Eine Stadt im Protestmodus
25:24 Minuten
Hongkong erlebt gerade die schwerste politische Krise, seit es unter chinesischer Sonderverwaltung ist. Drei Monate protestieren die Hongkonger nun schon gegen den Einfluss vom Festland. Eine Lösung der aufgeheizten Situation ist nicht in Sicht.
"Auf geht’s!", rufen die Demonstranten im Chater Garden im Hongkonger Stadtteil Central und "Weitermachen!". Immer wieder erklingt auch der kantonesische Spruch "Gaa jau!", der so viel bedeutet wie "Gas geben!" oder "Loslegen!". Dieser Schlachtruf hat sich in den vergangenen Wochen zu einer Art inoffiziellem Motto der Hongkonger Massenproteste entwickelt.
Der kleine Park liegt unmittelbar im Hongkonger Finanzviertel, eingerahmt von riesigen Hochhäusern. Nur 100 Meter entfernt steht der Bank-Of-China-Turm: Der knapp 370 Meter hohe Wolkenkratzer ist mit seiner aus dreieckigen Elementen bestehenden Glas- und Stahl-Fassade eines der Wahrzeichen der Finanzmetropole.
Protest im Schatten der Bankentürme
Protest-Teilnehmerin Pamela geht seit Anfang Juni auf die Straßen, erzählt sie. Die 33-Jährige ist mit einigen Freundinnen zur Demo im Schatten der Bank-Hochhäuser gekommen.
"Wir erleben, wie unsere neue Kolonialmacht China immer stärker Kontrolle ausübt auf Hongkong", sagt Pamela. "Und deswegen nutzen wir die Gelegenheit und protestieren hier auch für Demokratie und gegen die autoritären Machthaber."
Einige Kilometer weiter nördlich, auf der anderen Seite des Hongkonger Hafens, im Arbeiter- und Wohnviertel Mong Kok: Hier sieht die Siebeneinhalb-Millionen-Einwohnerstadt Hongkong völlig anders aus: Statt glitzernder Hochhäuser prägen triste Plattenbau-Wohnblocks sowie enge und dunkle Straßenzüge das Bild. Doch auch hier erklingen die Schlachtrufe der Protestbewegung.
Linda Won arbeitet in der Marketingabteilung einer kleinen Firma in Hongkong. "Wir demonstrieren weiter. Jede Woche, jeden Tag gehen wir auf die Straße", erzählt die 25-Jährige, die mit zwei Kolleginnen zur Demo in Mong Kok gekommen ist.
"Wir wollen, dass sie das Gesetz zurückzieht", erzählt Linda. Was sie damit meint, ist das von Hongkongs Regierungschefin Carrie Lam geplante Auslieferungsgesetz. Dieses hoch-umstrittene Vorhaben war Anfang Juni der Auslöser für die Massenproteste.
Widerstand gegen geplantes Auslieferungsgesetz
Das Gesetz sollte es möglich machen, Verdächtige von Hongkong nach Festlandchina zu überstellen. Dort gibt es – anders als in der autonom regierten Sonderverwaltungsregion Hongkong – keine Rechtsstaatlichkeit. Entsprechend heftig regte sich in allen Bevölkerungsschichten Hongkongs Protest gegen das Auslieferungsgesetz. Bei einer viel beachteten Pressekonferenz Anfang Juli erklärte Carrie Lam das umstrittene Gesetzesvorhaben für tot.
Formell zurückgezogen hat die von Chinas Staats- und Parteiführung eingesetzte Regierungschefin das Gesetz allerdings noch nicht. Deswegen bleibt die offizielle Rücknahme des Gesetzesvorhabens eine der Kernforderungen der Hongkonger Demonstranten, die seit Anfang Juni auf die Straßen gehen.
Doch längst geht es den Menschen in der chinesischen Sonderverwaltungsregion um viel mehr. Es geht ums große Ganze. Um die Frage, wie es mit der früheren britischen Kolonie weitergeht, die zwar seit 22 Jahren nach dem Prinzip "Ein Land, zwei Systeme" autonom regiert wird, die aber immer stärker unter den Druck der kommunistischen Staats- und Parteiführung in Peking gerät.
Autonom in einem autoritärem Staat?
Willy Lam, Politologe am Zentrum für Chinastudien der Chinese University of Hong Kong. Er nennt das, was gerade in Hongkong passiert, eine kolossale Konfrontation zweier Ideologien von Jahrhundertrang.
"Hongkong ist ein Teil Chinas, einem äußerst autoritären Staat also, in dem es keinerlei Demokratie und Bürgerrechte gibt", erklärt Willy Lam. "Aber: Hongkong ist als Sonderverwaltungsregion autonom und genießt deswegen weitreichende Autonomierechte wie Meinungsfreiheit, Rechtsstaatlichkeit, und so weiter. Chinas Staatschef Xi Jinping allerdings greift seit seinem Machtantritt vor fast sieben Jahren die Hongkonger Autonomie an - konsequent und unerbittlich."
Tatsächlich hat sich Chinas Staats- und Parteiführung in den vergangenen Jahren massiv eingemischt in die Belange der autonom regierten Stadt. So nahm sie immer wieder Einfluss auf Lehrpläne und die Kulturszene: Kritisches Denken soll den Hongkongern offensichtlich ausgetrieben werden. Sie ließ außerdem unbequeme Buchhändler und Geschäftsleute verschleppen und pro-demokratische Abgeordnete aus dem Hongkonger Parlament werfen.
Und mit mehreren umstrittenen Infrastrukturprojekten sorgte die Führung in Peking dafür, dass die Hongkonger Regierung Milliarden Euro für eine dutzende Kilometer lange Meeresbrücke und eine Schnellbahn-Trasse ausgeben musste, statt das Geld in Bildung und Armutsbekämpfung zu stecken.
Heftigere Krise als die Regenschirm-Proteste
Im 28. Stockwerk eines der Hochhäuser im Hongkonger Zentrum befindet sich das Büro von Kevin Lai. Er ist Chef-Ökonom der japanischen Investmentbank Daiwa Capital Markets in Hongkong.
Eine nie dagewesene politische Krise spiele sich in Hongkong gerade ab, sagt Kevin Lai. So etwas habe er während seiner 25-jährigen Karriere in der Finanzmetropole noch nicht erlebt. Die derzeitigen Proteste seien nochmal deutlich größer und umfänglicher als die so genannten Regenschirm-Proteste, bei denen vor fünf Jahren vor allem Studierende wochenlang für mehr Demokratie in Hongkong auf die Straßen gingen.
"Die jetzige Bewegung bringt auch Vertreter der Hongkonger Mittelschicht auf die Straße", sagt Kevin Lai. "Das sind nun also ganz andere Teilnehmer als vor fünf Jahren. Dieses Mal kommen auch ältere Leute, mit grauen Haaren. Und auch viele Banker, Angestellte, Juristen und so weiter machen mit. Das hier ist nun also weit mehr als eine reine Studentenbewegung."
"Zumindest das Auslieferungsgesetz formell zurücknehmen"
Kevin Lai macht keinen Hehl daraus, dass auch er inhaltlich mit einigen der Forderungen der Demonstranten sympathisiert. Und das gelte für viele Geschäftsleute in seinem Umfeld.
"Selbst Geschäftsleute, die eigentlich der Zentral-Regierung in Peking nahestehen, machen sich inzwischen so ihre Gedanken", sagt er. "Um die Krise einzugrenzen, sollte die Hongkonger Regierung zumindest das Auslieferungsgesetz formell zurücknehmen. Und sie sollte das Vorgehen der Polizei in den vergangenen Wochen untersuchen lassen."
Das umstrittene Vorgehen der Polizei von einem unabhängigen Gremium untersuchen zu lassen, das ist neben der Rücknahme des China-Auslieferungsgesetzes und der Forderung nach freien Wahlen eine der Kernforderungen der Demonstranten. Denn das Misstrauen vieler Hongkonger gegenüber den Einsatzkräften sitzt tief.
Früher war das mal anders: Noch Jahre nach der Übergabe der Stadt von Großbritannien an China Mitte 1997 genoss die Polizei ein ausgesprochen positives Image. Von "Asia’s Finest" war immer wieder die Rede, wenn über die Hongkonger Polizei gesprochen wurde, von den "Edelsten in Asien" also. Doch dann kam der 21. Juli dieses Jahres und mit dem Grundvertrauen der Hongkonger in ihre Polizeikräfte war es schlagartig vorbei.
An einer U-Bahn-Haltestelle im Hongkonger Stadtteil Yuen Long griffen bis zu einhundert weiß gekleidete Männer Passanten an, darunter viele Anti-Regierungsdemonstranten, aber auch zufällig anwesende Familien, Rentner und eine schwangere Frau. Die weiß gekleideten Männer - vermutlich aus dem Umfeld der organisierten Kriminalität - schlugen mit Metallstangen, Schlagstöcken und Bambus-Ruten rund 30 Minuten lang auf die wehrlosen Menschen ein: auf Rolltreppen, Bahnsteigen und sogar in U-Bahn-Waggons. Mehr als 40 Menschen wurden teils schwer verletzt, es brach eine Panik aus, wie auf dieser Videoaufnahme eines der Opfer zu sehen und hören ist, sie wurde vom Sender "Channel News Asia" veröffentlicht.
Grundvertrauen in Hongkonger Polizei wurde verspielt
Eines der Opfer der Schläger-Attacke, der 23-Jährige Calvin So, erzählte einige Tage danach einem Reporter der Nachrichtenagentur Reuters: "Das war wirklich gruselig. Die haben mich angegriffen mit Stöcken und Ruten. Hier, sehen Sie, mein Rücken ... alles ist voller Blutergüsse und Prellungen. Ich hatte einfach nur Angst."
Das Entscheidende: Die Polizei kam den Opfern erst nach Ende des brutalen Angriffs zu Hilfe, obwohl laut einem Zeitungsbericht während des Übergriffs mehr als eintausend Notrufe eingegangen waren. Recherchen Hongkonger Medien belegen außerdem, dass die Einsatzkräfte nicht nur absichtlich zu spät zum Tatort kamen, sie zeigen auch, dass die Hongkonger Polizei die Schlägertrupps mindestens tolerierte, wenn nicht sogar mit ihnen zusammengearbeitet hat. Viele Hongkonger sind davon überzeugt, dass die Hauptverantwortlichen für den Vorfall in Peking sitzen.
Tatsächlich sei es kein Geheimnis, dass Chinas Staats- und Parteiführung in Hongkong mit Gruppen aus dem Umfeld des Organisierten Verbrechens zusammenarbeite, sagt Wissenschaftler Adam Ni. Er ist China-Sicherheitsexperte an der Macquarie-Universität im australischen Sydney.
"Diese Verbindungen und Netzwerke bestehen seit mehreren Jahrzehnten", erklärt Adam Ni. "Die Führung in Peking hat sie noch zu britischen Kolonialzeiten aufgebaut, und zwar, um Einfluss auf Hongkong zu nehmen."
Eine Regierungschefin mit fehlender Glaubwürdigkeit
Die pro-festlandchinesische Hongkonger Regierung hat jegliche Verbindungen zum Schläger-Trupp an der Haltestelle Yuen Long zurückgewiesen. Regierungschefin Carrie Lam: "Jeder Vorwurf, dass unsere Regierung oder unsere Polizei irgendetwas mit den Angreifern zu tun haben könnten, ist völlig unbegründet".
Weite Teile der Hongkonger Bevölkerung halten das allerdings für eine dreiste Lüge. Entsprechend schwindet das Vertrauen der Menschen in die Polizei.
Auch bei den Anti-Regierungsdemos wenden die Einsatzkräfte nach Meinung der Protestierer seit Wochen immer wieder unverhältnismäßig viel Gewalt an. Sie verweisen zum Beispiel auf einen Vorfall vom 31. August, der sich im Stadtteil Kowloon ereignete – ebenfalls in einer U-Bahn-Station. Auch diese Szene wurde von Umstehenden per Smartphone gefilmt und ins Netz gestellt, zum Beispiel vom Hongkonger Reporter Pakkin Leung.
Zu sehen ist, wie ein gutes Dutzend Polizisten in Kampfmontur einen Bahnsteig in der Metro-Station abriegelt. Auf den Gleisen steht abfahrtbereit ein Zug, die Türen sind geöffnet. Die Polizisten sind offenbar auf der Suche nach Teilnehmern einer verbotenen Demonstration, die in den Stunden zuvor in der Nähe der fraglichen Metro-Station namens Prince Edward stattgefunden hatte.
Pfefferspray und Schlagstöcke gegen Menschen in der U-Bahn
Die Polizisten schnappen sich zunächst wahllos Passagiere, die auf dem Bahnsteig unterwegs sind. Dann sprühen sie aus kurzer Distanz Pfefferspray in die Waggons, stürmen diese schließlich und prügeln mit äußerster Wucht mit ihren Schlagstöcken auf Frauen und Männer ein, die in den Waggons sitzen.
Es sind äußerst verstörende Video-Aufnahmen. Sie sind seit dem Vorfall am 31. August eines der Top-Gesprächsthemen in Hongkong. Die Reaktionen der Menschen schwanken zwischen Entsetzen, Trauer und Wut.
Immerhin: Die Pressefreiheit ist noch intakt in der autonom regierten Stadt. So sind diese und viele ähnliche Aufnahmen an die Öffentlichkeit geraten. Die Zivilgesellschaft funktioniere noch, betonen so auch viele Hongkonger.
Einer Befragung der Hong Kong University zufolge fordert eine deutliche Mehrheit der Menschen in Hongkong inzwischen eine unabhängige Untersuchung der Polizeigewalt der vergangenen Wochen.
Keine unabhängige Untersuchung der Polizeigewalt
Regierungschefin Carrie Lam lehnt das strikt ab. Sie verteidigt die Polizeikräfte immer wieder ausdrücklich. So sagte sie Mitte August auf einer Pressekonferenz:
"Der Polizei fällt es seit zwei Monaten sehr schwer, Recht und Ordnung in Hongkong aufrechtzuerhalten und durchzusetzen. Offensichtlich arbeitet unsere Polizei derzeit unter sehr schwierigen Bedingungen. Außenstehende – mich eingeschlossen – können Polizeieinsätze nicht beurteilen. Schon gar nicht in solch besonderen Situationen, wenn Polizisten Entscheidungen vor Ort treffen müssen, um die Menschen in der Umgebung zu schützen."
Die von Chinas Staats- und Parteiführung eingesetzte Regierung Hongkongs sieht die Schuld für eine Zunahme der Gewalt klar bei den Demonstrantinnen und Demonstranten. Die Protestierer seien es, von denen die Gewalt ausgehe. Und tatsächlich gibt es unter den weit mehr als einer Million Menschen, die in den vergangenen Wochen gegen den Kurs der Regierung auf die Straßen gegangen sind, einen harten Kern von Gewaltbereiten. Sie treten vor allem nach den friedlichen Demos in Erscheinung.
Eine abendliche Szene im zentralen Hongkonger Stadtteil Wan Chai. Rund 50 Vermummte haben eine vierspurige Straße blockiert. An einer Straßenbahn-Haltestelle reißen sie Metall-Begrenzungszäune aus den Verankerungen. Aus diesen Zäunen, riesigen Bambusstangen und Müllcontainern errichten die Frauen und Männer in Windeseile Straßensperren.
Radikale Protestierer suchen Konfrontation mit Polizeikräften
Beim Errichten von Straßensperren bleibt es allerdings meistens nicht. Vor allem an den vergangenen Wochenenden haben die radikalen Protestierer immer auch die Konfrontation mit der Polizei gesucht. So auch wie viele friedliche Demonstranten sind auch sie meist schwarz gekleidet und maskiert. Zusätzlich tragen sie häufig Integralhelme und Schutzkleidung aus dem Mountainbike- oder Klettersport: Rückenprotektoren und Ellbogenschützer zum Beispiel.
Mit Baseballschlägern, Steinschleudern und seit kurzem auch Brandsätzen gehen sie auf die Einsatzkräfte los. Zuletzt zündeten sie mehrfach Straßen-Barrikaden an und randalierten in öffentlichen Gebäuden.
Die Hongkonger Polizei reagiert oft mit Pfefferspray und vor allem Tränengas. Das wiederum verletzt regelmäßig auch Unbeteiligte: friedliche Demonstranten, Anwohner und Passanten etwa. Seit Ende August setzt die Hongkonger Polizei auch Wasserwerfer ein. Zum Teil bespritzt sie damit Teilnehmer nicht genehmigter Protest-Aktionen mit blauer Farbe, um die Frauen und Männer später besser identifizieren und juristisch verfolgen zu können.
Genau diese Szenen sind es, die in den vergangenen Wochen weltweit bei Nachrichtenportalen und Fernsehsendern zu sehen waren.
"Die Leute hier haben einfach genug"
Auch einige der friedlichen Demonstranten sympathisieren mit den gewaltsamen Aktionen radikaler Protestierer. Verantwortlich für die Gewalt seien letztlich Carrie Lam, ihre Hongkonger Regierung sowie die chinesische Führung in Peking, sagt dieser Anwohner aus dem Stadtteil Wan Chai, der lange in den USA gelebt hat, seinen Namen aber nicht nennen will.
"Ganz ehrlich", sagt er, "wenn die das Auslieferungsgesetz schon im Juni zurückgezogen hätten, wäre das alles nicht passiert. Die Leute hier haben einfach genug."
Angesprochen auf die Gewalt einiger Demonstranten entgegnet der 30-Jährige: "Was denn bitte für eine Gewalt. Haben die etwa Pistolen dabei? Zünden sie Geschäfte oder Autos an? Von was für einer Gewalt sprechen wir denn hier? Vergleichen wir das doch mal mit Ausschreitungen in den USA oder Europa. Hast du hier eingeschlagene Schaufenster gesehen? Wurde auch nur ein einziges Geschäft geplündert?"
Auch ohne geplünderte Geschäfte und brennende Autos: Die Bilder der Straßenschlachten und die der sich mit Polizisten prügelnden Demonstranten zeigen immer häufiger Situationen, die komplett eskalieren. Chinas Staats- und Parteiführung macht sich das zunutze. Die allesamt staatlich kontrollierten Medien Chinas berichten im Bezug auf die Proteste ausschließlich über Ausschreitungen und Gewalt.
Chinas Staatsführung macht sich Eskalation zunutze
Sie stellen Hongkong als eine Stadt dar, die im Chaos zu versinken droht. Dass das nicht der Fall ist und dass eine große Mehrheit der Menschen in Hongkong nach wie vor absolut friedlich gegen den Kurs der Regierung demonstriert, erwähnen die Medien in Festlandchina mit keinem Wort. Schon gar nicht sprechen sie über die Gründe der Demonstrationen. Ein Fernsehsprecher des Hauptnachrichtensenders CCTV:
"In den vergangenen Tagen hat der Mob in Hongkong erneut extreme Gewalt angewendet, Polizisten angegriffen und die öffentliche Ordnung gestört, zum Beispiel in der U-Bahn und am Flughafen. Die Staats- und Parteiführung verurteilt das und kommt zu dem Schluss, dass die extreme Gewalt in Hongkong inzwischen Formen des Terrorismus annimmt."
Ein Ausweg aus der Lage ist derzeit nicht absehbar. Im Gegenteil: Immer häufiger verbietet die von Pekings Führung abhängige Hongkonger Regierung inzwischen Demonstrationen.
Dadurch werden alle, die trotzdem auf die Straßen gehen, automatisch kriminalisiert. Der Politologe Willy Lam: "Wir werden erleben, dass noch mehr Protestierer festgenommen und vor Gericht gestellt werden, wegen 'Aufruhrs'. Das ist ein schwerwiegendes Verbrechen, darauf stehen mehrere Jahre Gefängnis."
Peking will juristisches Exempel statuieren
Auch mehrere prominente Köpfe des pro-demokratischen Lagers wurden in den vergangenen Tagen angeklagt und teilweise festgenommen. Joshua Wong etwa, einer der Organisatoren der so genannten Regenschirm-Proteste von vor fünf Jahren, der bei den derzeitigen Massenprotesten eigentlich nur eine Nebenrolle spielt.
Zwar kam der 22-Jährige noch am Tag seiner Festnahme auf Kaution wieder auf freien Fuß, doch seine Festnahme am 30. August war symbolisch wichtig. Sie deutet nach Ansicht von Beobachtern darauf hin, dass Chinas Staats- und Parteiführung Schuldige braucht, an denen sie ein juristisches Exempel statuieren kann.
Willy Lam vom Zentrum für Chinastudien der Chinese University of Hong Kong:"Die Lösung für das Hongkong-Problem liegt bei Xi Jinping und der Staats- und Parteiführung. Wenn diese willens ist, den Konflikt friedlich beizulegen, braucht sie Carrie Lam und die Hongkonger Verwaltung einfach nur anzuweisen, auf die Demonstranten zuzugehen. Sie könnten zum Beispiel einen Dialog über die Frage starten, wie das politische System Hongkongs demokratisiert werden kann. Die Wahrscheinlichkeit, dass Peking mit der Pro-Demokratiebewegung sprechen will, ist allerdings nicht besonders groß."
Und das ist noch sehr vorsichtig formuliert. Aus Sicht der meisten politischen Beobachter ist es undenkbar, dass Chinas Staats- und Parteiführung auf die Demonstranten in Hongkong zugeht. Denn in der Genetik der Kommunistischen Partei Chinas seien Kompromisse und Entgegenkommen ganz einfach nicht vorgesehen. Die einzigen Werkzeuge, die Chinas Führung zur Verfügung habe, seien Kompromisslosigkeit, Unterdrückung und Gewalt, lautet ein häufig gehörtes Argument.
Regierungschefin räumt eigene Machtlosigkeit ein
Ende August traf sich Hongkongs Regierungschefin Carrie Lam mit internationalen Wirtschaftsvertretern, um über Krise in der autonom regierten Stadt zu sprechen. Das Treffen war eigentlich als vertraulicher Gedankenaustausch geplant – doch mindestens einer oder eine am Tisch nahm das Gespräch auf und schickte es der Nachrichtenagentur Reuters. Die veröffentlichte den Tonmitschnitt – und der hat es in sich.
Denn Carrie Lam räumte in dem Gespräch ein, dass selbst sie, die Regierungschefin, nicht davon ausgehe, dass sie noch irgendetwas Wichtiges zu melden habe - in Hongkong: "Viele Leute vertrauen darauf, dass ich eine Lösung für diese Krise habe, eine politische. Ich muss Ihnen aber sagen, dass genau dies die Krux an der Sache ist: Sobald ein Problem (in Hongkong) ein nationales Level erreicht hat, sobald es um Souveränität und Sicherheitsfragen geht, sind die politischen Spielräume für die Regierungschefin sehr, sehr, sehr beschränkt."
Auch, wenn der Schlüssel zur Lösung der Krise in Peking liegt: Weder Staats- und Parteichef Xi Jinping noch Premier Li Keqiang oder andere hochrangige Kader haben sich seit Beginn der Massenprotest Anfang Juni öffentlich zur Krise geäußert.
Nochmal der Politologe Willy Lam: "Obwohl sich die Staatsführung um Xi Jinping pausenlos einmischt in die Angelegenheiten Hongkongs: Beim internationalen Publikum will sie den Eindruck erwecken, dass sie sich raushält. Das ist der Grund, warum sich Xi und andere Mitglieder des Politbüros nicht öffentlich äußern zur Hongkong-Frage."
"Heute ist Hongkong Westberlin!"
Ein kleiner Demonstrationszug an einem verregneten Sonntagnachmittag Ende August. Ein sichtlich aufgebrachter Gordon Poon fuchtelt mit einer schwarzen Jutetasche herum.
Der frühere Banker und heutige Kolumnist liest vor, mit welchem Spruch die Tasche bedruckt ist: Gordon Poon: "Das Zitat ist eine Anlehnung an John F. Kennedys 'Ich bin ein Berliner' aus seiner Rede in Westberlin 1963: Heute ist Hongkong Westberlin! Denn heute sind es die Menschen in Hongkong, die nicht frei sind. Und so lange einer von uns nicht frei ist – so lange sind alle anderen auch nicht frei."