auch finanziell entschädigen soll. Viel wichtiger aber sei etwas anderes, fand der 78-jährige Dierk Koch bei der Vorstellung der Studie in Anwesenheit der Ministerin.
"Nochmal einen ganz herzlichen Dank dafür, dass Sie sich entschuldigt haben bei mir. Das ist sehr viel mehr wert als eine finanzielle Entschädigung. Natürlich lehne ich die nicht ab, aber dieses Symbolische, dass es etwas Falsches war, was geschehen ist und dass mein Leben nicht falsch war, das ist so viel wichtiger."
(*) Wir haben an dieser Stelle eine inhaltliche Korrektur bzgl. der Berufswahl vorgenommen.