Horst Dreier: "Staat ohne Gott. Religion in der säkularen Moderne"
Verlag C.H. Beck, München 2018
256 Seiten, 26,95 Euro
Plädoyer für die Neutralität des Staates in religiösen Fragen
Wohltuend besonnene Gedanken mitten in der hitzigen Debatte über den Islam: Der Verfassungsrechtler Horst Dreier formuliert in seinem Buch "Staat ohne Gott" ein klares Plädoyer für die Religion als Privatsache – und einen Staat, der die Finger davon lässt.
"Staat ohne Gott" – das klingt wie eine Kampfschrift gegen die Religion, ist es aber nicht. Horst Dreier stellt gleich auf der ersten Seite klar: Welt, Gesellschaft, jeder einzelne Mensch, sie alle sollen Gott und Glauben gerne haben und behalten. Einzig der Staat muss die Finger von der Religion lassen. Das "Seelenheil des Bürgers geht den Staat nichts mehr an", und er hat sich mit keiner Religion gemein zu machen, vertrete die auch noch so grundgesetzeskompatible Werte.
Das ist genau so im Grundgesetz festgelegt, muss aber heute neu betont werden: Denn von der einen Seite kritisieren organisiert nichtreligiöse Menschen die immer noch bestehenden Rechte und Pflichten, die der Staat organisierten Religionsgemeinschaften und vor allem den christlichen Kirchen einräumt.
Auf der anderen Seite werden immer häufiger Gerichte bemüht, nicht nur, um zu klären, wie religiöse Vielfalt ganz praktisch gelebt werden kann, sondern vor allem und ganz konkret: ob und wie der Islam denn nun in die deutsche Gesellschaft passt.
Säkularisierung als Herausforderung und Aufgabe für den Staat
Horst Dreier ist Verfassungsrechtler, kein Religionswissenschaftler, deshalb argumentiert er nicht von der Religion, sondern vom Staat her. Er fragt danach, worin eigentlich das Potenzial des Staates liegt. Angesicht der an den Konflikten orientierten, oft mutwillig aufgeheizten Debatte sei "eine Besinnung auf die Grundstrukturen und Grundfragen des säkularen Staates geboten".
Das ist eine anspruchsvolle, aber aufregende Lektüre. Dreier zeigt, welches Potenzial in scheinbar trockener Begriffsgeschichte steckt: Säkularisation bezeichnet die Umwandlung kirchlicher in weltliche Güter – mit bleibenden Folgen durchgeführt im Reichsdeputationshauptschluss 1803. Daraus abgeleitet machte die Säkularisierung Karriere, beschrieb den Bedeutungsverlust vor allem der christlichen Religion, wurde zeitweilig fast zum Synonym für den Fortschritt der Moderne – und trug doch auch immer einen negativen Aspekt mit sich, eben den des Raubes.
Dreier will Säkularisierung positiv fassen, als eine echte Herausforderung und Aufgabe für den Staat – nämlich den "Verzicht auf Transzendenz als Begründungsressource". Das macht den Staat unabhängig von religiösen Letztbegründungen.
Staatliche Neutralität als Kernstück des demokratischen Zusammenlebens
Was den säkularen Staat ausmacht, sind Religionsfreiheit und Neutralität. Religionsfreiheit scheint inzwischen eine Selbstverständlichkeit. Horst Dreier zeigt, welche Potenziale vor allem auch im Gebot der staatlichen Neutralität liegen. Bei Konflikten sollten die Gerichte weniger darum ringen, was den Einzelnen zugemutet werden dürfe, sagt Dreier, sondern die Neutralität des Staates zum Maßstab machen – sei es bei der Frage nach Kruzifixen in der Schule, sei es beim Kopftuch für Vertreter staatlicher Aufgaben. Ein in religiösen Dingen neutraler Staat ist dabei nicht passiv oder blass: "Neutralität meint nicht Wertungsaskese, Inhaltsleere oder Gleichgültigkeit."
Horst Dreier hat ein leidenschaftliches Plädoyer für die Neutralität des Staates in religiösen Fragen verfasst, wohl auch aus dem Bewusstsein heraus, dass diese Neutralität ein Kernstück demokratischen Miteinanders darstellt, das gerade aus verschiedensten Interessen heraus in Frage gestellt wird.