Zombies und ihre Neurosen
Colson Whitehead hat sich mit seinem Roman "Zone One" in das Zombie-Genre begeben. Wie es dazu kam und weshalb ihn eine bestimme Form der Kritik nicht trifft, verrät der US-Autor im Gespräch.
Stephan Karkowsky: Das Jahr 2011 war ein gutes Jahr für Zombies. Die US-Zombie-Serie "The Walking Dead" ging gerade in die zweite Staffel und entwickelte sich vom Geheimtipp zum Kult. Erste Gerüchte machten die Runde, Brad Pitt würde den Zombieroman "World War Z" verfilmen, und auch Colson Whitehead stieg ins Genre ein und landete mit "Zone One" einen "New York Times"-Bestseller. Über seinen Erfolg und das Zombie-Genre generell wollen wir mit dem Autor selbst sprechen, er ist nämlich gerade auf Lesereise in Deutschland. Mr. Whitehead, welcome to the show!
Colson Whitehead: Hello. Thanks so much for having me!
Karkowsky: Sie springen gern von einem Genre zum anderen. In ein paar Tagen etwa erscheint Ihr neues Sachbuch über Poker. Aber wie um Gottes willen sind Sie auf Zombies gekommen?
Whitehead: Ja, also meine letzten drei Bücher waren schon sehr unterschiedlich. Ich habe ein Buch gemacht, da ging es um die 80er-Jahre in Long Island. Dann habe ich dieses Buch "Zone One" geschrieben in einem postapokalyptischen New York, und nun habe ich ein Buch über Poker geschrieben, und ich mag mich gern verändern, aber ich gebe zu, diese letzten drei Bücher, das war schon fast pervers, wie ich mich da verändert habe.
Karkowsky: Wie sind Sie denn auf Zombies gekommen?
Whitehead: Als Kind mochte ich Sport überhaupt nicht. Ich bin lieber zu Hause geblieben, da habe ich unglaublich viel gelesen, Horrorbücher, Science Fiction, aber auch Comedy. Der Wunsch entstand, Schriftsteller zu werden, in dieser Zeit. Als ich dann aufs College ging, habe ich natürlich auch ganz andere Bücher gelesen. Ich mochte dann auch Autoren wie Stephen King, H.P. Lovecraft oder Isaac Asimov.
Karkowsky: Der Held Ihrer Geschichte heißt Mark Spitz, womöglich Ihr Alter ego. Zumindest teilen Sie dieselbe Vorliebe auch für Horrorfilme. Ich las, dass Sie alle Zombiefilme von George Romero kennen, auch Klassiker wie John Carpenters "Klapperschlange" oder "Die Körperfresser kommen". Fehlte Ihnen in diesen Filmen eigentlich irgend etwas, was Sie gern hinzufügen wollten oder zumindest auf andere Art erzählen? War das eine der Motivationen, "Zone One" zu schreiben.
Whitehead: Für alle, die mit dem Horrorgenre vielleicht noch nicht so vertraut sind, die mehr so von außen kommen, wollte ich einfach das ausdrücken, was ich an diesem Genre mag, Dinge hinzufügen und das weglassen, was ich nicht so toll finde. Und meine Eltern haben uns sehr viele Horrorfilme gucken lassen, und dadurch habe ich dafür so eine Art neurotische Faszination entwickelt, weil in dem Moment, wo du Filme guckst, da muss keiner mit dir reden, da bist du irgendwie beschäftigt, und eigentlich sind Zombies ja so das Schlimmste, was es gibt an Horrorfiguren, weil es ja meistens die Nachbarn sind oder Familienmitglieder, die sich dann plötzlich als Zombies outen und plötzlich das zeigen, was sie bisher immer versteckt haben. Und diese Angst und diese Paranoia, die dadurch entsteht, die wollte ich ausdrücken.
"Der Zombie ist letztendlich auch nur eine Metapher"
Karkowsky: Viel passiert eigentlich nicht. In Rückblenden erfahren wir vom Leben vor der Katastrophe. Man könnte sagen, das ist alles nicht ganz neu. Wollten Sie gern einen typischen Zombieroman schreiben oder ging es Ihnen um was ganz anderes?
Whitehead: Als ich dieses Buch schrieb, habe ich mir gedacht, dass die Leute, die eher aus der literarischen Ecke kommen, dieses Buch total ablehnen würden und die Horrorfans es sehr, sehr lieben würden, und letztendlich ist genau das Gegenteil passiert. Weil natürlich haben die Leute, die sonst meine andere Literatur mögen, gesehen, dass ich mich nicht so verändert habe, dass ich nach wie vor Metaphern benutzt habe, dass der Zombie letztendlich auch nur eine Metapher ist, um etwas auszudrücken, und sie haben also mein Buch gemocht, während eben die richtigen Hardcore-Horrorfans wirklich enttäuscht waren und meinten, es sei einfach zu langsam, es gäbe einfach nicht genug Tote in diesem Buch, und auf Amazon erschien dann auch sofort eine Kritik online, das sei alles viel zu meditativ, viel zu langsam, und das sei so ein bisschen wie "The Road" von Cormac McCarthy.
Aber für mich war es letztendlich ein Kompliment, weil ich mochte die Art, wie Cormac McCarthy diese Postapokalypse beschrieben hat. Und, ja, das Zombiegenre ist schon etwas sehr Populäres, aber irgendwie haben viele Leser eben auch schnell gemerkt, dass ich mir treu geblieben bin und versucht habe, etwas über die Gesellschaft zu sagen, eben auch durch Metaphern und durch Meditieren.
"Es gibt all diese Zwischenstufen"
Karkowsky: Sie hören Colson Whitehead über seinen Roman "Zone One". Mister Whitehead, natürlich findet das wahre Leben vor der Apokalypse vor allen Dingen in Rückblenden statt, das haben Sie schon gesagt. Und da sind die Aufräumer in Rückblenden natürlich noch in ihren prallen, vielfarbigen Leben drin, in Wirklichkeit aber, auf der Jetzt-Ebene, sieht man sie halt durch ein halb zerstörtes New York laufen, das vor allen Dingen mit Leichen belegt ist und mit Autowracks. Sind die Lebenden in Ihrem Buch wirklich mehr am Leben als die Toten?
Whitehead: Es gibt verschiedene Zustände zwischen Lebenden und Toten in diesem Buch. Da haben wir einmal die klassischen Zombies, das sind die Skeletons, also die Skelette, und dann haben wir die sogenannten Staggelers, das sind Zombies, die irgendwie schlecht funktionieren. Anstatt Menschen zu töten oder aufzufressen, wie man es aus den normalen Kinofilmen beispielsweise kennt, sind sie irgendwie sehr neurotisch veranlagt, und sie erinnern sich an Orte, die in ihrem Leben einst sehr, sehr wichtig waren. Und sie stehen praktisch nur noch vor diesen Orten, die sie wieder aufsuchen, wie Statuen oder Denkmäler herum.
Und dann gibt es eben Menschen, die aber auch noch sehr mit ihrer Vergangenheit kämpfen, und insofern haben wir auf der einen Seite diese Staggelers, die eigentlich mehr lebendig als tot sind, und dann andere wiederum, die Überlebenden, die irgendwie mehr tot als lebendig sind. Also es gibt all diese Zwischenstufen.
Karkowsky: Offenbar können ein paar Leute, die über dieses Buch nachdenken, beides nicht zusammen kriegen. Da ist also dieser Autor, der eigentlich literarisch hochwertige Literatur schreibt, der kümmert sich auf einmal um ein Genre, das in der Literatur, in der hochwertigen zumindest, wenig vorkommt. Auch der Rezensent der "Süddeutschen Zeitung", dem muss das so gegangen sein. Er kritisiert in seiner Rezension den Schlussgag. Mochten das eigentlich die amerikanischen Kritiker?
Whitehead: Eigentlich hat das Buch hauptsächlich gute Kritiken bekommen, was mich auch sehr froh gemacht hat. Diejenigen, die es kritisiert haben, die haben einfach nur kritisiert, es gäbe einfach nicht genug Action in diesem Buch und das sei viel zu existenziell. Aber ehrlich gesagt, diese Unterscheidung in hochliterarisch oder populär, die finde ich sehr altmodisch, die halte ich für wirklich überholt, und ich glaube, dass die Schreiber und Autoren meiner Generation auch ganz anders aufgewachsen sind und da die Genres auch sehr viel mehr mischen, und dann werden zum Beispiel Autoren wie Cormac McCarthy, wenn der ein postapokalyptisches Buch schreibt, von Philipp Roth sich mit alternativer Geschichte, die fast Science Fiction ist, auseinandersetzt oder Tony Mason in "Beloved" über einen Geist schreibt, dann sieht man einfach, dass das heute auch von Autoren selber mittlerweile ganz anders gesehen wird.
"Ich werde keine Romanze schreiben"
Karkowsky: Und natürlich muss ich die Frage stellen, wen Sie denn gern als Regisseur hätten für die Verfilmung von "Zone One".
Whitehead: Das ist für mich wirklich eine ganz separate Frage, weil, ehrlich gesagt, die meisten Verfilmungen sind relativ schrecklich. Aber es gibt wirklich ein paar gute Zombiefilme, auch Horrorfilme, die ich gesehen habe, beispielsweise "20 Days later" von Dany Boyle, der ja auch "Trainspotting" gemacht hat. Und ich bin auch jemand, der eben verschiedene Genres mag, auch im Kino. Ich sehe gern Bollywood, ich sehe gern Science Fiction. Ich sehe aber auch gern mal einen Film über moderne Bohemians wie zum Beispiel in "Trainspotting". Von daher ist es mir wichtig, dass da einfach ein Regisseur kommt, der eine Nähe zu diesem Material entwickelt, der auch schon verschiedene Sachen gemacht hat. Dann wäre ich eigentlich schon sehr zufrieden.
Karkowsky: Und ich habe es eingangs erwähnt, Sie haben längst schon wieder das Genre gewechselt. Als nächstes Buch kommt ein Buch über Poker. Auf mich macht das den Eindruck, Sie möchten Ihre Spuren in möglichst vielen Genres hinterlassen, um zu zeigen, Sie können es, Sie sind dazu in der Lage. Ist das Teil Ihrer Motivation?
Whitehead: Es geht mir jetzt nicht um die Herausforderung an sich. Ich glaube zum Beispiel, ich werde keine Romanze schreiben, ich werde auch nicht über meinen Hund schreiben. Weil es gibt genug Genres, die mich nun auch nicht interessieren. Aber wenn man verschiedene Bücher schreibt, die auch verschiedenen Genres angehören, bleibt man einfach lebendig. Und beispielsweise jetzt hier ein Sachbuch zu schreiben, das war wirklich etwas Neues für mich. Und das hat mich auch belebt.
Als ich das Horrorbuch geschrieben habe, ging es mir darum, was mag ich an diesem Genre, was mag ich nicht so. Und habe mir natürlich immer die Frage gestellt, inwiefern passt das auch alles zu meinen bisherigen Arbeiten. Und irgendwo hat man dann auch ein bisschen Angst vorm Schreiben, was aber dazu führt, dass man besser wird. Weil ich am Anfang nie genau weiß, was ich da tue.
Karkowsky: Colson Whitehead über seinen Roman "Zone One". Übersetzt hat das Gespräch Jörg Taszman. Herzlichen Dank – thank you very much!
Whitehead: I want to thank you for having me!
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