Bemühte Kurzfassung für Lesefaule
Stephan Kimmig bringt Houellebecqs Skandalroman "Unterwerfung" am Deutschen Theater in Berlin auf die Bühne - und enttäuscht auf ganzer Linie. Vor allem, weil er sich eines längst überstrapazierten Stilmittels bedient.
Dass sich die deutschsprachigen Theater in ungezügelter Bearbeitungswut auf jeden neuen Skandalroman werfen, scheint Naturgesetz. Kein Wunder also, dass es auch Michel Houellebecqs "Unterwerfung" bereits des öfteren auf die Bühnen geschafft hat – etwa als erhitzter Drei-Stunden-Monolog für Edgar Selge, inszeniert am Deutschen Schauspielhaus Hamburg von Intendantin Karin Beier.
Es ist auch einfach zu verlockend: Houellebecqs Szenario eines Frankreichs in naher Zukunft, das von einem islamischen Staatspräsidenten zum patriarchalischen Gottesstaat umgebaut wird, greift all die schwelenden Ängste vor der angeblich drohenden Islamisierung auf – erzählt aber noch von sehr viel mehr: Von der Zivilisations- und Demokratiemüdigkeit einer übersatten westlichen Gesellschaft, die sich nach unterkomplexen, anti-aufklärerischen Botschaften sehnt. Rückkehr zur klassischen Familie und zur Religion, Abschaffung von Frauenrechten, Abschaffung der Homo-Ehe, Abtreibungsverbote, salonfähig gemachter Antisemitismus – so sieht diese Vision eines neuen Frankreichs aus. In "Unterwerfung" sind sich deshalb die identitären Rechtsradikalen und die Bruderschaft der Muslime viel näher, als man meinen würde.
Leiden in steriler Krankenhausatmosphäre
Und weil er so ein schwächlicher Chauvinist ist, zeigt sich auch Literaturwissenschaftler Francois nach schweren Kämpfen und reichlich Lethargie recht empfänglich für die neuen Lebensperspektiven. Es ist die Stärke des Romans, den antriebslosen Intellektuellen in das durchweg realistisch entworfene Bild der sich verändernden Gesellschaft zu integrieren, den Kultursachverständigen als jemanden zu porträtieren, der sich fast willenlos durch den präzise geschilderten Alltag treiben lässt und am Ende vor allem aus Karrieregründen mit der Konvertierung zum Islam liebäugelt. In Stephan Kimmigs verbiesterter Inszenierung des Stoffes am Deutschen Theater Berlin ist dieser Francois aber vor allem eines: krank.
Steven Scharf geifert, leidet, stöhnt und ächzt in steriler Krankenhausatmosphäre, ist ein bemitleidenswert verstörter Dauerpatient, während sich seine Ärzte, Pfleger, Physiotherapeuten je nach Bedarf in die Figuren verwandeln, die den gesellschaftlichen Umbruch verkörpern. Es ist ein viel zu beliebtes Mittel bei Regisseuren: Das (in diesem Fall politisch) Ungeheure wird zum Wahn erklärt, zur bedrückenden, haltlosen Fieberfantasie. Das führt zu schauspielerisch intensiven Momenten, gleichzeitig verflacht es alle Aussagen der Vorlage erheblich, macht sie handzahm.
Trostlose Nacherzählödnis
Man begreift schnell: Es hätte diese neuerliche Adaption nicht gebraucht, zumal der Roman so wenig bietet, was wirklich für die Bühne taugt. Insbesondere wenn die privaten Lebensumstände des Protagonisten abgebildet werden, die Houellebecq betont spröde und aufregungslos erzählt, lässt sich das überdeutlich spüren. Die Beziehungsauflösung, der Tod der Mutter, die Auseinandersetzung mit dem eigenen Katholizismus - bei alledem mischen sich Schwulst und Hysterie mit stumpf-trostloser Nacherzählödnis, in der Figuren viel reden und wenig von sich selbst erzählen.
Es ist so ziemlich der schlimmstmögliche Fall einer Romanadaption: Der ganze Abend offenbart sich als bemühte Kurzfassung für Lesefaule, für alle, die mitreden möchten, ohne sich die Mühe machen zu müssen, sich eigenständig durch die provozierend nüchterne Gedankenwelt Houellebecqs hindurchzukämpfen. Diese "Unterwerfung" bleibt Referatstheater und Pflichterfüllung. Und es wird gewiss nicht lange dauern, bis dem nächsten Skandal-Bestseller dasselbe Schicksal droht.