Honoré de Balzac: „Cousine Bette“

Begierde und Gier, Hass und Niedertracht

06:41 Minuten
Cover der Neuübersetzung von Honoré de Balzacs Roman „Cousine Bette“. Es zeigt zwei stilisiert gezeichnete Frauen aus dem 19. Jahrhundert, die miteinander sprechen.
© Matthes & Seitz

Honoré de Balzac

Aus dem Französischen von Nicola Denis

Cousine Bette. Die Rache einer FrauMatthes & Seitz, Berlin 2022

606 Seiten

38,00 Euro

Von Dirk Fuhrig · 26.10.2022
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Wenig Glanz, viel Elend: Balzacs Roman „Cousine Bette“, jetzt neu übersetzt, zeigt die Abgründe einer Gesellschaft, in der sich alles kaufen lässt. Ein Epochenporträt aus den Anfängen des Kapitalismus, mit triebgesteuerten Männern und intriganten Frauen.
„Cousine Bette” ist unter den rund 100 Erzählungen und Romanen Honoré de Balzacs einer der grausamsten. Die menschlichen Abgründe werden hier ungeschminkt an- und ausgesprochen. Die Gier nach Geld, Macht und Sex zeigt sich roh und brutal. Der Titel „Menschliche Komödie“, unter den Balzac den Großteil seines literarischen Schaffens zusammengefasst hat, findet hier seine perfekte Zuspitzung.
Dass Kapital und (Ohn-)Macht bei Balzac eine so große Rolle spielen, ist sicher der Grund dafür, dass der Schriftsteller heute noch und wieder gelesen wird. Der Aufstieg des Bürgertums und Geldadels als Spätfolge der Französischen Revolution markiert den bis heute anhaltenden Siegeszug des kapitalistischen Systems, in dem alles käuflich ist - von Aktien bis Liebe.

Die Frauen rächen und betrügen

Die „alte Jungfer“ Bette -  wie die arme Cousine Lisbeth Fischer selbst in dieser achtsamen Neuübersetzung öfter genannt wird - zieht in dem Drama um Begierde, Hass und Niedertracht die Fäden. Die arme Verwandte vom Land will sich am wohlhabenden Teil ihrer Familie rächen, weil ihr die Nichte ihren wohlgestalten Schützling, den Nachwuchs-Künstler Wenceslas, ausgespannt hat.
Im eigentlichen Zentrum steht jedoch eine äußerst attraktive Frau Anfang 20, Valerie Marneffe, die gleich mehrere Liebhaber an der Nase herumführt. Es geht um Leibrenten und Pariser Stadtwohnungen, um Prunk und mondäne Abendessen.
Die Lebedame ist dabei keine passive, „ausgehaltene“ Frau, vielmehr setzt sie ihre Anziehungskraft auf junge und vor allem alternde Männer geschickt ein, um sich finanziell zu bereichern. Die tragischste Figur ist der Baron Hulot, der von seinen Trieben ins finanzielle und moralische Verderben hinabgezogen wird.
Die Männer sind in diesem Roman komplett schwanzgesteuerte, rücksichtslose Idioten, die Frauen raffgierige Betrügerinnen. Der „Beruf“ der Kurtisane war in der Mitte des 19. Jahrhunderts schließlich eines der wenigen Metiers, in dem sich Frauen außerhalb der Ehe ein Vermögen aufbauen konnten - mit ihrem Körper als Kapital.

Opfer und Täter - keine Frage des Geschlechts

Wer Opfer (der gesellschaftlichen Verhältnisse) ist und wer Täter (aus Habgier), das ist hier keine Frage des Geschlechts. Die moralischen Gegenpole in Gestalt der ihren liederlichen Gatten bis zur Selbstaufgabe liebenden Adeline Hulot und ihres Sohns Victorin, der als Anwalt eine ehrbare Karriere verfolgt, fallen gegenüber den skrupellosen Egomanen kaum ins Gewicht.
Balzac bringt die Abgründe seiner Figuren extrem konzentriert auf den Punkt. Das ist oft nicht weit weg von der Karikatur. Generell neigte der Romancier - wie die meisten Literaten nicht nur des 19. Jahrhunderts - zu Generalisierungen, was Schwarze, Juden, Ausländer, aber auch Franzosen aus bestimmten Provinzen angeht.
Die Übersetzerin Nicola Denis weist in ihren Anmerkungen und in ihrem Nachwort auf solche epochenbedingte Stereotype hin, gerade was die Darstellung von Frauen betrifft. Wobei man den Lesern natürlich zubilligen könnte, dass sie in der Lage sind, einen historischen Roman in seiner Zeitbezogenheit selbstständig einzuordnen.
Die Neuübersetzung ist sehr gut gelungen, Balzacs süffisante Sätze, die im Original oft schnell dahingeschrieben wurden und daher ab und an nicht ganz folgerichtig zu enden scheinen, lesen sich flüssig weg. Die spöttischen, bösartigen Seitenhiebe, mit denen der Erzähler die Eitelkeiten seiner Figuren versieht, die rücksichtslosen Beschreibungen hässlicher Nasen, mit Orden geschmückter Männerbrüste oder dicker Wänste, hat Denis in ein farbiges Deutsch gebracht, das kein bisschen altmodisch wirkt, ohne dass es den sprachlichen Bezugsrahmen des 19. Jahrhunderts verlässt.

Atemlos wie "Sex and the City"

Und dennoch oder gerade deswegen wirkt dieser Text, der, wie damals üblich, zunächst als Fortsetzungsroman in einer Zeitung erschien, so modern wie eine TV-Serie aus dem 21. Jahrhundert, so atemlos wie „Sex and the City“ oder so intrigant durchgeknallt wie „Vorstadtweiber“. Oder - um in der Literatur Frankreichs zu bleiben - wie die Blaupause für das Werk Virginie Despentes, die seit ihrem Dreiteiler „Vernon Subutex“ nicht zu Unrecht als Balzac unserer Tage bezeichnet wird.
“Cousine Bette“ ist ein scharfzüngiges Gesellschaftspanorama, so bissig und gnadenlos, dass man beim Lesen der vielen Balzacschen Gemeinheiten auch heute noch laut lachen muss.

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