Hotlist unabhängiger Verlage
Jede Menge Bücher - welches davon ist preiswürdig? © Getty Images / EyeEm / Nadezhda Soboleva
Mehr Sichtbarkeit durch einen Preis
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Auch die kleinen, unabhängigen Verlage publizieren große Literatur. Um darauf aufmerksam zu machen, gibt es die Hotlist mit erst 30 und später zehn Titeln. Leserinnen und Leser dürfen mitentscheiden, welche Bücher Chancen auf den Hauptpreis haben.
Die Hotlist versammelt zehn Bücher des Jahres aus unabhängigen deutschsprachigen Verlagen. Nun liegt sie für das Jahr 2022 vor. Initiiert wurde die Liste 2009 von einigen dieser Verlage aus Österreich, Deutschland und der Schweiz.
„Auf der Liste für den Deutschen Buchpreis sind natürlich auch Titel von kleinen, unabhängigen Verlagen“, sagt Thorsten Dönges, der Mitglied der Hotlist-Jury ist und sonst beim Literarischen Colloquium in Berlin arbeitet.
Die Hotlist sei eine Ergänzung, „um zu zeigen, wie groß die Vielfalt von Verlagen ist, die sich auf einzelne Themen, auf Übersetzungen aus Kulturräumen oder Sprachen spezialisiert haben, oder die auch zum Beispiel besonders schöne deutschsprachige Debüts machen“. Es gehe um Sichtbarkeit.
Jeder kann im Internet abstimmen
Anders als etwa beim Deutschen Buchpreis – für den kürzlich die Longlist veröffentlicht wurde – können bei der Hotlist auch Leserinnen und Leser mitbestimmen und Favoriten küren, aus insgesamt 30 Titeln. Diese wählt das Kuratorium des Vereins aus, in dem sich die Verlage zusammengeschlossen haben.
Die drei Bücher mit den meisten Stimmen sind automatisch auf der Hotlist. Die Jury wählt dann noch sieben Titel dazu. Der Hauptpreisträger wird – wie beim Deutschen Buchpreis – während der Frankfurter Buchmesse bekanntgegeben.
Ein großer Unterschied zum Deutschen Buchpreis: Die Hotlist holt auch Übersetzungen ins Rampenlicht. Auf der aktuellen Liste steht beispielsweise eine Wiederentdeckung: Viktor Schklowskis „Zoo. Briefe nicht über Liebe oder Die dritte Heloise“.
„Ingo Schulze hat mir irgendwann mal begeistert davon erzählt. Aber es gab keine aktuelle Übersetzung“, sagt Dönges. Der kleine Guggolz-Verlag habe dann von Olga Radetzkaja eine „richtig tolle Neuübersetzung“ machen lassen.
So gebe es mehrere Bücher auf der Liste, die der Jury sehr am Herzen lägen, sagt Dönges. Das gilt auch für „The Blacker the Berry“ von Wallace Thurman, 1929 erschienen. „Das Buch der Harlem Renaissance – und das ist nie übersetzt worden.“ Es sei wichtig zu zeigen, „wie schön es ist, dass es diese Verlage gibt, die diese Funde für uns alle machen“, betont Dönges.
"Herausragendes Debüt"
Neben Übersetzungen spielt auch die deutschsprachige Gegenwartsliteratur eine große Rolle. „Ist hier das Jenseits, fragt Schwein“ von Noemi Somalvico: für Dönges ein "herausragendes Debüt, weil es die Gattung Fabel ganz neu ins Jetzt holt“.
Auf der Liste ist auch „Nullpunkt“ von Artem Tschech, ein aktuelles Buch aus der Ukraine. Auch dieses sei herausragend, so Jury-Mitglied Dönges. Es stammt von einem ukrainischen Schriftsteller, der sich als Freiwilliger an die Front gemeldet hat und nun den Kriegsalltag beschreibt.
An einer Stelle schreibt Tschech: „Wie wahrscheinlich alle habe ich bei Tolstois ‚Krieg und Frieden‘ über diese langen Kriegspassagen, wo dann diese Schlachtszenarien beschrieben werden, einfach drüber gelesen. Es hat mich nie so interessiert, und plötzlich bin ich mittendrin in diesem Getümmel, in dieser Unübersichtlichkeit, in diesem Dreck und Gestank.“
Die komplette Hotlist 2022:
- Artem Tschech: "Nullpunkt". Arco Verlag
- Yuriy Gurzhy: "Richard Wagner und die Klezmerband". Reportage / Oral-History. Ariella Verlag
- Aphra Behn: "Werke in zwei Bänden". Aviva Verlag
- Atsuhiro Yoshida: "Gute Nacht, Tokio". Roman. Cass Verlag
- Henriette Valet: "Madame 60a". Roman. Das Kulturelle Gedächtnis
- Wallace Thurman: "The Blacker the Berry". Roman. Ebersbach & Simon
- Wolfgang Schiffer: "Dass die Erde einen Buckel werfe". Gedichte. Elif Verlag
- Viktor Schklowski: "Zoo. Briefe nicht über Liebe, oder Die dritte Heloise". Briefroman. Guggolz Verlag
- Alice Grünfelder: "Wolken über Taiwan. Notizen aus einem bedrohten Land". Rotpunktverlag
- Noemi Somalvico: "Ist hier das Jenseits, fragt Schwein". Roman. Voland & Quist