Hotels mit Geschichte (20)

"Herzlich Willkommen auf dem Zauberberg"

Das Berghotel Schatzalp oberhalb von Davos war bis zum Jahr 1954 ein Lugensanatorium
Das Berghotel Schatzalp oberhalb von Davos war bis zum Jahr 1954 ein Lugensanatorium © picture alliance / dpa / Thomas Muncke
Von Eberhard Schade |
Das Hotel Schatzalp in Davos gibt es schon über 100 Jahre, früher war es ein Luxussanatorium - und inspirierte Thomas Mann zu seinem Roman "Der Zauberberg". Heute ist es ein Ort der Entschleunigung.
Kein "Mann im Livree, mit Tressenmütze" holt mich ab am Bahnhof Davos Platz wie damals Hans Castorp. Nein, Christian trägt Fleece-Pullover, Jeans und kommt wie ich vom flachen Land. Geht das, frage ich ihn, in nur zwei, drei Tagen zu entschleunigen? Etwas zu spüren vom Geist eines Romans, der den Müßiggang feiert wie kaum ein anderer? Fahren Sie doch erstmal rauf, sagt Christian.
Oben angekommen, steigen ein paar verschlafene Skiläufer mit mir aus. Denn die Schatzalp ist nicht nur ein Hotel, sondern auch ein Ski- und Wandergebiet. Dienstags und Donnerstags Führungen durch das ehemalige Luxussanatorium steht auf einem Schild und: "Herzlich Willkommen auf dem Zauberberg".
Elf Uhr. Hans Castorp würde jetzt sein erstes Kulmbacher trinken. Mir dagegen tippt ein Herr auf die Schulter. Pius App ist Miteigentümer der Schatzalp, ein großgewachsener Mann mit weißen, mittellangen Haaren, wachen Augen und feinen, langgliedrigen Händen.
Kommen sie, sagt er und durchquert einen eisernen Torbogen - für ihn und seine Stammgäste das Tor in eine andere Welt. Die Ruhe hier - nahezu unheimlich. Ich stehe zum um ersten Mal vor der Fassade des langgestreckten Jugendstilbaus und kann Thomas Mann verstehen. Dass er jeden Tag hierher aufsteigt, als seine Frau Katia 1912 unten im Tal zufällig eine Kur macht. Von weitem, schreibt er, wirkt das Hotel "vor lauter Balkonlogen löchrig und porös wie ein Schwamm."
"Die Balkone - das hat ja zu tun mit dem Heilungsprozess, die lagen ja da an der frischen Luft und die hat ihnen zu einem längeren Leben verholfen. Hier war die erste Klasse und das war die zweite Klasse, das war der Sinn dieser Gebäude."
"Eine Zeitkapsel auf dem Stand von damals"
27 riesige Balkone auf 3 Etagen, 81 exklusive Sonnendecks. Auf denen damals hustendene Großindustrielle und schwindsüchtige Adlige eingepackt in Wolldecken tagsüber ihre Liegekur machten. Wochen, Monate, manchmal Jahre wie Hans Castorp. Abends wurde dann getanzt, gelacht, gesungen und auf den Korridoren geküsst. Wenig später steht App in einem der drei über hundert Meter langen Flure vor einem 14 Meter langen, schmalen Holzbuffet, verglast bis zur Decke - und voller Bücher.
"Die Bibliothek haben wir gelassen, sie ist wie eine Zeitkapsel auf dem Stand von damals."
Genauso fühlt man sich auch im Rest des Hotels. Mit seinen Jugendstillampen, quietschenden Flügeltüren, den großen Panorama-Fenstern. Im Erdgeschoss, gleich neben dem schlichten Hoteleingang, liegt der weiße Speisesaal, in dem die Patienten im Zauberberg mit fetthaltigen Speisen und Haferbrei aufgepäppelt werden.
"Mit den Nerven schön runtergefahren"
Pius App sucht Brigitte Bernhard, eine Künstlerin aus Zürich, die in ihrer dreiviertellangen Kniebundhose aus Harris Tweed und einer dazu passenden Weste auffallend altmodisch gekleidet ist. Sie und ihre Freundin sind Stammgäste auf der Schatzalp. Brigitte Bernhard:
"Es erstaunt uns jedes Mal (...) Wir sind schon so oft hier gewesen, das Gefühl und die Schwingungen der vergangenen Zeit sofort wieder da ist - das ist oll, jedes Mal. Immer wieder ist man wenn man da oben ist mit den Nerven wieder schön runtergefahren."
Beide glauben fest daran, dass das daran liegt, dass das Haus eine Seele besitzt. Der Ort an sich entschleunigt - man gar keine Angebote dafür braucht.
Deshalb wirbt Pius App auch im Internet nur mit dem Begriff Slow Mountain. Und dem Versprechen: Unsere Anlagen fahren garantiert so langsam wie früher.

"Hotels mit Geschichte" präsentieren wir in unserer Sommerreihe in "Studio 9". Hotels erzählen Geschichte und Geschichten, sind Erinnerungsorte und vermitteln Einblicke in den Alltag fremder Kulturen. Hotels regen nicht nur die Fantasie an, beispielsweise von Schriftstellern. Sie erzählen auch von großen Krisen, von Kriegen oder Konferenzen, in denen sich die Weltgeschichte spiegelte.