"Hotels mit Geschichte" präsentieren wir in unserer Sommerreihe in "Studio 9". Hotels erzählen Geschichte und Geschichten, sind Erinnerungsorte und vermitteln Einblicke in den Alltag fremder Kulturen. Hotels regen nicht nur die Fantasie an, beispielsweise von Schriftstellern. Sie erzählen auch von großen Krisen, von Kriegen oder Konferenzen, in denen sich die Weltgeschichte spiegelte.
Nach drei Martinis unterm Tisch
Kein Ort steht so sehr für die literarische Geschichte New Yorks wie das Algonquin Hotel. Dort war der Stammsitz der berühmtesten und trinkfestesten US-Dichter. Heute verkörpert das Algonquin eine anachronistische Lokalkultur.
Nichts ist mehr so, wie es einmal war am Times Square. Dort, wo einst Theaterkritiker, Straßenphilosophen und jugendliche Rebellen verkehrten, ist eine Mischung aus Massenkonsum und Disneyland entstanden. Alles ist sicher, sauber und lustig, nichts mehr wirklich authentisch. Es sei denn, man geht ins Algonquin Hotel.
Hier sind die Portiers noch Tagträumer, die Lounge quillt über vor Mobiliar aus längst vergangenen Zeiten. Die Chaiselongue gleich links neben dem Eingang ist seit 1930 reserviert: für die jeweils amtierende Hotelkatze. Die Lang-Haar-Ragdoll Mathilda residiert seit elf Jahren im Algonquin. Ihre Betreuerin Alice de Almeida:
"Die Tradition geht auf den damaligen Besitzer zurück, der einem Straßenkater Obdach gewährte. Die Katzen des Algonquin heißen je nach Geschlecht Mathilda oder Hamlet. Drew Barrymore's Großvater John wollte es so. Mathilda trinkt ihre Milch nur aus einem Champagnerglas, und sie hat auch einen Ghostwriter, der für sie E-Mails beantwortet. Das muss so sein, das Algonquin ist schließlich ein literarisches Hotel!"
Noch in den 50er-Jahren kritzelte William Faulkner im Algonquin seine Dankesrede für die Nobelpreisverleihung auf eine Stoffserviette, während Arthur Miller im holzvertäfelten „Oak Room" mit Marilyn Monroe turtelte. Mr. Hoy hat sie alle überlebt. Der 90-Jährige ist der älteste Barkeeper New Yorks, die Verschwiegenheit sein Erfolgsgeheimnis.
"Ich bin damals nur deshalb eingestellt worden, weil ich frisch aus Hongkong kam und kein Word Englisch konnte. Heute stelle ich mich oft immer noch dumm: Ich sage nichts, frage nie. Das gibt nur Probleme und ist schlecht fürs Trinkgeld!"
Ebenso mysteriös wie Mr. Hoy ist war der bekannteste Dauergast des Etablissements: Dorothy Parker. Die begnadete Schreiberin und exzentrische Partylöwin zog 1924 frischgeschieden ins Algonquin ein und gründete dort die berühmt-berüchtigten Round-Table. Der Literatenzirkel wurde nicht nur durch seinen Sarkasmus und Schlagfertigkeit zur Legende. Sondern auch und vor allem durch die Trinkfestigkeit seiner Mitglieder.
Nacht für Nacht spülte sich Dorothy Parker ihre unerfüllte Liebe zum Broadway-Kritiker und Familienvater Robert Bentley mit trockenen Martinis herunter, erzählt der Barjunge Rodney. Hinter vorgehaltener Hand, sichtlich darauf bedacht, dass sein Chef Mr. Hoy nichts mitkriegt:
"So oft er ihr auch das Herz gebrochen haben mag, in ihrer Liebe zum Martini waren sie einander immer verbunden. Von Dorothy Parker stammt der unvergessliche Vierzeiler: Ich trinke gerne Martini, doch sind zwei genug serviert, nach dreien liege ich unter dem Tisch. Nach vieren unter dem Wirt!"
Lester, ein gutaussehender junger Mann mit pechschwarzem Haar, kommt nicht wegen der Promille ins Algonquin. Der Wall-Street-Banker sitzt jeden Abend am Steinway Flügel in der Lounge und klimpert Jazz-Melodien:
"Ich fühle mich einfach nicht mehr wohl in meinem Land. Es ist nicht mehr das Amerika der Ideale. Wir sind zu einer globalen Supermacht geworden, die sich überall einmischt. Nur im Algonquin ist New York immer noch eine verrückte Enklave ohne größere Sorgen. Es ist eine einzigartige Bastion in dieser Stadt, wo andauernd abgerissen und neu gebaut wird."