"Hotels mit Geschichte" präsentieren wir in unserer Sommerreihe in "Studio 9". Hotels erzählen Geschichte und Geschichten, sind Erinnerungsorte und vermitteln Einblicke in den Alltag fremder Kulturen. Hotels regen nicht nur die Fantasie an, beispielsweise von Schriftstellern. Sie erzählen auch von großen Krisen, von Kriegen oder Konferenzen, in denen sich die Weltgeschichte spiegelte.
Vom Traditionshotel zur Flüchtlingsunterkunft
Einst war das Hotel Baron in Aleppo einer der vornehmsten Treffpunkte des Orients. Dort logierten Charles de Gaulle, David Rockefeller oder Agatha Christie. Heute ist es halb zerstört und beherbergt Flüchtlinge.
Jedes Bild, das das Kriegsgrauen in Aleppo zeigt, lässt Erinnerungen aufblitzen, Gegen-Bilder: Gespräche im Bazar über dessen Sanierung, die auch mit deutschem Fördergeld bezahlt wurde; Restaurant-Besuche – Köstlichkeiten der Region, Kabab mit Kirschen, süßer, weißer Käse. Eisdielen und Kaffeehäuser: gehackte Pistazien auf Vanille-Kugeln, Kardamon. Und dann das Hotel Baron, als weiteres Gegen-Bild zum Krieg – und Hoteldirektor Armen Mazloumian. 2004 gab der eher schmächtige Armenier, der standesgemäß einen feinen, schwarzen Anzug trug, diesem Sender ein Interview – über die Geschichte des Baron die Geschichte auch des Hotel-Namens:
"Baron wird im Armenischen seit der Zeit der Kreuzfahrer benutzt anstelle von Herr oder Mister oder Monsieur. Die Armenier haben einfach den Adelstitel 'Baron' übernommen. Jeder Armenier ist ein Baron! Darum nannten mein Großvater und mein Großonkel das Hotel Baron. Begonnen hatten sie mit den Bauarbeiten 1909, fertig wurde das Haus 1911."
Eindrucksvolle Liste prominenter Gäste
1911 – einhundert Jahre vor Beginn des Bürgerkrieges in Syrien. Und in diesen einhundert Jahren ist eine eindrucksvolle Liste prominenter Gäste des Baron entstanden: Multimilliardär David Rockefeller, General Charles de Gaulle oder Pilot Charles Lindbergh. Und dann die Liste der Stammgäste: Gerne logierte in Zimmer 202 Lawrence von Arabien, Agatha Christie liebte 203. Hoteldirektor Mazloumian, seinerzeit Anfang 50, sagte 2004:
"Ich bin sicherlich noch nicht so alt, dass ich Lawrence von Arabien getroffen hätte. Aber Agatha Christie, die hier gewöhnlich mit ihrem Mann Max Mallowan, einem berühmten Archäologen, wohnte, bevor ich geboren wurde, kam einmal in den 50er-Jahren wieder. Und ich weiß noch, wie damals gesagt wurde: 'Das ist Agatha Christie!' Aber damals war ich noch nicht an ihrer Literatur interessiert."
Das Baron unter Mazloumian Anfang 2004 – ein Museum seiner eigenen Geschichte: Die Wände waren geschmückt mit Schwarz-Weiß-Fotografien und Zeichnungen der Gäste-Prominenz oder mit alten Werbepostern für Bagdad-Bahn und Orient-Express... Das Interieur von Lobby und Bar: Sessel – pardon: Fauteuils! – mit grünem Leder bezogen. An den Tür-Bögen Schmucksäulen passend zu den Stuck-Decken mit Kronleuchtern. Die Rezeption: holzvertäfelt, mit einem schwarzen Wählscheibentelefon. In den Zimmern: Himmelbetten, massige Schränke und schwere Vorhänge. Und alles war von einer gewissen Patina überzogen. Die Außenmauern des dreistöckigen Gebäudes waren allerdings regelrecht grau von den Autoabgasen. Das Haus hätte 2004 gut eine Grundrenovierung vertragen. Aber – so Armen Mazloumian damals:
"Mit der politischen Situation im Nahen Osten ist es wirklich schwer zu planen: Zum Beispiel haben wir einige Zimmer renoviert, andere sollten im vergangenen Jahr drankommen. 2003. Aber dann begann der Krieg im Irak. Und wir konnten kaum etwas machen, weil wir kaum noch Einnahmen haben. Die Zahl der Reisenden ist allerdings schon zurückgegangen seit den Selbstmordattentaten vom 11. September 2001."
"Woher sollen heute noch Gäste kommen?"
Und heute? Die jüngsten Informationen zum Hotel Baron und seinem Direktor Armen Mazloumian stammen aus dem zurückliegenden Mai. Das Hotel steht unweit der Frontlinie, hinter der sich Assad-Gegner verschanzt haben, in einem Gebiet, das Getreue von Syriens Präsident Bashar al-Assad kontrollieren. Sie haben Reporter des chinesischen Staatsfernsehens ins Baron gelassen. Das Team hat das Hotel von innen und außen gefilmt und die Aufnahmen ins Internet gestellt. Sie zeigen zersplitterte Fenster, Einschusslöcher, Flüchtlinge, die in dem Hotel untergekommen sind – und sie zeigen einen unrasierten, zahnlosen Armen Mazloumian. Den feinen, schwarzen Anzug hat er getauscht gegen einen blauen Pullunder. In einem kurzen Interview sagt er:
"Nichts war je zerstörerischer als dieser Krieg. Das Hotel ist dahin. Es gibt keine Gäste. Woher sollen sie kommen, Aleppo ist eingeschlossen. Ich sehe keine Zukunft. Ich hoffe, ich irre mich. Ich hoffe, dass es wieder besser wird. Aber ich bin kein Optimist. Gerade angesichts der vergangenen vier Jahre, in denen alles sehr, sehr schlecht wurde."