Horror in der Spießerwelt

Von Anke Leweke |
Sie war zehn, als sie entführt wurde. Nach 3096 Tagen gelang Natascha Kampusch die Flucht. Die Verfilmung dieses Kinderschicksals misslingt, weil sie klischeehaft und oberflächlich bleibt. Für den Kino-Zuschauer wird das ungeheuerliche Ausmaß der Tat nicht fassbar.
Schaut man sich Sherry Hormanns Film an, kann man sich dem Schicksal von Natascha Kampusch zunächst kaum entziehen. Plötzlich sitzt man mit der Kleinen in einem abgeriegelten Raum, ohne Fenster und ohne Tür. Wie sie kann man den Entführer nicht einschätzen, mal gibt er ihr Kekse und liest ihr vor, mal fordert er absoluten Gehorsam, schlägt sie und entzieht ihr das Essen. Doch würden diese Bilder auch funktionieren, wenn der Fall Kampusch nicht immer und immer wieder durch die Presse gegangen wäre?

Für die Enge, das Eingeschlossensein findet Sherry Hormann keine Bilder. Die Kamera scheint nie an eine Wand zu stoßen und entdeckt erstaunlich viele Perspektiven auf das gefangene Mädchen. Es sind eher die eingeblendeten Zahlen, die das Ausmaß ihres Gefangenseins bekannt geben. Vielleicht wäre es konsequenter gewesen, nicht die Zahl 3096 in einen Film packen zu wollen. Vielleicht hätte man eine andere Form als einen klassisch inszenierten Spielfilm wählen müssen, denn die Narration verbannt hier das ungeheuerliche Ausmaß der Tat. Das Unfassbare ist nicht nacherzählbar.

Zudem bleibt die Welt jenseits des Kellerraumes bloße Kulisse, die Behauptung einer spießigen Welt. Man sieht förmlich die Arbeit des Ausstatters: dort der braun-beige Muff, da der Gelsenkirchener Barockschrank, und das Kreuz an der Wand darf natürlich auch nicht fehlen. Der von Thure Lindhardt gespielte Entführer Wolfgang Priklopil bleibt das reine Abziehbild eines unterdrückten Muttersöhnchens, das von seiner Mutter immer noch das Essen gebracht bekommt.

Warum müssen wir überhaupt in seine Welt mitgenommen werden, wenn sie doch nur flüchtig und klischeehaft gestreift wird? Der permanente Perspektivwechsel bringt eine gewisse Oberflächlichkeit mit sich, der Film wird weder zum Psychogramm eines Täters noch seines Opfers. Die Regisseurin lässt sich auch nicht die Zeit, um sich auf den ungeheuerlichen Überlebenskampf dieses Mädchens einzulassen. Ihr Entführer war Kampuschs einzige Kontaktperson, zwangsläufig musste sie einen Bezug zu ihm aufbauen. Dabei verschoben sich auch die Machtverhältnisse. Für diese Entwicklung findet der Film aber kaum mehr als plakative Sätze wie: "Ich bin nicht nur an dich gefesselt, sondern du auch an mich!"

"3096 Tage”, Deutschland 2013, Regie: Sherry Hormann, Darsteller: Antonia Campbell-Hughes, Thure Linthardt, Amelia Pidgeon, Trine Dyrholm, 109 Minuten