Honeckers Asyl in Lobetal
Pastor Uwe Holmer gewährte Erich und Margot Honecker Asyl in seinem Pfarrhaus in Lobetal. © picture alliance / dpa | Bernd Wüstneck
"Ich würde es wieder tun"
07:17 Minuten
Es ist eine Ironie der Geschichte, dass ausgerechnet die Kirche Erich Honecker in den letzten Tagen der DDR Asyl gewährte. Mit seiner Frau floh er aus Berlin ins beschauliche Lobetal. Dort hatte man Sorge vor Lynchjustiz, erinnern sich Zeitzeugen.
"Er war oben - das ist alles schön neu gemacht worden hier - wahrscheinlich nach hinten raus."
Die Lobetaler Hans-Günther Hartmann und Reinhardt Kunze stehen vor dem weiß getünchten, unscheinbaren Pfarrhaus. Also dem Haus, in dem 1990 das Ehepaar Honecker Unterschlupf gefunden hatte. Und die beiden Herren rätseln, ob die Honeckers nun nach vorne oder hinten raus gewohnt haben. Lange her, sagt der 64-Jährige Hans-Günther Hartmann, der aktuelle Ortsvorsteher.
"Ist kein Thema mehr. Wir erinnern uns daran, aber es ist nicht das prägende Merkmal für Lobetal. Das ist ganz klar. Aber damals, klar war es ein Meilenstein, eine Zäsur für den Ort."
Im Fokus der Weltöffentlichkeit
Gegründet wurde Lobetal Anfang des letzten Jahrhunderts, als Arbeiterkolonie "Hoffnungstal". Um ursprünglich obdachlosen Berlinern ein Dach über dem Kopf zu geben. Heute ein märkisches, fürsorgendes Dorf. Mit einer Vielzahl von Pflegeeinrichtungen, die zum Verbund der kirchlichen Bethel-Stiftung gehören.
1990 stand Lobetal plötzlich für eine kurze Zeit im Fokus der Weltöffentlichkeit, als man auf Vermittlung von Rechtsanwalt Wolfgang Vogel - der am Freikauf von 33.000 Häftlingen zu DDR-Zeiten beteiligt war und als "Menschenhändler" dafür später heftig kritisiert wurde - und dem späteren Ministerpräsidenten Brandenburgs Manfred Stolpe für die Honeckers ein Asyl suchte.
"Honecker sollte an einen Ort kommen, der abgeschieden von der Öffentlichkeit ist. Und da ist man auf Lobetal gekommen", erinnert sich Hans-Günther Hartmann.
Angst vor fremden Besuchern
Damals war er als Landwirt bei den, wie sie früher hießen, Hoffnungstaler Anstalten beschäftigt. Die Honeckers selbst hat er nie gesehen. Habe er sich auch nie drum gerissen, schiebt er hinterher.
- "Und wir waren froh, als die wieder weg waren."
- "Wieso?"
- "Ja, weil dann wieder Ruhe einkehrte. Die fremden Besucher, die hier waren - vor denen hatten wir schon Angst, muss ich sagen."
- "Wieso?"
- "Ja, weil dann wieder Ruhe einkehrte. Die fremden Besucher, die hier waren - vor denen hatten wir schon Angst, muss ich sagen."
Sorge vor Lynchjustiz
Man fürchtete Übergriffe auf das Pfarrhaus, sorgte sich, dass Menschen gar zur Lynchjustiz greifen könnten, erinnert sich Hans-Günther Hartmann. Weshalb man sich auch zu Wachen verabredete und vor dem Pfarrhaus Streife gelaufen ist, um es zu schützen.
"Wir sind hier immer auf und ab patroulliert. Nicht als Wächter, aber als Menschen, die versucht haben, Situationen zu entschärfen. Ist aber zum Glück nicht passiert, dass wir eingreifen mussten."
Auf die Polizei war damals kein Verlass. Eine Bombendrohung gab es, erinnert sich Hartmann. Als das Haus anschließend nach verdächtigen Gegenständen durchsucht wurde, mussten alle raus. Bis auf die Honeckers, die blieben in ihrem Zimmer, verließen nicht das Pfarrhaus. Aus Angst vor Anfeindungen.
Honecker auf die Fresse hauen
Diskussionen mit der Öffentlichkeit wollten sie sich anscheinend nicht aussetzen. Etwa 3.000 empörte Briefe sollen nach Lobetal geschickt worden sein. Am Ende ist aber alles mehr oder weniger ruhig geblieben. Gott sei Dank, ergänzt der frühere Krankenpfleger Reinhardt Kunze. Eine Begegnung ist ihm allerdings bis heute im Kopf geblieben.
"Ein mir unbekannter Fremder, der hier in Lobetal was zu tun hatte – ich kann mich noch erinnern, der stand hier auf der Straße – und dann hat er gesagt: So jetzt gehe ich erstmal dem Honecker eins auf die Fresse hauen. Das war das einzige Erlebnis, wo jemand Aggressionen geäußert hat."
Das Kirchenasyl der Honeckers geht letztlich auf die Kappe des damaligen Lobetaler Pastors Uwe Holmer. Heute: 92 Jahre alt. Er lebt in Serrahn, in der Nähe von Güstrow in Mecklenburg-Vorpommern.
"Vaterunser" gebetet
Aus Corona-Gründen kann ich ihn nur per Telefon erreichen. Nach der Anfrage, ob man dem Ex-Regimechef Erich Honecker und seiner Frau Margot Honecker, der früheren Volksbildungsministerin, Obdach geben könne, habe er sich damals sofort mit seinen Mitarbeitern verabredet: "Und wir haben drei Stunden diskutiert, ob wir das machen wollen oder nicht, weil wir wussten: Das kann auch Unruhe geben. Und da hieß es erst: 'Machen wir nicht.' Aber dann haben wir überlegt, wir beten jeden Sonntag in unserer vollbesetzten Kirche damals: 'Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern'. Dann sagten wir: 'Wir können doch nicht das Vaterunser beten und dann tun wir das nicht.' Und nach drei Stunden waren wir einstimmig bereit: 'Ja, wir wollen das.'"
Im Schutz der Dunkelheit eingetroffen
Um aber keinem Pflegebedürftigen einen Platz in einer der Lobetaler Einrichtungen weg zu nehmen, sind die Honeckers in das Haus zu Pastor Holmer gezogen und haben in den Kinderzimmern gewohnt, also in den Zimmern derjenigen - das ist die Ironie der Geschichte -, die zu DDR-Zeiten kein Abitur machen durften, weil es das SED-Regime nicht wollte. Aber klar, sagt Holmer noch, er würde den Honeckers wieder Asyl geben.
Pastor Holmer kann sich noch gut an die ersten Momente erinnern, als die Honeckers im Schutz der Dunkelheit, am Abend des 30. Januars 1990 in Lobetal im Pfarrhaus eintrafen.
"Der Chefarzt, der ihn operiert hat, war auch dabei und sagte zu mir: 'Versuchen Sie mit ihm an die frische Luft zu gehen, er ist wirklich noch krank, braucht frische Luft und Ruhe.' Dann waren alle weg. Dann sagte ich zu Honeckers: 'Wir essen jetzt Abendbrot, bitte kommen Sie zu Tisch.'"
Honecker faltet Hände zum Gebet
Und Uwe Holmer hat das übliche Tisch-Gebet gesprochen und erinnert sich: "Und da haben sie die Hände gefaltet, den Kopf gebeugt, so wie man das beim Beten macht. Was sie gedacht haben, war mir egal."
Man meint aus der Stimme fast ein klein wenig Triumph zu hören. Dass der einst mächtige Mann, der auf die Bedürfnisse der Menschen in der DDR nur kaum zuging, nun ausgerechnet bei einem Pastor – in der Kirche - Unterschlupf gefunden hat, einer Institution, die das SED-Regime immer bekämpft hat.
Eine Plakette wäre der Ehre zu viel
31 Jahre später ist heute von der damaligen Unruhe in Lobetal nichts mehr zu spüren. Es war eine Fußnote der Geschichte, sagt Ortsvorsteher Hans-Günther Hartmann. Eine Plakette oder ein Schild, das an den Aufenthalt der Honeckers erinnert gibt es nicht. Das sei der Ehre zu viel, meint Hartmann.
"Ich denke, dass es richtig war, dass er – Holmer – es gemacht hat. Das denke ich schon. Aber ich bin froh, dass die Zeit vorbei ist, aber auch, dass die Zeit unter Honecker vorbei ist. Ganz klar. Wir können uns glücklich schätzen, dass wir diese Wende erlebt haben, dass es so gekommen ist, dass die Einheit wieder hergestellt ist."